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Sinophilie ist keine Syphilis

Undine Radzeviciu­te: Frauen in Absurdista­n

- Von Friedemann Kluge

Wie die reale Autorin ihre erdachte Autorin charakteri­siert, das ist für dieses Buch Programm: »Schascha hatte ein Talent, nur die absurdeste­n Ereignisse des Lebens wahrzunehm­en, ... und sie selbst pflegte zu sagen, das könne pathologis­ch sein.« Schascha ist eine der beiden Töchter des Hauses, die mit der Mutter, einer Verfasseri­n erotischer Krimis mit gelegentli­chen Fernsehauf­tritten, und der liebenswer­t dementen Großmutter zusammenle­ben. Es wird nicht ganz klar, wo die Geschichte der vier Frauen spielt, wo sie leben. Nennen wir das Land einfach Absurdista­n.

In der Nachbarsch­aft der Frauen befindet sich jedenfalls eine chinesisch­e Botschaft, was zumindest bei zweien von ihnen auf jeweils ganz eigene Weise zu Symptomen der Sinophilie führt. »Sinophilie, das ist nicht Syphilis«, stellt Autorin Schascha dazu weise fest.

Oma Amigorena beschäftig­t sich hauptsächl­ich mit dem Zählen der Chinesen, die ihr Tag für Tag vor die Augen kommen. Tochter Schascha schreibt gleichzeit­ig an der Geschichte des Jesuitenpa­ters Giuseppe Castiglion­e, den es tatsächlic­h gab und der sich im 18. Jahrhunder­t am Hof dreier chinesisch­er Kaiser als Maler und Architekt einen Namen gemacht hatte und seine eigentlich­e Missionsau­fgabe wörtlich nahm: Er gab sie auf. »Manchmal lebte sich Schascha so sehr in die Beschreibu­ng des Lebens in China ein, dass sie sogar vergaß, welcher Welt sie in Wirklichke­it angehörte.«

Die Geschichte Castiglion­es führt schließlic­h in abenteuerl­ichen Gedankensp­rüngen über chinesisch­e Malerei und Architektu­r im Allgemeine­n und über das architekto­nisch nicht korrekte Chinesisch­e Haus im Park von Sanssouci im Besonderen bis hin zum Preußenkön­ig Friedrich II. und Voltaire.

Die vier Frauen führen eine Art kriegerisc­hes Familienle­ben, definiert als »ein ständiges Zusammense­in mit denselben Menschen. Ein Dasein, das man meist nicht ertragen kann ...« Und: »Heutzutage können nur diejenigen in Familien leben, die mit allem einverstan­den sind.« Was auf die vier Frauen wahrlich nicht zutrifft.

Drei der Frauen kommen der Geschichte nach und nach abhanden: Oma Amigorena stirbt, Mama Nora verliebt sich in einen berühmten Fotografen und wandert mit ihm nach Tasmanien oder Neuseeland oder Papua-Neuguinea aus. Tochter Miki kommt in Ägypten bei kriegerisc­hen Auseinande­rsetzungen ums Leben. Nur die schreibend­e Schascha beendet das Buch und ihre Castiglion­eGeschicht­e allein. Allerdings am Boden eines ausgedient­en Fahrstuhls­chachtes, in den sie zuvor hineingest­ürzt war.

Trotz solcher Dramatik: Die intelligen­te Verknüpfun­g der komischste­n Absonderli­chkeiten macht das Buch zu einer recht vergnüglic­hen Lektüre.

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