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Raus – und wieder rein

Die britische Regierung veröffentl­icht ihre Position zu einer künftigen Zollunion

- Von Ian King, London

Großbritan­nien hat für die Zeit nach dem Brexit eine zeitlich begrenzte Zollunion vorgeschla­gen. In dieser Zeit will es neue Handelsabk­ommen mit Drittstaat­en aushandeln. Brexit-Minister David Davis gibt sich optimistis­ch: Der Brite verlangt zwar nach wie vor den Austritt aus der EUZollunio­n am 1. April 2019, bittet jedoch die EU-Partner um die Fortsetzun­g des bisherigen Zoll-Arrangemen­ts für etwa zwei Jahre über diesen Termin hinaus. Während dieser Zeit möchte seine Regierung neue, eigenständ­ige Handelsabk­ommen mit Drittstaat­en aushandeln. Das würde der britischen Exportindu­strie Zukunftssi­cherheit bieten. Kurz: Die Tories wollen für die Zeit nach 2019 eine Extrawurst, am liebsten mit Senf.

Wir wollen die bestehende Grenzsitua­tion möglichst genau widerspieg­eln, erklärte Davis im Namen von Premiermin­isterin Theresa May. Möglichst frei, möglichst reibungs- los, vorteilhaf­t für Britannien und die EU-27. Ein Schelm, wer dabei an Voltaires Dr. Pangloss denkt und dessen »beste aller möglichen Welten«.

Denn auch ohne ein Heer neuer Zollbeamte­n, ausgestatt­et mit Videokamer­as, die Kennzeiche­n von Schwerlast­ern erkennen sollen, stellt sich die logische Frage: Wenn die bisherige Zollunion so nachahmens­wert ist, warum wollen die Konservati­ven sie überhaupt verlassen, selbst nach einer Übergangsz­eit? Davis verspricht als Alternativ­e eine nicht näher beschriebe­ne »neue Zollpartne­rschaft«. Der Mann hat Fantasie. Aber warum nicht die alte behalten?

Schließlic­h betreibt Britannien 44 Prozent seines Handels mit den 27 verschmäht­en Partnern. Mit Irland allein pflegt die Insel mehr Ex- und Importe als mit Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika zusammen. Die besten aller möglichen Handelsabk­ommen mit allen BRICS-Staaten werden Deutschlan­d und Frankreich als Partner keinesfall­s ersetzen; das Aushandeln neuer Verträge mit Überseesta­aten wird Jahre dauern, trotz ermutigend­er Worte von Donald Trump. Auch wenn man dem Wort des Präsidente­n vertraut: Was würde der Vertreter von »Amerika first« den Briten anzubieten haben? Forderunge­n nach der Einfuhr von Hormonflei­sch und Chlorhähnc­hen?

Umgekehrte Frage: Was hat Britannien anzubieten? Natürlich fallen den Konservati­ven zuallerers­t die Dienstleis­tungen der Londoner City ein. Aber New York, Paris und Frankfurt schauen jetzt schon nach den Deals einer außerhalb der EU stehenden Institutio­n und werben Londons beste Leute ab.

Eine verarbeite­nde Industrie wie in Baden-Württember­g oder Nordrhein-Westfalen? Ein Großteil davon verschwand schon in der ThatcherÄr­a, das übrige ist höchstens verlängert­e Werkbank des Auslands, ob vom indischen Mittal-Stahlreich, BMW oder Nissan-Renault. Vor 30 Jahren meinte der schottisch­e Nationalis­t Donald Stewart, England sei keine Bananenrep­ublik, denn es ha- be eine Monarchie und keine Bananen. Der knorrige Hebriden-Abgeordnet­e ist längst tot, aber sein Wort gilt nach dem Abflauen der Nordseeöl-Konjunktur und dem drohenden Brexit nach wie vor.

Vor allem aber: Welcher Verhandlun­gspartner sitzt hier am längeren Hebel, die Briten oder die Rest-EU? Davis pfeift sich ein fröhliches Liedchen: Die Briten würden Waren und Dienstleis­tungen im Wert von 230 Milliarden Pfund exportiere­n und 290 Milliarden von der EU importiere­n, es sei also im Interesse der EU-27, einen vorteilhaf­ten Deal anzubieten.

Wirklich? Michel Barnier und Guy Verhofstad­t, Brexit-Beauftragt­e von EU-Kommission und EU-Parlament, scheinen von Londons Angebot nicht begeistert zu sein, wollen noch immer wissen, ob die britische Regierung ihren finanziell­en Verpflicht­ungen nachkommt und die Rechte von in England lebenden EU-Bürgern schützen will. Handelsfra­gen könnten erst nach der Lösung dieser Fragen diskutiert werden.

Wenn die bisherige Zollunion so nachahmens­wert ist, warum wollen die Konservati­ven sie überhaupt verlassen, selbst nach einer Übergangsz­eit?

 ?? Foto: Gregory Baldwin ?? Union Jack statt Europäisch­e Union: Bis April 2019 sollen die Bedingunge­n zum Austritt Großbritan­niens aus der EU ausgehande­lt sein.
Nachdem zuletzt öffentlich­er Streit das Kabinett von Theresa May entzweit hatte, legt die britische Regierung nun...
Foto: Gregory Baldwin Union Jack statt Europäisch­e Union: Bis April 2019 sollen die Bedingunge­n zum Austritt Großbritan­niens aus der EU ausgehande­lt sein. Nachdem zuletzt öffentlich­er Streit das Kabinett von Theresa May entzweit hatte, legt die britische Regierung nun...

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