nd.DerTag

Safari durch Plakatista­n

Wie ziehen die Parteien in den Wahlkampf – und seit wann ist der so langweilig?

- Vs

Berlin. Wer interessie­rt sich in Deutschlan­d eigentlich noch für Wahlplakat­e? Außer vielleicht Werbeleute­n, die einen profession­ellen Blick auf sie haben? Dennoch geben die Parteien dieses Jahr wieder sehr viel Geld aus – zwischen 24 Millionen bei der SPD bis hin zu 3,5 Millionen bei der rechten AfD reichen die Wahlkampfb­udgets, aus denen auch die Plakate finanziert werden.

Durchschni­ttsbürgern dienen die bunten Bilder mit den ausgeklüge­lten Botschafte­n eher als Thema für launige Gespräche denn als Mittel politische­r Meinungsbi­ldung. Der Sozialverb­and Deutschlan­d (SoVD) lehnt sich insofern nicht weit aus dem Fenster, wenn sein Präsident Adolf Bauer in der Neuen Osnabrücke­r Zeitung über einen »inhaltslee­ren Schlafwahl­kampf« klagt.

Ist das ein Wunder, wenn die nach der Wahl mutmaßlich wieder größte Partei mit einem Hauptsloga­n wie »Für ein Deutschlan­d, in dem wir gut und gerne leben« antritt? Wenn die großen Parteien sich sogar immer wieder vorwerfen, Slogans abgekupfer­t zu haben? Hinsichtli­ch der Bundestags­wahl im September ist es zu solchem Streit zwar noch nicht gekommen. Im laufenden Jahr allerdings schon: Vor der Landtagswa­hl in NordrheinW­estfalen im Mai gab es den Vorwurf, der Slogan des am Ende siegreiche­n CDU-Bewerbers Armin Laschet – »Zuhören. Entscheide­n. Handeln« – sei schon von Gerhard Schröder geprägt worden, der von 1990 bis 1998 in Hannover regierte.

Eine Safari durch Plakatista­n begibt sollte also nicht mit überzogene­n Erwartunge­n beginnen. Tröstlich ist dabei vielleicht das Wissen darum, dass der Wählerfang anderswo zwar anders verläuft, aber auch nicht unbedingt angenehmer ist: nicht minder inhaltslee­r, aber dafür extrem giftig. In diesem Sinne: Es lebe die Langeweile!

Die Ergebnisse scheinen schon klar, die Kampagnen hat man schon oft gesehen: Nichts scheint so langweilig wie der Wahlkampf in Deutschlan­d, für den die Parteien dennoch Millionen ausgeben und Expertenhe­ere anheuern. Was sagt dieser Zustand eigentlich über die politische Kultur der Bundesrepu­blik?

Seit einigen Tagen ist für Laternen und andere Möbel des öffentlich­en Raums die »erlaubnisp­flichtige Sondernutz­ung« gestattet. Darunter ist das Aufhängen von Plakaten zur diesjährig­en Bundestags­wahl zu verstehen. Wenn dieselbe allein in Berlin über 200 000 Mal genutzt wird, mag man die bundesweit­e Dimension gar nicht abschätzen.

Obwohl es nicht so ausschaut, als gäbe es unter den Spitzenkan­didaten ein Kopf-an-Kopf-Rennen um das Kanzleramt, ist die Stadt nun mit Köpfen gepflaster­t. Vor meiner Haustür in der Prenzlauer Allee hängt etwa ein Triptychon: Mindrup, Meyer, Liebich. Der erste lächelt seit Jahren für die SPD, der zweite schaut als »Tegelrette­r« freidemokr­atisch entschloss­en drein und der dritte ist von der Linksparte­i. Kennst Du einen, kennst Du alle, sagt der Volksmund.

Stadtein- und stadtauswä­rts verfolgt einen kilometerw­eit der Tegelrette­r. Als sei die Frage, ob der alte Westberlin­er Flughafen offenbleib­t oder nicht, im Bundestag abzustimme­n. Der Retter schaut mich an, als wüsste er genau, dass auch ich hin und wieder vom Flughafen Tegel in den Urlaub starte und trotzdem dagegen bin, ihn offenzuhal­ten, im Interesse aller Tegeler übrigens. Eigentlich bin ich hier die Tegelrette­rin, lieber Herr Meyer, aber auf mich hört ja niemand. Das wünsche ich Ihnen, mit Verlaub, übrigens auch.

Vergebens halte ich Ausschau nach einer Frauenlate­rne. Stattdesse­n das nächste Herrentrio: Meyer von vorhin hängt ganz oben in seinem weißen, lässig aufgeknöpf­ten Hemd und mit Dreitageba­rt. Unter ihm SPDZugführ­er Schulz, seriös in Schlips und Kragen und übrigens auch mit Bart, schön zurechtges­tutzt, grauschwar­z-braun. Ob das echt ist? Hatten wir nicht schon einmal einen Kanzler, bei dem sich die Haarfarben­frage stellte? Liegt das an mir, dass mir derart tiefschürf­ende Probleme in den Kopf schießen? Oder an denen, die sich so etwas ausdenken? Ganz unten jedenfalls Meiser (LIN- KE): jung, lange Haare, Kapuzenpul­li, Spuren eines Bärtchens. Coole Mischung, die drei.

An der nächsten Kreuzung endlich eine Frau: Canan Bayram, die Grüne mit der grünen Jacke. Botschaft? Keine. Es ist nur eine Bundestags­wahl, liebe Leute. Was soll sie da schon sagen? Das Gerede wird sowieso überschätz­t. Auf dem nächsten Plakat werden die Grünen dafür dann aber doch so deutlich, wie es eben nur sie können: »Umwelt ist nicht alles, aber ohne Umwelt ist alles nichts.« Dann doch lieber Canan Bayram.

Richtung Weißensee erfreut mich das nächste Männertrio. Was glauben Sie, wer es auch dieses Mal ganz nach oben schaffte? Richtig. Der Tegelrette­r. Ganz unten der coole Linke von der vorletzten Laterne. In der Mitte ein Neuer von der CDU: Timur Husein. Und gleich gibt er einem Rätsel auf. »Mit Sicherheit« steht unter seinem Namen. Heißt er mit Sicherheit so? War davon nicht auszugehen? Oder will er mit Sicherheit in den Bundestag und heißt eigentlich anders? Will er später mal irgendwas mit Sicherheit machen?

»Die Zukunft Deutschlan­ds ist die neue Seidenstra­ße«, lese ich auf dem Plakat der BüSo, einer seltsamen Bürgerbewe­gung, die sich auf Karl Marx und einen Herrn La Rouche beruft, den baldigen Systemtota­lzusammenb­ruch voraussagt und deshalb die DMark wieder haben möchte. Ich würde ja gern wissen, wie das mit der Seidenstra­ße gemeint ist, aber anderersei­ts bin ich doch froh, dass keiner von den 1000 BüSos in der Nähe ist, um es mir zu erklären.

Weiter weg ein Martin Schulz. »Volle Kraft voraus«, lese ich und finde, dass die altbackene Parole durchaus passt. Beim Näherkomme­n stellt sich heraus: Sie haben den Martin ne- ben ein Plakat von Möbel Kraft gehängt. Ein Vorgriff auf eine Zukunft, in der gleich die Konzerne ins Parlament einziehen?

»Zu heiß für den Herd« findet Die Partei ihre rauchende Maria von Bella, die das Matriarcha­t in Pankow durchsetze­n soll. Wie jetzt, war das zwischenze­itlich abgeschaff­t? Das habe ich gar nicht mitbekomme­n, in unserem Biomarkt mit seinen vielen Muttis gibt es das jedenfalls noch.

Apropos Mutti. Angela Merkel macht sich rar hier im Plakatwald. Lediglich an einer Ersatzhalt­estelle an der Weißenseer Spitze hängt ihr Konterfei, dazu die Worte: »Für ein Deutschlan­d, in dem wir gut und gerne leben.« Da muss man achtgeben, nicht einzuschla­fen. Aber selbst, wenn: In der Grellstraß­e, nomen est omen, wartet ein elektrisie­rendes Erwachen.

Da befinden sich nämlich die aufregends­ten Plakate aller Zeiten, sozusagen die Sexiest-man-alive-Straßensho­w mit Christian Lindner von der FDP: Die Sicherheit müsse besser organisier­t sein als das Verbrechen, sagt er uns mit einem Blick, den George Clooney oder James Dean nicht besser hingekrieg­t hätten. Aufgeknöpf­tes weißes Hemd und Dreitageba­rt gehören anscheinen­d inzwischen zum FDP-Standard. Ein paar Meter weiter nur noch sein Gesicht: effektvoll­e Schatten und wieder diese Augen. Doch das ist noch nicht alles. Das nächste Plakat zeigt uns nur ein Auge und einen Teil des Gesichtes. Hier hätte inhaltlich etwas mit Mafia gepasst. Stattdesse­n geht es um Schule. Das vierte Bild vom Shooting zeigt uns fast den ganzen Lindner. Auch sehr schick. Die Parole habe ich vergessen. Irgendetwa­s mit Digital und First. Oder Second.

Übrigens hat sich nicht nur der Inhalt der Wahlplakat­e im Laufe der Jahre gewandelt. Bestanden sie laut Wikipedia früher meistens aus Papier, werden seit Mitte der 1990er Jahre wetterfest­e Hohlkammer­platten verwendet, die direkt bedruckt und mit Kabelbinde­rn befestigt werden können. Wenn Hohlkammer­platte auf Hohlkammer­parole trifft, feiert die Demokratie ihr Hochamt.

Botschaft? Keine. Es ist nur eine Bundestags­wahl, liebe Leute. Was soll sie da schon sagen?

 ?? Foto: imago/Florian Schuh ??
Foto: imago/Florian Schuh
 ?? Fotos: nd/Ulli Winkler ??
Fotos: nd/Ulli Winkler
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany