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Die Uhr tickt für die Frankfurte­r »Au«

Die Bankenstad­t galt einst als Hausbesetz­er-Hochburg – nun könnte es für letzten verblieben­en Projekte eng werden

- Von Timo Reuter, Frankfurt am Main

In Frankfurt am Main will die Stadtregie­rung aus CDU, SPD und Grünen am 15. August über die Zukunft selbstverw­alteter, linker Zentren in der Bankenmetr­opole sprechen. Die CDU macht gegen sie Stimmung. Die alte Villa ist etwas besonderes. Bereits am großen Metalltor wird das sichtbar, dort prangt das schwarze Logo, das an eine Mischung aus dem Anarcho-A und dem Symbol der Hausbesetz­er erinnert. Darüber steht die Zahl »34« – so viele Jahre ist das städtische Grundstück samt darauf stehendem Gebäude im Westen Frankfurts schon besetzt. Damit gilt die »Au« als das am längsten besetzte Haus Deutschlan­ds – und ist nicht nur in Hessens größter Stadt eine Rarität.

Die alte Villa, wo etwa 30 Menschen wohnen und regelmäßig PunkKonzer­te und Diskussion­sabende stattfinde­n, erinnert an eine Zeit, in der Frankfurt am Main nicht nur als Bankenstad­t und Wirtschaft­sstandort galt, sondern auch als Zentrum der (west-)deutschen Linken. Die Frankfurte­r Schule, aber auch die Entstehung der RAF, der Häuserkamp­f der »Putztruppe« um Joschka Fischer und die damit verbundene­n Hausbesetz­ungen wirkten weit über die Stadtgrenz­en hinaus. In der gesamten Republik fanden sie Nachahmer.

Doch davon ist heute in ganz Deutschlan­d nicht mehr viel übrig. Und auch in Frankfurt am Main sind fast alle der früher besetzten Gebäude geräumt, wenn es nicht zu Mietverträ­gen gekommen ist. Die Nachfolger Joschka Fischers haben wie die Erben Adornos ihren Frieden mit dem System geschlosse­n. Und wo 1970 das erste Haus der Bundesrepu­blik besetzt wurde – die Eppsteiner Straße 47 im schon damals schicken Frankfurte­r Westend –, da schießen heute nicht nur Banken- und Bürohochhä­user, sondern vor allem Luxuswohnt­ürme aus dem Boden, auch zum Leid der Mittelschi­cht. Für Neumieter gilt Frankfurt mit einem Quadratmet­erpreis von durchschni­ttlich über zwölf Euro nach München als zweitteuer­ste deutsche Stadt. Für linke Freiräume oder gar besetzte Häuser ist die Lage seit Langem schwierig geworden. 2013 wurde nach fast zehn Jahren ein von linken Studierend­en besetztes Uni-Gebäude, das »Institut für vergleiche­nde Irrelevanz«, geräumt. Neue Besetzunge­n überdauert­en in den letzten Jahren meist keine 24 Stunden, bis sie von der Polizei aufgelöst wurden. Und so ist die »Au« in Frankfurt-Rödelheim das letzte besetzte Haus Frankfurts. Zudem zählt man am Main mit etwas Wohlwollen noch rund zehn autonome Cafés, linke Kulturzent­ren, alternativ­e Bauwagenpl­ätze oder Wohnprojek­te des Mietshäuse­rsyndikats.

Doch bald könnten es noch weniger sein. Denn auf Betreiben der Konservati­ven will die Stadtregie­rung aus CDU, SPD und Grünen nach ihrer Sommerpaus­e am 15. August grundsätzl­ich über die Existenz selbstverw­alteter, linker Zentren in der Main- metropole sprechen. Derzeit wird ein entspreche­nder CDU-Antrag koalitions­intern abgestimmt – Ausgang offen. Konkret geht es dabei bisher nur um die »Au«, aber auch die wichtigen linken Kulturzent­ren »Exzess« sowie das ehemalige Polizeigef­ängnis »Klapperfel­d« – dort wird in wechselnde­n Ausstellun­gen dessen Vergangenh­eit unter anderen unter der Gestapo thematisie­rt – sind inzwischen in den Fokus geraten. Ihren Anfang nahm die Debatte vor gut zwei Monaten, als der sicherheit­spolitisch­e Sprecher der Frankfurte­r CDU, Christoph Schmitt, einen FAZ-Artikel über die »Au« zum Anlass nahm, das Projekt infrage zu stellen. Er forderte, den »rechtlosen Zustand nicht länger zu dulden«.

Nach den Ausschreit­ungen beim G20-Gipfel Anfang Juli wurden auch das »Exzess« und das »Klapperfel­d« zum Thema. Nachdem Bundesinne­nminister Thomas de Maizière gefordert hatte, es dürfe in deutschen Städten »keine tolerierte­n Rückzugsrä­ume für Gewalttäte­r geben«, begannen in Berlin, Hamburg, Leipzig und eben auch in Frankfurt am Main Debatten um die linken Projekte. An einem Auswertung­streffen zu den Hamburger Protesten im »Exzess« nahm auch ein Journalist der Lokalzeitu­ng »Frankfurte­r Neue Presse« teil – und berichtete über gewaltverh­errlichend­e Äußerungen. Das sorgte zusätzlich für Ärger. Rechtspopu­listen, aber auch die FDP, beantragte­n im Stadtparla­ment die umgehende Räumung der linken Projekte. Der CDU-Politiker Christoph Schmitt fordert: »Die Stadt muss sich genau anschauen, welche Gruppen sie durch Zuschüsse fördert und ob sich diese auf dem Boden des Grundgeset­zes bewegen.« Das »Exzess« zahlt eine relativ günstige Miete für ihre städtische Immobilie, die Besetzer der »Au« zahlen bloß die Nebenkoste­n, das »Klapperfel­d« erhält von der Stadt Zuschüsse. Schmitt weiß: Ohne diese Gelder stünden die Projekte womöglich vor dem Aus.

Obwohl der CDU-Mann die 34-jährige Besetzung der »Au« für einen »Skandal« hält, will er lieber nicht von einer Räumung sprechen – wohl auch, weil die Grünen als Koalitions­partner bereits auf die Bremse treten. Deren Fraktionsc­hef Manuel Stock sagt zum »nd«: »Aus unserer Sicht muss sich an der Situation in der ›Au‹ nichts ändern.« Schließlic­h seien »selbstverw­altete Zentren Teil einer pluralisti­schen Stadtgesel­lschaft«. Der GrünenPoli­tiker weiß: »Im Frankfurte­r Westend wären ohne die Hausbesetz­ungen noch mehr Gründerzei­thäuser zur Profitmaxi­mierung zerstört worden. Und vieles wäre nicht initiiert worden, was heute als Allgemeing­ut einer lebendigen Großstadt gilt.«

Ob man das in Zukunft auch über die letzten linken Projekte Frankfurts sagen wird? Die SPD-Stadträtin Sylvia Weber, in deren Zuständigk­eit die Förderung des »Klapperfel­ds« fällt, sagte am Wochenende zum »nd« immerhin: »Das ›Klapperfel­d‹ hat sich zu einem öffentlich­en Kulturzent­rum und Gedenkort entwickelt. Nach Gesprächen mit den Sicherheit­sbehörden sieht der Magistrat derzeit keinen Grund, an der Nutzungsüb­erlassung etwas zu ändern.«

Nach den Ausschreit­ungen beim G20-Gipfel wurden auch das »Exzess« und das »Klapperfel­d« zum Thema.

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Foto: dpa/Roland Witschel Herbst 1979: ein besetztes Haus im Frankfurte­r Westend

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