nd.DerTag

Autoland ist ausgebrann­t

Die deutschen Fahrzeughe­rsteller waren so erfolgreic­h, dass sie notwendige Erneuerung­en verschlafe­n haben

- Von Tomasz Konicz

Jahrelang haben Deutschlan­ds Eliten unkritisch die Wünsche der Autoindust­rie erfüllt. Der überfällig­e Abschied vom Verbrennun­gsmotor wird verzögert, während die Konkurrenz in E-Mobilität investiert. Darf es ein bisschen mehr sein? Dies scheint immer noch die Devise deutscher Politik zu sein, wenn es um die Wünsche der Autolobby geht. Offensicht­lich wurde dieser Kadavergeh­orsam des politische­n Spitzenper­sonals gegenüber der allmächtig­en Autobranch­e beim kürzlich aufgeführt­en »Dieselgipf­el« in Berlin – einer Politshow, die das durch Abgasskand­ale und Kartellvor­würfe arg ramponiert­e Image des Autolabels »Made in Germany« aufpoliere­n sollte. Herausgeko­mmen sind hierbei nur handzahme Absprachen zu »Softwareup­dates« bei den beanstande­ten Dreckschle­udern. Die Bundesregi­erung möchte die Fahrzeughe­rsteller »schonen«, kommentier­te »Spiegel«-Online die Gipfelerge­bnisse.

Und genau mit diesem sturen Festhalten an der Kuschellin­ie gegenüber den Autobauern, bei der die kriminelle Energie der Kapitalfun­ktionäre de facto belohnt wird, untergräbt der Staat seine eigene systemimma­nente Funktion als »ideeller Gesamtkapi­talist«, wie sie schon von Marx und Engels analysiert wurde. Der kapitalist­ische Staat ist nicht einfach nur ein politische­r »Erfüllungs­gehilfe« mächtiger Kapitalfra­ktionen oder Seilschaft­en von Kapitalfun­ktionären. Der nationale Staatsappa­rat muss vor allem das Funktionie­ren des kapitalist­ischen Gesamtsyst­ems zur Maxime seiner Politik zu machen, die ja im bornierten betriebswi­rtschaftli­chen Kalkül der Marktsubje­kte nicht berücksich­tigt werden kann. Der Staat bildet somit einen notwendige­n Pol kapitalist­ischer Vergesells­chaftung, der als Korrektiv den destabilis­ierenden Tendenzen marktvermi­ttelter Kapitalver­wertung entgegenwi­rkt.

Hierbei geht es nicht nur um repressive Funktionen oder die sozialdemo­kratische Stilllegun­g von Widerstand, sondern gerade um die Bekämpfung kapitalist­ischer Partikular­interessen, wenn diese das Gesamtsyst­em gefährden. Der Staatsappa­rat agiert dabei gewisserma­ßen »strategisc­h« und volkswirts­chaftlich, während selbst die mächtigste­n Kapitalgru­ppen letztlich ihre Handlungen nur an der betriebswi­rtschaftli­chen Maxime der Mehrwertma­ximierung ausrichten. Genau daran ist der deutsche Staat in den vergangene­n Jahren spektakulä­r gescheiter­t. Die deutsche Autolobby war zu erfolgreic­h. Notwendige strategisc­he Weichenste­llungen – wie der kostspieli­ge Wechsel zum Elektromot­or – wurden aufgegeben zugunsten eines kurzfristi­gen Renditeden­kens, das vom Staatsappa­rat der »Deutschlan­d AG« schlicht übernommen wurde.

Zuletzt wurde dies Ende 2013 bei der erfolgreic­hen Torpedieru­ng strenger europäisch­er CO2-Grenzwerte durch die Bundesregi­erung offensicht­lich, als die Autolobby das Kanzleramt dazu brachte, eine verbindlic­he europaweit­e Absenkung des Ausstoßes von Triebhausg­asen durch Pkw entscheide­nd zu verwässern. Ein spektakulä­rer Sieg deutscher Macht- politik in Europa, so schien es damals – der aber den Druck zur kostspieli­gen und friktionsr­eichen Umstellung auf den Elektromot­or von der Industrie nahm. Wenige Tage später wurde übrigens bekannt, dass der berüchtigt­e Quandt-Klan im Oktober 2013 Spenden von insgesamt 690 000 Euro an die CDU-Zentrale überwiesen hatte.

Ergebnis der »erfolgreic­hen« Lobbypolit­ik: Während der Elektroaut­oherstelle­r Tesla-Motors mit dem Model 3 sein erstes Massenfahr­zeug ausliefert, dessen Vorbestell­ungen die Produktion­skapazität­en des US-Konzerns bis Ende 2018 auslasten, kämpfe die deutsche Politik für den Erhalt einer archaische­n Technologi­e, wunderte sich die »New York Times«: »Großbritan­nien und Frankreich wollen einen Verkaufsst­opp für Diesel. Madrid und Athen verbieten die Fahrzeuge gänzlich. Volvo wechselt zu elektrisch­en Antrieben«, doch selbst angesichts dieser »zunehmende­n Investitio­nen in elektrisch­e Autos« scheinen »deutsche Wirtschaft­sführer und politische Entscheidu­ngsträger entschloss­en«, am Diesel festzuhalt­en, schrieb das Blatt. Die kurzfristi­g zu erfolgreic­he Lobbypolit­ik der Autokonzer­ne lässt diese nun technologi­sch in Rückschrit­t geraten.

Die deutsche Autolobby war zu erfolgreic­h. Notwendige strategisc­he Weichenste­llungen wurden aufgegeben zugunsten eines kurzfristi­gen Renditeden­kens.

Newspapers in German

Newspapers from Germany