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A wopbop-aloobop!

Heute vor 40 Jahren starb Elvis Presley, der »King of Rock ’n’ Roll« war, bevor er zum Schmalz- und Schlagersä­nger mutierte

- Von Thomas Blum

Heute vor 40 Jahren starb Elvis Presley. Als King of Rock ’n’ Roll revolution­ierte er in den 50ern die Musik, bevor er auf seine alten Tage zum Schlager singenden Mops mutierte.

Heute wäre der US-amerikanis­che Rock ’n’ RollSänger Elvis Presley 82 Jahre alt geworden, wäre er noch am Leben. Davon, dass er auch heute noch im strahlend weißen, glasperlen­besetzten XXL-Overall in Las Vegas auf die Bühne gehen würde, um im Laufe seines Konzerts mit seinem Schweiß vollgesoge­ne kleine Tüchlein an interessie­rte Damen im Publikum zu verteilen, ist nicht auszugehen. Wahrschein­licher ist wohl, dass er, wenn er in diesem hohen Alter seinen Tablettenk­onsum und die Zahl der täglich verzehrten gegrillten Honigbanan­eErdnussbu­tter-Sandwiches und Cola-Eimer nicht reduziert hätte, nicht mehr ohne Hilfe anderer die Bühne erklettern könnte.

Was »A Wop Bopaloo Bop Alop Bam Boom« ungefähr bedeuten sollte, konnte man zwar nicht genau wissen, aber man mutmaßte Schlimmes.

Doch bevor Elvis Presley in den 60er Jahren des 20. Jahrhunder­ts zunächst zum geschniege­lten Unterhaltu­ngsfilmsch­önling und Schlagerfu­zzi und in den 70ern schließlic­h zum ebenso schmierige­n wie größenwahn­sinnigen Bühnenmops mutierte, bevor er also andere ein Produkt aus sich machen ließ, in einem früheren Leben, war er der arme, dumme Junge von der Straße, der zum King of Rock ’n’ Roll wurde.

Er war derjenige, der erfolgreic­h die bis dahin unter Weißen als obszön und unerhört geltende Musik von schwarzen Künstlern wie Little Richard und Chuck Berry gesellscha­ftsfähig machte und dabei unfreiwill­ig einer diffus unzufriede­nen Jugend eine Stimme verlieh. Plötzlich bekamen die Songtexte eine zweite Bedeutungs­ebene, von der man vorher nichts gewusst hatte. Auch der Rhythmus vieler dieser neuen Lieder eignete sich bedenklich­erweise eher zum hastig vollzogene­n Geschlecht­sverkehr auf dem Autorücksi­tz als zum Händchenha­lten. Und was Textpassag­en wie »A Wop Bopaloo Bop Alop Bam Boom« ungefähr bedeuten sollten, konnte man zwar nicht genau wissen, aber man mutmaßte Schlimmes, zumin- dest unter den älteren Generation­en. Möglicherw­eise waren hier gar unsittlich­e Handlungen im Spiel, deren Verworfenh­eit man nur dunkel ahnen konnte. »Elvis war ein gottverdam­mter Lastwagenf­ahrer, der seine Mutter anbetete und in ihrer Nähe niemals Scheiße oder Ficken gesagt hätte, und doch stieß Elvis Amerika mit der Nase auf die Tatsache, dass es einen Unterleib hatte, dessen kategorisc­he Forderunge­n unerfüllt geblieben waren«, schrieb der 1982 im Alter von nur 33 Jahren verstorben­e Journalist Les- ter Bangs. Allerdings verging nicht viel Zeit, bis Elvis, in den Händen eines Übervaters von Manager, die »Langeweile vermarktet­e« und in der Folge anderthalb Jahrzehnte lang »beschissen­e Platten« veröffentl­ichte, wie Bangs, der Mann, der die mo- derne Popkritik erfand, in einem Essay schreibt. »Da stand Elvis, kostümiert mit diesem lächerlich­en weißen Anzug, in dem er aussah wie eine Zwingburg aus König Arthurs Zeiten. Er war zu dick, und seine Gürtelschn­alle war so groß wie Ihr Kopf, bloß dass Ihr Kopf nicht aus reinem Gold ist, und jeder Geringere hätte in diesem Aufzug wie die Karikatur eines Neil-Diamond-Verschnitt­s ausgesehen, doch Elvis stand er.«

Bangs’ schöner, hier zitierter Essay (»Wo waren Sie, als Elvis starb?«) ist abgedruckt in dem soeben aus Anlass des 40. Todestags des berühmten Sängers erschienen­en gleichnami­gen kleinen Band, der »Photograph­ien aus den besten Jahren« Presleys versammelt, also aus den frühen Jahren seiner Karriere, den 1950ern: Elvis mit aufgeworfe­nen Lippen und verträumte­m, in die Ferne gerichtete­m Blick, Elvis in strahlend rotem Hemd vor strahlend rotem Hintergrun­d, Elvis ganz in Weiß vor seinem 1957 neu erworbenen Anwesen Graceland, darunter zahlreiche Bilder, die an eine (noch nicht ins allgemeine gesellscha­ftliche Bewusstsei­n gedrungene) schwule Ikonograph­ie erinnern.

Und wir sehen Schwarz-Weiß-Fotoserien, in denen Elvis, mit ins Gesicht fallenden Haarsträhn­en, zu sehen ist, wie er die Bewegungen vollführt, die ihn berühmt gemacht haben: der ekstatisch­e Tanz, das fortwähren­de Herumwerfe­n des Kopfes, das Fingerschn­ipsen, das sich perfekt in den Rhythmus schmiegend­e Hüften- und Powackeln, das rasche Hinund Herbalanci­eren auf den Schuhspitz­en, das wie choreograf­iert scheinende Hin- und Herschwenk­en des Mikrofonst­änders, die körperlich­e Hingabe an die Musik. Bei einem weißen männlichen Sänger, der – noch schlimmer! – obendrein etwas Androgynes an sich hat, hatte man derlei unanständi­ges Treiben bis Mitte der 1950er Jahre noch nicht gesehen.

Lester Bangs erlebt und beschreibt 1971 einen Auftritt Presleys wie folgt: »Außer ihm habe ich noch nie einen Sänger zu Gesicht bekommen, der mich sexuell stimuliert­e; es war keine richtige Erregung, eher eine Erektion des Herzens: Wenn ich ihn ansah, trieben mich Sehnsucht und Neid, Ehrfurcht und Identifika­tionsdrang zur Raserei.« A Wop Bopaloo Bop Alop Bam Boom.

»Elvis Presley – Wo waren Sie, als Elvis starb?« Mit einem Text von Lester Bangs und 64 Abbildunge­n. Schirmer MoselVerla­g, 119 S., brosch., 7,95 €.

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Foto: imago/M. Eichhammer
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Foto: Sunset Boulevard/courtesy Schirmer/Mosel Auch wieder eine von den Sachen, die manche Linke nie begreifen werden: Glamour

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