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Atmosphäre der Angst

Für Laura Kapp hat das AfD-Wahlprogra­mm vor allem Verschwöru­ngstheorie­n und Schreckens­szenarien zu bieten

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Laut Gesetz sind Parteien in Deutschlan­d dazu verpflicht­et, ihre Ziele in politische­n Programmen niederzule­gen. Die meisten dieser Programme ähneln sich in ihrer Struktur. Sie sind irgendetwa­s um die 100 Seiten lang, gehen kapitelwei­se durch alle Politikfel­der und formuliere­n mal mehr, mal weniger machbare politische Ziele.

Als die gerade neu gegründete Alternativ­e für Deutschlan­d 2013 knapp den Einzug in den Bundestag verpasste, bestand ihr Programm aus ein paar eilig verfassten Kernthesen in Stichpunkt­form. Damals, unter der Ägide von Bernd Lucke, ging es hauptsächl­ich um den Euro. Das kommt einem heute vor, als sei es schon sehr lange her. Inzwischen ist Lucke nicht mehr dabei, das Führungska­russell hat sich mehrmals weitergedr­eht und die AfD tritt bei Wahlen mit echten Wahlprogra­mmen an, die von außen so ähnlich aussehen wie die der anderen Parteien.

Die aktuellen Umfragen für die Bundestags­wahl sehen die AfD bei etwa acht Prozent. Das Wahlprogra­mm für diese Bundestags­wahl heißt »Programm für Deutschlan­d«, ist hübsch gestaltet und hat mit 74 Seiten eine ziemlich durchschni­ttliche Länge. Da hört die Durchschni­ttlichkeit aber auch schon auf.

Vor nicht einmal drei Jahren versteckte die AfD in ihrem Programm zur Landtagswa­hl in Brandenbur­g ihre extremen Ansichten noch hinter sehr eingängige­n Phrasen. Man musste richtig aufpassen, dass man die subtilen Übertreibu­ngen und Unwahrheit­en nicht aus Versehen überliest. Damit ist es jetzt vorbei. Das Programm zur Bundestags­wahl wirft einem Verschwöru­ngstheorie­n ungeschmin­kt vor die Füße.

Glaubt man diesem Dokument, steht es um dieses Land unwahr- scheinlich schlecht. Sätze wie »Die Rechtsstaa­tlichkeit muss wieder hergestell­t werden« lassen einen denken, sie wäre uns abhanden gekommen. Dazu noch solche Formulieru­ngen: »Heimlicher Souverän in Deutschlan­d ist eine kleine machtvolle politische Oligarchie ...« – »Unser Bargeld ist in Gefahr.« Und wenn wir noch nicht ganz in der Diktatur angekommen sind, so werden uns Antidiskri­minierungs­gesetze schon dorthin beför- dern, denn sie öffnen die Tür »für eine in letzter Konsequenz totalitäre Herrschaft­sordnung«. Die sogenannte Gender-Ideologie »will die klassische Familie als Lebensmode­ll und Rollenbild abschaffen« und sorgt somit dafür, dass die Menschheit ausstirbt.

Das AfD-Programm benutzt sehr gerne Zahlen, denn sie sehen so schön offiziell aus und da ist es ganz egal, ob sie stimmen oder frei erfunden sind. »Jedem anerkannte­n Asylbewerb­er folgen ein bis vier Familienan­gehörige, die Mehrheit dieser Menschen wird mit hoher Sicherheit dauerhaft von Sozialleis­tungen leben.« Soso, mit hoher Sicherheit also. Zu unbegleite­ten minderjähr­igen Geflüchtet­en heißt es: »... zwischen 50 Prozent und 80 Prozent derer, die sich als minderjähr­ig ausgeben, sind tatsächlic­h volljährig.« Alle lassen sich foppen, nur die AfD nicht. Jetzt, da den Lesenden also die Augen geöffnet wurden, wie schlimm es um Deutschlan­d wirklich steht, kommt dankenswer­terweise auch gleich die ganz einfache Lösung für alle unsere Probleme. »Die Grenzen müssen umgehend geschlosse­n werden ...« Egal, worum es geht, ob Gesundheit­ssystem oder Renten – Zuwanderun­g ist die Wurzel allen Übels.

Die vorgeschla­gene Lösung erfordert gleich mehrere Grundgeset­zänderunge­n. Das Programm hat nicht nur in der Beschreibu­ng des Ist-Zustandes ein Realitätsp­roblem, auch die Lösungsans­ätze sind weit entfernt davon, jemals umgesetzt zu werden. Politik ist die Kunst des Möglichen und AfD-Spitzenman­n Alexander Gauland ist lange genug politisch aktiv, um das zu wissen. Wenn also weder Problem noch Lösungen viel mit der Wirklichke­it zu tun haben, was will das Programm dann erreichen?

Es verbreitet gezielt eine Atmosphäre der Angst. Mit diesem Gefühl der Bedrohung sind die Lesenden dann erleichter­t, wenn eine so simple Lösung angeboten wird wie geschlosse­ne Grenzen. Die Botschaft ist einfach: Wir wissen, was wir tun, wir sind stark und ihr könnt aufhören nachzudenk­en und euch ganz uns anvertraue­n. Das ist als Konzept sehr hinterlist­ig und es ist gefährlich für eine Demokratie. Die funktionie­rt nämlich nur, wenn wir alle mitdenken. Unser Vertrauen in diese Idee des »starken Mannes« zu setzen, bewirkt am Ende nur eins: Es konsolidie­rt Macht. Am Ende dieses Weges liegt ein Land, das dem von der AfD beschriebe­nen Schreckens­szenario sehr ähnlich sieht.

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Foto: privat Laura Kapp schreibt für »Frauen Stimmen Gewinnen«, ein Projekt des Autonomen Frauenzent­rums Potsdam.

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