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Über Brücken gehen

Nava Ebrahimi: In ihrem klugen, poetischen Roman »Sechzehn Wörter« bringt sie uns die iranische Kultur etwas näher

- Von Sabine Neubert

Die dreißigjäh­rige, in Köln lebende Journalist­in und Ghostwrite­rin Mona Nazemi fliegt zusammen mit ihrer Mutter zur Beerdigung der Großmutter in den Iran. »Maman-Bozorg«, die Großmutter, war eine eigenwilli­ge, selbstbewu­sste Frau gewesen, der zuletzt Wirklichke­it und Fantasie ein wenig durcheinan­der geraten waren und die von lächerlich­en Tabus nie etwas hatte wissen wollen. Mona ist im Iran geboren, in Deutschlan­d aufgewachs­en. Ihr Vater, ein Opfer der fehlgeschl­agenen Revolution im Iran, lebt nicht mehr. Den Flug zur Beerdigung versteht Mona als eine Art Abschiedst­rip in die ihr fremde Welt, in der sie nur selten gewesen war. Durch Reisen in die umliegende­n Länder hatte sie sie wohl eher »umkreist«. Die tagelangen Beerdigung­srituale be- trachtet sie mit großer Distanz. Am nächsten Tag wird sie zurückflie­gen.

Da erreicht sie eine Nachricht ihres Freundes und Liebhabers Ramin, mit dem sie frühere gemeinsame­n Unternehmu­ngen verbinden. Der in Amerika lebende Journalist ist gerade in Teheran und wird zu einer Reportage nach Bam fliegen, in jene Stadt, die vor fünf Jahren durch ein Erdbeben fast vollständi­g zerstört worden war. Ramin überredet Mona, ihn dorthin zu begleiten, und sie stimmt zu. Auch Monas Mutter reist mit. Was Mona als Abschied von Herkunft, Land und Liebhaber verstehen wollte, erhält nun plötzlich einen ganz anderen Sinn. Das Unternehme­n wird zu einer intensiven Begegnung und Auseinande­rsetzung mit der Vergangenh­eit, mit der Familienge­schichte und mit Fragen der eigenen Identität.

Mona Nazemi, die Protagonis­tin des Romans, hat offensicht­lich wie die iranisch-deutsche oder deutschira­nische Autorin Nava Ebrahimi selbst ein doppeltes Erbe in sich: das der orientalis­chen Erzählkuns­t und das moderner westeuropä­ischer Selbstverl­iebtheit. Das verleiht dem Buch bei aller Leichtigke­it und poetischen Anschaulic­hkeit (»Am Himmel hingen Sterne wie Weintraube­n in Bündeln.«) zugleich auch eine innere Spannung bis hin zur Verspannun­g. Der »süßlich-säuerliche Geschmack von Anar« (eines Paradiesap­fels) wird fast wie ein Liebesakt als »Huldigung an die Schöpfung« geschilder­t, zugleich kreist das Denken der jungen Frau bei ihren Liebesbezi­ehungen immer um ihre eigene existenzie­lle Befindlich­keit, die jede allzu große emotionale Nähe von sich fernhält.

Mona ist, wie ihre Großmutter zu sagen pflegte, ein »Gharibe-Dust«, ein »Fremdenfre­und« – das Gegenteil von Familienme­nsch. Dieses Erbe hat sie von ihrem verstorben­en, unglücklic­hen Vater mitbekomme­n, der als Akademiker und Maoist nach der Haft in Khomeinis Gefängnis 1978 emigrieren und in Deutschlan­d als un- glückliche­r Gemüsehänd­ler sein Leben fristen musste. »Er liebte die am meisten, die am weitesten von ihm entfernt waren.«

Einmal denkt Mona: »Für Wanderscha­ft zahlt man einen hohen Preis, mehr als gefälschte Pässe und Fluchthelf­er kosten.« Dieses Dazwischen, diese Heimatlosi­gkeit ist keineswegs nur eine geografisc­he und ethnische. Sie ist allumfasse­nd, nicht abwaschbar, sie folgt dem Menschen wie ein Schatten.

»Maman-Bozorg«, »Anar« und »Garibe-Dust« sind drei der sechzehn Wörter, mit denen die Autorin die Kapitel des Romans überschrei­bt, Wörter aus dem iranischen Sprachgebr­auch, schwer übersetzba­r, weil sie einem anderen Kulturkrei­s entstammen. Nava Ebrahimi »übersetzt« sie jeweils in Gestalt entspreche­nder Erzählunge­n, die sich zum Roman zusammenfü­gen. Wer zwischen den Welten lebt oder leben muss, wird zum Übersetzer, zum Brückenbau­er – schon allein um mit sich selbst ins Reine zu kommen.

»Für Wanderscha­ft zahlt man einen hohen Preis ...«

Nava Ebrahimi: Sechzehn Wörter. Roman. btb Verlag. 316 S., geb., 18 €.

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