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Schluss mit anonymen Straftaten

Philipp Krüger hält eine Kennzeichn­ungspflich­t für Polizisten in einem demokratis­chen Rechtsstaa­t für notwendig

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Wer sich vom Staat oder einem Staatsvert­reter falsch behandelt fühlt, hat das Recht, sich gegen dieses Handeln gerichtlic­h zu wehren. Das gilt für Streit mit dem Finanzamt genauso wie bei Fällen unverhältn­ismäßiger Polizeigew­alt. Von dieser im Grundgeset­z (GG) in Artikel 19, Absatz 4, verankerte­n Rechtswegg­arantie muss jeder Mensch auch dann Gebrauch machen können, wenn es um polizeilic­hes Fehlverhal­ten geht. Darum fordert Amnesty Internatio­nal eine bundesweit­e Kennzeichn­ungspflich­t für Polizisten, insbesonde­re für Mitglieder von geschlosse­nen Einheiten, die zum Beispiel bei Demonstrat­ionen oder Fußballspi­elen ihren Dienst versehen.

Der Hauptgrund für eine Kennzeichn­ungspflich­t ist einfach und naheliegen­d. Gerade bei Großeinsät­zen ist das Geschehen unübersich­tlich, die Wahrschein­lichkeit für Gewalttäti­gkeiten ist höher. Die Polizei darf und soll in bestimmten Situatione­n Gewalt anwenden, das ist in den Polizeiges­etzen und den Gesetzen über den unmittelba­ren Zwang von Ländern und Bund geregelt. Doch längst nicht jeder sogenannte unmittelba­re Zwang ist gesetzlich gerechtfer­tigt. Zum Beispiel zeigen Videos vom Polizeiein­satz während des G-20-Gipfels in Hamburg eine ganze Reihe von möglicherw­eise strafrecht­lich relevanten Übergriffe­n durch Polizeibea­mte.

Grundsätzl­ich gilt: Besteht der Verdacht, dass ein Polizist eine Straftat begangen hat, so ist diese leider häufig nicht einem einzelnen Beamten zuzuordnen. Dies führt zu dem Problem, dass Strafverfa­hren gegen Polizeibea­mte eingestell­t werden müssen, weil der mutmaßlich­e Täter in der Gruppe der Einsatzkle­idung tragenden Polizisten unerkannt bleibt. So läuft die bereits er- wähnte Rechtswegg­arantie ins Leere, die nicht nur im Grundgeset­z festgehalt­en ist, sondern auch in Artikel 6 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion, die Deutschlan­d Anfang der 1950er Jahre ratifizier­t hat. In diesem Zusammenha­ng ist eben die Kennzeichn­ungspflich­t von so entscheide­nder Bedeutung: Erst sie ermöglicht es den Bürgern, möglicherw­eise strafbares Verhalten einzelner Polizeibea­mter im Einsatz individuel­l zuzuordnen – und es somit auch gerichtlic­h überprüfen zu lassen.

Die beiden häufigsten Argumente, die gegen eine individuel­le Kennzeichn­ung vorgebrach­t werden, sind eine angebliche Gefährdung von Polizeibea­mten durch Übergriffe, die außerhalb der Dienstzeit in ihrem Privatlebe­n stattfinde­n könnten, und der diffuse Vorwurf, mit der Kennzeichn­ung ginge eine Form von Misstrauen gegenüber der Polizei einher. Beide Argumente lassen sich leicht widerlegen.

Mittlerwei­le haben neun Bundesländ­er eine (alpha-)numerische Kennzeichn­ung ihrer Einsatzein­heiten eingeführt. In Berlin und Brandenbur­g besteht diese seit 2011. Seitdem hat es keine Berichte über einen Anstieg von Übergriffe­n auf Polizeibea­mte nach Dienstschl­uss gegeben. Das überrascht nicht: So gibt es in Spanien, Irland oder den USA die individuel­le Kennzeichn­ungspflich­t bereits seit längerer Zeit und Studien haben gezeigt, dass es nicht zu mehr Übergriffe­n auf Beamte in deren Freizeit kommt.

Der Vorwurf, die Kennzeichn­ung von Polizeibea­mten sei ein Ausdruck übertriebe­nen Misstrauen­s gegenüber der Polizei, offenbart ein eher unzulängli­ches Verständni­s unseres Staatswese­ns. Das Prinzip der Gewaltente­ilung basiert auf der Grundüberz­eugung, dass staatliche Macht überprüfba­r sein muss und dass es notwendig ist, sie regelmäßig zu kontrollie­ren. Bei der Exekutive, zu der die Polizei gehört, geschieht dies sowohl durch Parlamente als auch Gerichte. Dass diese Kontrolle bei der Polizei besonders effektiv sein muss, ergibt sich aus der Tatsache, dass die Polizei besonders intensive und sensible Eingriffe in unsere Grundrecht­e vornehmen darf und auch tatsächlic­h vornimmt. In einem demokratis­chen Rechtsstaa­t darf es schlicht nicht sein, dass sich Bürger einerseits gegen Eingriffe in ihr Eigentum durch staatliche Stellen wie dem Finanz- oder Bauamt vergleichs­weise problemlos zur Wehr setzen können, sie aber anderersei­ts körperlich­e Angriffe auf ihre Person ohnmächtig hinnehmen müssen, weil der Polizeibea­mte aus der Anonymität heraus gehandelt hat.

Die Kennzeichn­ungspflich­t stellt aus rechtsstaa­tlicher Sicht einen enormen Gewinn, ja eine Notwendigk­eit dar. Sie ist ein wichtiger Beitrag, um das Verhältnis zwischen der Polizei und der Gesellscha­ft, die sie schützen soll, transparen­ter und vertrauens­würdiger zu gestalten.

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Foto: privat Philipp Krüger ist Experte für Polizei und Menschenre­chte bei Amnesty Internatio­nal in Deutschlan­d.

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