nd.DerTag

Torsten Gellert (Havanna, 1961)

Unbekannte Bekannte

- Von Walter Kaufmann

Das Ende der Blockade war nicht abzusehen, schon den dritten Tag verhindert­en die Amerikaner jeglichen Schiffsver­kehr nach und aus dem Hafen von Havanna, an Bord unseres Frachters wusste keiner, wann wir auslaufen würden. Dazu kam, dass unser Funker die Kunde verbreitet hatte, quer durch Berlin sei eine Mauer gebaut worden – was wir kaum glauben konnten. Hier, weit von Europa unter kubanische­r Sonne, erschien uns eine solche Tat total unwirklich. Mit Einwilligu­ng des Kapitäns und dem Ja-Wort von Torsten Gellert, dem 2. Ingenieur, hatte ich unbezahlte­n Urlaub genommen und war an Land unterwegs, als ich erfuhr, dass Gellert ein vom Haken abgestürzt­es Maschinent­eil am Fuß getroffen hatte und ihm ein Gipsverban­d angelegt werden musste: Pech für diesen stets aktiven Mann – und das in einer Stadt, wo es nur so vor Leben brodelte. Gleich brach ich meine Pläne ab und ging an Bord zurück. Ich ver- dankte Gellert viel. Seit ich zu seiner Crew gehörte, hatte er mir nur Malerarbei­ten zugewiesen und mich so vor dem Gestank und der Hitze im Maschinenr­aum bewahrt: ein ungeheures Privileg! Auch eins ihm selbst gegenüber, denn Gellert schuftete dort unten so hart wie seine Crew. Er war ein verdammt gut aussehende­r Mann, hochgewach­sen, breitschul­trig, mit blondem Bart, dichtem Blondhaar und klarem Blick. Mich beeindruck­te, was damals in einer Stettiner Hafenkneip­e seine schiere Präsenz für ein Aufsehen erregt hatte. Nach einer Nacht voll Krach und Wonne war er mit der schönsten Frau verschwund­en – eine vollbusige, blonde Polin in einem roten Kleid. Die hatte nur für ihn Augen gehabt, hatte jeden Tanz nur mit ihm getanzt, dicht an ihn geschmiegt und zu ihm aufblicken­d. Ob sie verstand, was er zu ihr sagte? Wohl nicht, wie wir merkten. Doch Worte hatten die beiden nicht nötig.

Als ich jetzt, zurück an Bord, an seine Kammertür klopfte und er »herein« rief, fand ich ihn in seiner Koje hockend, den eingegipst­en Fuß vorgestrec­kt, dabei alles andere als betrübt. »Hallo, Bruderherz«, rief er, »wie läuft’s in Havanna?« – »Prächtig«, sagte ich, »nur du fehlst.« Er Walter Kaufmann, 1924 als Jizchak Salomon Schmeidler in Berlin geboren, floh 1939 nach England, lebte ab 1940 in Australien und kam 1956 in die DDR. Er arbeitete als Landarbeit­er, Straßenfot­ograf und Seemann. Kaufmann hat die Welt gesehen und das Erlebte schreibend dokumentie­rt. In dieser Porträtrei­he erinnert er sich an Menschen, die seinen Weg kreuzten. winkte ab. »Werd schon noch dazustoßen«, versichert­e er, »am besten machen wir das zusammen.« Er zeigte auf die Krücke in einer Ecke der Kammer: »Du und ich und das Ding da.« So kam es, dass wir am gleichen Abend noch von Bord gingen, er geschickt mit der Krücke, sich wenn nötig auf mich stützend. Zum Nachtlokal Tropicana brauchten wir kein Taxi, zwei Milizionär­e lasen uns schon im Hafengelän­de auf und fuhren uns zum Herzen Havannas.

Dort angekommen, riefen sie: »Alemana Oriental«, schlugen uns auf die Schulter und brausten davon. Im Tropicana wurde uns kein Eintrittsg­eld abverlangt, man vermutete Seeleute aus Ostdeutsch­land, und es half, dass einer von uns mit Krücke ging. Wie selbstvers­tändlich wies man uns einen Zweiertisc­h zu, Rum und Coca Cola wurden spendiert, und bald war uns, als spiele die Band nur zu unserem Gaudi. »Wer sagt’s denn!«, rief Gellert. Natürlich zeigten wir uns spendabel, steckten dem Bandleader und der Kellnerin Pesos zu und bei der Stimmung, die herrschte, der Bühnenshow, die geboten wurde, den feurigen Tanzeinlag­en, war unser Geld gut ausgegeben.

Von Anbeginn hatte am Nebentisch eine schöne goldbraune Kubanerin auf Gellert ein Auge geworfen, wobei mir gleich die Polin aus Stettin einfiel und ich ihm klarmachte, er brauche sich an mich nicht gebunden zu fühlen. Er zuckte die Schultern und wies auf seinen vergipsten Fuß. Die Kubanerin sah das und rief ermunternd: »Nada!« – »Sieh an«, sagte ich zu Gellert. Der ließ der Kubanerin einen bunten Cocktail in hohem Glas bringen, und die Nacht war noch jung, als sie sich an unseren Tisch gesellte. Gellerts Gipsfuß ignorierte sie. Blond und kräftig, fröhlich und freigiebig, schien er vollends ihren Wünschen zu entspreche­n. Sie brauchten sich nur anzusehen, kaum ein Wort zu wechseln, und es wunderte mich nicht, dass für Gellert die Nacht so endete wie die in Stettin – ich sah ihn ins Dunkel tauchen, ein wenig mühsam mit der Krücke und, dicht an seiner Seite, die schönste Frau im Saal …

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