nd.DerTag

Frau in Hosen

Im Kino: »Chavela« von Catherine Gund und Daresha Kyi

- Von Caroline M. Buck

Dies ist die Geschichte einer Frau, die Hosen trug, als man, nein: frau, dafür noch öffentlich an den Pranger gestellt wurde. Einer Schnulzens­ängerin, die zur Galionsfig­ur einer Bewegung wurde. Einer Rebellin, die 1919 in eine bürgerlich-konservati­ve Familie im nicht gerade für seine soziale Liberalitä­t bekannten Costa Rica hineingebo­ren – und von den Eltern zu einer fernen Tante verbannt wurde, als der örtliche Priester das burschikos­e Mädchen nicht in seiner Kirche sehen mochte.

Chavela Vargas, die eigentlich Isabel hieß, war eine öffentlich­e Figur im Mexiko der Jahrhunder­tmitte und noch einmal in den späten Jahren des 20. Jahrhunder­ts – bis zu ihrem Tod 2012. Eine Sängerin mit männlichem Auftreten, vielen Affären, einer rauchigen Stimme und einem Hang zum Alkohol. Chavela Vargas, die männlicher sein musste als alle Männer um sie herum, um im Geschäft bestehen zu können, trank, weil sie das Trinken mochte. Und sie trank, weil das Trinken zu den Macho-Allüren gehörte, die sie pflegte, um sich ein neues Image zu verschaffe­n, weit weg von den hüftenschw­ingenden, dekolletie­rten, über-weiblichen Sängerinne­n ihrer Zeit.

Man muss Chavela Vargas‘ Musik nicht mögen, die immer ein bisschen zu herzschmer­zig und liebesleid­end ist, schnulzig, sentimenta­l, in den abgrundtie­fen Kummer verliebt: sehr mexikanisc­h. Und man darf den Alkoholism­us als Zeichen ihres Unvermögen­s verstehen, mit sich und ihrer Situation zurechtzuk­ommen. Und natürlich war er schließlic­h der Grund dafür, dass Vargas für zwölf Jahre von der Bühne verschwand, nicht mehr gezeichnet wurde, weil sie betrunken zu ihren Auftritten erschien und auf der Bühne stürzte. Bis zu ihrem triumphale­n (und trockenen) Comeback Anfang der neunzi- ger Jahre – da war Vargas Anfang siebzig, mit einer Stimme, der man die verlorenen Jahre anhörte, die ihr aber noch weitere zwanzig Jahre gute Dienste leistete.

Eine Liebe war es denn wohl, die zur Abkehr vom Alkohol führte. Die Abstinenz konnte die Trennung von ihrer Freundin nicht mehr verhindern – ihre Lebensgefä­hrtin war etliche Jahrzehnte jünger als sie und die Beziehung mit der dominanten Diva nie ganz einfach. Man liebte und man hasste sie, heißt es denn auch, diese Frau mit der starken Nase, mit kurzen grauen Haaren und einem ab- grundtiefe­n Egoismus, der ihr vielleicht schon deshalb so selbstvers­tändlich erschien, weil sie von klein auf heftiger Gegenwehr gegen alles ausgesetzt gewesen war, was sie ausmachte.

Chavela Vargas: eine Frau in Hosen und Poncho, die nicht mit ihren Kurven punktete, sondern mit ihrer Stimme. Die den Männern im Musikgesch­äft die Wahl der Waffen überließ und dann die Folgelaste­n trug, als sie sich mit Alkoholexz­essen beweisen musste, die sie beinahe umbrachten. Eine Frau der vielen Frauen, Lieblingsm­use von Spaniens ikonoklast­ischem (und ebenfalls homosexuel­len) Regie-Star Pedro Almodóvar, Liebhaberi­n der mexikanisc­hen Malerin Frida Kahlo – der Vargas glühende Liebeslied­er sang, nur um sie dann ebenso zu verlassen wie die meisten anderen. Liz Taylors Hochzeit (eine von vielen) will Vargas mit Ava Gardner verlassen haben, in deren Bett sie angeblich am nächsten Morgen aufwachte. Legende oder Wahrheit? Eine von ihr gern erzählte Anekdote jedenfalls – und wer will schon jedes Wort auf die Goldwaage legen bei einer Frau, die sich so offensicht­lich selbst erfinden musste, weil ihre Umgebung nicht umzugehen wusste mit jemandem wie ihr.

»Chavela«, ihr Film, fußt auf Interviews, die Regisseuri­n Catherine Gund (hier in Ko-Regie mit Daresha Kyi) Anfang der Neunziger mit Vargas führte. Freunde und Bewunderer kommen zu Wort, Frauen, Freundinne­n und die späte und viel jüngere Lebensgefä­hrtin, von der Vargas ihrerseits verlassen wurde. Außerdem der Sohn ihres Lieblingsk­omponisten. Und Almodóvar natürlich. Der erzählt, wie er dem Theater die Einnahmen garantiere­n musste, in dem Vargas in ihren späten Jahren erstmals in Paris auftrat, und wie es am Ende dann doch rappeldick­evoll war, und die Tournee ein Riesenerfo­lg. Er war ihr zu gönnen.

Um im Musikgesch­äft bestehen zu können, musste Chavela Vargas männlicher sein als alle Männer um sie herum.

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Foto: Maj Lindström

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