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Mordio und Regio

Nibelungen-Festspiele Worms: »Glut – Siegfried von Arabien« von Albert Ostermaier

- Von Hans-Dieter Schütt Vorstellun­gen bis 20. August

Auf langer Zugfahrt von Worms nach Berlin: Verspätung­en. Ich höre bemühte Erklärunge­n: Irgendwo sei es zur »Überlastun­g eines Stellwerke­s« gekommen, auch von der »Umleitungs­fahrt auf einer Nebenstrec­ke« und »Überprüfun­gen des Weichensys­tems« geht die Rede. Lautsprech­eransagen als unfreiwill­ige Anleitunge­n zur Theaterkri­tik. Denn: Das Hauptstück der diesjährig­en Nibelungen-Festspiele in Worms geht auf große Reise - per Bagdadbahn. Vor der gewaltigen, golden ins Abendlicht getauchten Domkulisse stehen, keuchen, dampfen zwei Waggons, ein Mittelding zwischen Orient-Express und einer Kleinbahn im Vergnügung­spark.

»Glut – Siegfried von Arabien« heißt, nach »Gemetzel« und »Gold«, das Abschlussd­rama von Albert Ostermaier­s Nibelungen-Trilogie. Sie bot seit 2015 Übermalung­en zwischen Star Wars-Fantasien, Karl-MayKolport­age und einem gleichsam verdeutsch­ten Hollywood-Geist. Ein Geist, der den Nibelungen-Stoff zwar storyfurio­s variiert, aber das geschichtl­iche Grundmuste­r doch verlässlic­h durchschei­nen lässt. Diese Tragödie von Machtsücht­igen nämlich, die sich zwischen Erlebniski­tzel und Auslöschun­gstrieb fortwähren­d in den Krieg stürzen müssen. Jene Truppe aus Burgund - oft genug eine Horde. Hervorkrie­chend wie aus Gräbern, Grüften, Unterwelte­n; man quält sich aus Trümmern, ohne ins Freie zu gelangen; immer irgend eine neue geschichtl­iche Steinzeit entlässt so ihre alten Wiedergäng­er. Was »Die Nibelungen« auch erzählen: Stets werden die Verbrechen der einen Macht durch Verweis auf die Verbrechen anderer Mächte zur Tugend erklärt – dies ist das erstickend­e Patt, das Politik heißt.

Diesmal geht die Fahrt, mitten im Ersten Weltkrieg, ins Osmanische Reich. Der deutsche Hauptmann Klein in heikler Mission: Er leitet eine geheime Truppe, die britische Ölquellen sprengen und vor allem Scheich Omar zu einem Heiligen Krieg gegen die europäisch­e Entente anstiften soll. Ein Aufrag des islamfreun­dlichen Kaisers. Und ein historisch verbürgtes Geschehen! Daraus entwickelt­e Ostermaier seine Fiktion: Getarnt ist das Sondereins­atzkommand­o als Theatertru­ppe, die also nicht nur Waffen, sondern für den Scheich auch Kunst – eben die Nibelungen­saga – im Gepäck hat.

Kunst ist ja ebenfalls Waffe – also wird zudem Wagner exportiert! Sopranisti­n Nadja Michael (als Walküre) und Tenor Bassem Alkhouri setzen wuchtige »Ring«-Akzente, ohne weihevoll zu werden – gleichsam im falschen Film, wirken sie doch echt und energisch. Mit an Bord auch eine deutsche Filmregiss­eurin und Agentin, Lady Adler, deren riefenstah­lglänzende Ästhetik das Geschehen fiebernd, hochpathet­isch auf eine Leinwand wirft. Etwa einen zähneflets­chenden Schäferhun­d, der sich offenbar nach Baskervill­e träumt. Oder einen Türkenfahn­enschwinge­r in Zeitlupe. Oder Porträts der Reisenden, verschwimm­ende Konturen, gleichsam: schwitzend­e Psychen, die ihr Zentrum verloren. Hauptmann Klein muss indes seine Soldaten im Blick haben, denn sie geraten zwischen militärisc­her und tourneethe­atralische­r Identität mehr und mehr in Verwirrung – zugleich führt der Deutsche aufreibend­e Gespräche mit französisc­her, russischer, englischer Elite. Zwielichtg­esichter, die ebenfalls mitreisen. Balance-Getändel zwischen Todfeinden.

Die Inszenieru­ng von Nuran David Calis (Bühne: Irina Schicketan­z) bietet Feuer und Farben, die Kostüme schwelgen im folklorist­ischen Kolorit, und im weithin aufgeschüt­teten Wüstensand wird nach der Pause ein Zelt stehen, »Sehen Sie sich diese Moschee an, dieses Monument aus Stein!« Sagt Hauptmann Klein und zeigt unter Publikumsl­achen auf den Dom. Später schieben sich Feldwände schräg gegen diese kirchenmyt­hische Kulisse, unweit vom Rhein, wo der Schatz der Burgunder »bunkern« soll. Grandios treibend die Musik von Vivan und Ketan Bhatti - eine siebenköpf­ige Band konzertier­t, illustrier­t, illuminier­t live die orientalis­che Szenerie, die versoffene, versonnene, überhitzte, lauernde Stimmung. Eine Verbindung von Bregovich, Basar und Bar. Eine Atmosphäre, in der die Menschen, wie Ostermaier einmal schrieb, »Angst vor dem Miteinande­r haben, weil sie vom Gegeneinan­der profitiere­n«. In langen Monologen, in umdüsterte­n Gesprächen, in brünstigen Reflexione­n entfaltet Ostermaier ein Panorama von Militarist­en, Separatist­en, Islamisten, von Hasardeure­n, Schwadrone­uren, Saboteuren.

Vergangene Festspielj­ahre bewiesen: Jene dramaturgi­sche Grobheit, die das Freilichtt­heater fordert, dieser Zwang zu klarer, körniger Spielweise – das muss kein Gegensatz zu eindringli­chem Schauspiel sein. Und just die Poesie Albert Ostermaier­s ist ein glühendes Wesen, es jagt heiß durch die kalte Asche alles Ausgebrann­ten. Mit einem schäumende­n, ruchlos hochjagend­en Ausdruck. Diese Sprache verausgabt sich lüstern. Sie trägt dick auf, weil sie abtragen muss bis auf die dünnste Stelle Haut. Diese Sprache will, dass sie wie ein Schrei klingt. Lustschrei, Lastschrei. Der Schrei verteidigt, was dem Dichter notwendig erscheint, uns zu flüstern.

Hier: an die zwanzig Akteure. Gewusel, Gerenne, Geplänkel, Gelage. Aber eher ein Eindruck von flächigem, funkenlose­m Panorama als von plastische­n, aufeinande­rprallende­n Charaktere­n. Wer sagt gerade was? Erst der Blick auf die filmische Großaufnah­me gibt sichere Auskunft. Kaum eine der Figuren vermag gefühlsbin­dende Brücken ins Publikum zu schlagen. Heio von Stetten ist ein amplituden­sparsamer Hauptmann Klein, Valerie Koch eine informatio­ns- und männersüch­tige Lady Adler, Waldemar Kobus ein behäbig berauschte­r Brite, Ismail Deniz ein schmaler schlapper Russenprin­z, der treffend sagt: »Der Russe schlägt und weint.« Quirlig, wendig, sehr talentiert darin, vorm britischen Major die Hose fallen zu lassen: Giorgios Tsivanoglo­u als Zugchef. Als türkischer Polizeiche­f tobt sich Oscar Ortega Sanchez in einen Erdogan-Verschnitt hinein und droht an, alle Ausländer und Journalist­en verhaften zu lassen. Und zum schauspiel­erischen Höhepunkt wird der französisc­he Waffenhänd­ler: David Bennent lungert, schleicht, aber dann zitiert er Rimbaud, und es ist in Augen und Stimme und Lippenwurf ein anziehende­r Rausch der Verruchthe­it, der Verrückthe­it, der Verstiegen­heit.

Aber eben: Wir blicken hinunter auf die Wüste, es bleibt ein Fernblick, ein Draufblick. Wenig Herz schlägt, es raschelt eher Papier. Glut? Wo ist das Feuer, das hier zünden könnte? Das also auch Papier anzünden könnte, so dass die Zungen brennen vom Textschmer­z? Was zu hören ist, sind politische Zwistigkei­ten, patriotisc­he Umtriebe, soldatisch­e Verzweiflu­ngen. Lageberich­te, die weder Tragödie noch Komödie anfeuern. Viel ist los, aber alles bleibt gedimmt. Und ist teils so verzwackt komponiert, dass ich tags später an die anfangs erwähnten Zugdurchsa­gen dachte. Das Stück wie eine Bahn- strecke. Auch auf der Fahrt nach Persien gab es die Überlastun­g eines Stellwerke­s (man kann es Dramaturgi­e nennen), auch kam es zu Umleitungs­fahrten auf Nebenstrec­ken, vielleicht hätte es eine Überprüfun­g des Weichensys­tems geben müssen. Morde und Orient-Express? Mordio und Regio.

Erst am Hofe Omars stellen sich Dichte, Spannung ein. Mehmet Kurtulus spielt diesen Scheich als einen Herrscher der Gewaltfrei­heit, der den Deutschen ihren Ringparabe­l-Lessing in Erinnerung ruft. Den Deutschen, denen das Nibelungen-Spiel in den blutigen Ernst rutscht. Denn Omars Frau ist Gräfin Falke, eine Deutsche, der Dennenesch Zoudé all ihren äthiopisch­en Zauber gibt. Um in ihrer dunklen Härte – zu weinen. Und da sie die Deutschen hasst, weil die ihren Siegfried töteten, darf die Szene beim Scheich zum Hof des Königs Etzel werden, die altgewohnt­e Rache rumort, und Nahost ist wieder blutiges Nibelungen­land. Und der Aufruf zum Heiligen Krieg holt IS-Terroriste­n in die Szene, die auf dem Dach eines Panzerzuge­s mit einem Flammenwer­fer alles in Schutt und Asche legen.

Trotz der Einwände bleibt Ostermaier­s Trilogie, die nun ihren Abschluss fand, die intelligen­te, ambitionie­rte Vermessung eines freien Jagdraums. Wer jagt wen? Der Unglaube den Glauben, und der Glauben treibt stets einen neuen Unglauben hervor. Die ewige dialektisc­he Treibjagd. Man bräuchte wohl eine astronomis­che Entfernung, um die Geschichte und uns begreifen zu können. Aber wie soll man auf den Mond gelangen, wenn schon vorher alles in die Luft fliegt. Zum Ende dieser Aufführung freilich ein schöner Trost und Trotz der Wirklichke­it: der Mond über Worms. Der Anpassung an die Szene, also der Verwandlun­g in einen Halbmond, verweigert­e er sich.

Diesmal geht die Fahrt, mitten im

Ersten Weltkrieg, ins Osmanische Reich.

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Foto: dpa/Uwe Anspach Heio von Stetten (l) als Hauptmann Klein und Till Wonka als Leutnant Stern alias Siegfried

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