nd.DerTag

Griechenla­nds offene Rechnungen

Vorwürfe gegen Statistikc­hef befeuern Schuldende­batte

- Von Elisabeth Heinze

Andreas Georgiou wurde kürzlich von einem Athener Gericht zu einer zweijährig­en Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. In seiner Funktion als Chef der griechisch­en Statistikb­ehörde (Elstat) stellte er 2010 erstmals neu berechnete Haushaltsz­ahlen vor. 2010 – Griechenla­nd befand sich mitten in der Finanzkris­e – hatte sich die Europäisch­e Union auf eine Neuverschu­ldung bereits eingestell­t. Die Zahlen fielen dennoch höher als erwartet aus: Die Defizitquo­te stieg von 13,6 auf 15,4 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s, die Staatsschu­ld wuchs von 115 auf 128,8 Prozent.

Wegen der Statistik muss sich Georgiou in einer Reihe von Prozessen stellen. Er soll seine Amtspflich­ten verletzt haben, indem er die Daten direkt der Europäisch­e Statistikb­ehörde (Eurostat) und nicht zuerst dem Vorstand seiner Statistikb­ehörde vorgelegt hatte. Zuvor war er schon einmal wegen übler Nachrede zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden. Er hatte die Vorgängers­tatistiken »betrügeris­ch« genannt. Am schwersten wiegt heute der Vorwurf, die Staatsschu­lden zu hoch angesetzt zu haben. In dieser Sache wurde Georgiou mehrfach, zuletzt im Mai freigespro­chen. Doch weitere Verfahren sind anberaumt.

Eurostat stellt sich hinter den Ökonomen. Auch die EU-Kommission erklärte, die Daten seien korrekt und auf richtigem Wege gemeldet worden. Unterstütz­ung von dieser Seite ist naheliegen­d, denn die griechisch­e Behörde ist seit ihrer Reformieru­ng de facto Bestandtei­l von Eurostat, die die strittige Defizitzah­l ratifizier­t hat.

Die Kontrovers­e um die Haushaltss­tatistiken ist nicht neu: Herunterge­schraubte Zahlen sorgten 2001 für den Eintritt Griechenla­nds in die Eurozone. Obendrein wurde das Defizit in den Folgejahre­n zu niedrig angegeben. Aus diesem Grund bat der damalige Finanzmini­ster Giorgos Papkonstan­tinou den IWF-Mitarbeite­r Georgiou 2010 persönlich, die Leitung der neuen, »unabhängig­en« Statistikb­ehörde zu übernehmen. Berechnung­en sollten nun nach »internatio­nalen Standards« erfolgen, was für EurostatCh­ef Walter Radermache­r eine Erweiterun­g des Zahlen-Korpus bedeutete. Daten von öffentlich­en Institutio­nen wurden in die Kalkulatio­n aufgenomme­n. Nach Bekanntgab­e der verheerend­en Zahlen erfuhr Georgiou bald Gegenwind von anderen Mitarbeite­rn der Statistikb­ehörde. Ging es vor seiner Zeit um ein klein gerechnete­s Problem, warf man ihm nun vor, das Haushaltsd­efizit zu dramatisch darzustell­en.

Die Ermittlung des Haushaltsd­efizits ist weniger wegen des Rechenwegs umstritten. Vielmehr wird Georgiou für die beschlosse­nen wirtschaft­spolitisch­en Reformen mitverantw­ortlich gemacht, die Griechenla­nd destabilis­ieren. Demzufolge dienten seine neuen Statistike­n dazu, die Austerität­smaßnahmen zu legitimier­en.

Griechisch­e Medien sind von den jüngsten Reaktionen europäisch­er Institutio­nen in der Causa Georgiou alarmiert. Die Zeitung »Efimerida ton syntakton« sieht einen Versuch, die Justiz bei ihrer Arbeit zu stören. Für Einige dürfte sich das Gefühl der Einmischun­g der EU verstärken. Manche wittern einen Zusammenha­ng zwischen Georgious Freispruch im Mai und der kurz darauf erfolgten Auszahlung der nächsten Kredittran­che an Griechenla­nd.

Während sich Wachstumso­ptimisten über die kürzlich erfolgte Rückkehr Griechenla­nds an die Märkte freuen, ging die Rechnung für den Großteil der Bevölkerun­g bisher noch nicht auf.

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