A wopbop-aloobop!
Heute vor 40 Jahren starb Elvis Presley, der »King of Rock ’n’ Roll« war, bevor er zum Schmalz- und Schlagersänger mutierte
Heute vor 40 Jahren starb Elvis Presley. Als King of Rock ’n’ Roll revolutionierte er in den 50ern die Musik, bevor er auf seine alten Tage zum Schlager singenden Mops mutierte.
Heute wäre der US-amerikanische Rock ’n’ RollSänger Elvis Presley 82 Jahre alt geworden, wäre er noch am Leben. Davon, dass er auch heute noch im strahlend weißen, glasperlenbesetzten XXL-Overall in Las Vegas auf die Bühne gehen würde, um im Laufe seines Konzerts mit seinem Schweiß vollgesogene kleine Tüchlein an interessierte Damen im Publikum zu verteilen, ist nicht auszugehen. Wahrscheinlicher ist wohl, dass er, wenn er in diesem hohen Alter seinen Tablettenkonsum und die Zahl der täglich verzehrten gegrillten HonigbananeErdnussbutter-Sandwiches und Cola-Eimer nicht reduziert hätte, nicht mehr ohne Hilfe anderer die Bühne erklettern könnte.
Was »A Wop Bopaloo Bop Alop Bam Boom« ungefähr bedeuten sollte, konnte man zwar nicht genau wissen, aber man mutmaßte Schlimmes.
Doch bevor Elvis Presley in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts zunächst zum geschniegelten Unterhaltungsfilmschönling und Schlagerfuzzi und in den 70ern schließlich zum ebenso schmierigen wie größenwahnsinnigen Bühnenmops mutierte, bevor er also andere ein Produkt aus sich machen ließ, in einem früheren Leben, war er der arme, dumme Junge von der Straße, der zum King of Rock ’n’ Roll wurde.
Er war derjenige, der erfolgreich die bis dahin unter Weißen als obszön und unerhört geltende Musik von schwarzen Künstlern wie Little Richard und Chuck Berry gesellschaftsfähig machte und dabei unfreiwillig einer diffus unzufriedenen Jugend eine Stimme verlieh. Plötzlich bekamen die Songtexte eine zweite Bedeutungsebene, von der man vorher nichts gewusst hatte. Auch der Rhythmus vieler dieser neuen Lieder eignete sich bedenklicherweise eher zum hastig vollzogenen Geschlechtsverkehr auf dem Autorücksitz als zum Händchenhalten. Und was Textpassagen wie »A Wop Bopaloo Bop Alop Bam Boom« ungefähr bedeuten sollten, konnte man zwar nicht genau wissen, aber man mutmaßte Schlimmes, zumin- dest unter den älteren Generationen. Möglicherweise waren hier gar unsittliche Handlungen im Spiel, deren Verworfenheit man nur dunkel ahnen konnte. »Elvis war ein gottverdammter Lastwagenfahrer, der seine Mutter anbetete und in ihrer Nähe niemals Scheiße oder Ficken gesagt hätte, und doch stieß Elvis Amerika mit der Nase auf die Tatsache, dass es einen Unterleib hatte, dessen kategorische Forderungen unerfüllt geblieben waren«, schrieb der 1982 im Alter von nur 33 Jahren verstorbene Journalist Les- ter Bangs. Allerdings verging nicht viel Zeit, bis Elvis, in den Händen eines Übervaters von Manager, die »Langeweile vermarktete« und in der Folge anderthalb Jahrzehnte lang »beschissene Platten« veröffentlichte, wie Bangs, der Mann, der die mo- derne Popkritik erfand, in einem Essay schreibt. »Da stand Elvis, kostümiert mit diesem lächerlichen weißen Anzug, in dem er aussah wie eine Zwingburg aus König Arthurs Zeiten. Er war zu dick, und seine Gürtelschnalle war so groß wie Ihr Kopf, bloß dass Ihr Kopf nicht aus reinem Gold ist, und jeder Geringere hätte in diesem Aufzug wie die Karikatur eines Neil-Diamond-Verschnitts ausgesehen, doch Elvis stand er.«
Bangs’ schöner, hier zitierter Essay (»Wo waren Sie, als Elvis starb?«) ist abgedruckt in dem soeben aus Anlass des 40. Todestags des berühmten Sängers erschienenen gleichnamigen kleinen Band, der »Photographien aus den besten Jahren« Presleys versammelt, also aus den frühen Jahren seiner Karriere, den 1950ern: Elvis mit aufgeworfenen Lippen und verträumtem, in die Ferne gerichtetem Blick, Elvis in strahlend rotem Hemd vor strahlend rotem Hintergrund, Elvis ganz in Weiß vor seinem 1957 neu erworbenen Anwesen Graceland, darunter zahlreiche Bilder, die an eine (noch nicht ins allgemeine gesellschaftliche Bewusstsein gedrungene) schwule Ikonographie erinnern.
Und wir sehen Schwarz-Weiß-Fotoserien, in denen Elvis, mit ins Gesicht fallenden Haarsträhnen, zu sehen ist, wie er die Bewegungen vollführt, die ihn berühmt gemacht haben: der ekstatische Tanz, das fortwährende Herumwerfen des Kopfes, das Fingerschnipsen, das sich perfekt in den Rhythmus schmiegende Hüften- und Powackeln, das rasche Hinund Herbalancieren auf den Schuhspitzen, das wie choreografiert scheinende Hin- und Herschwenken des Mikrofonständers, die körperliche Hingabe an die Musik. Bei einem weißen männlichen Sänger, der – noch schlimmer! – obendrein etwas Androgynes an sich hat, hatte man derlei unanständiges Treiben bis Mitte der 1950er Jahre noch nicht gesehen.
Lester Bangs erlebt und beschreibt 1971 einen Auftritt Presleys wie folgt: »Außer ihm habe ich noch nie einen Sänger zu Gesicht bekommen, der mich sexuell stimulierte; es war keine richtige Erregung, eher eine Erektion des Herzens: Wenn ich ihn ansah, trieben mich Sehnsucht und Neid, Ehrfurcht und Identifikationsdrang zur Raserei.« A Wop Bopaloo Bop Alop Bam Boom.
»Elvis Presley – Wo waren Sie, als Elvis starb?« Mit einem Text von Lester Bangs und 64 Abbildungen. Schirmer MoselVerlag, 119 S., brosch., 7,95 €.