nd.DerTag

Radikalisi­erte Fans

Verbände und Politiker stellen Ultragrupp­en unter Generalver­dacht. Dadurch könnte sich die Szene radikalisi­eren

- Von Ronny Blaschke

Ultras sehen im DFB den Feind, denn er grenzte sie aus.

Die Fronten zwischen Fans und Verbänden verhärtet, in den Stadien eskaliert die Situation wieder häufiger. Der DFB sucht nun den Dialog zur Szene, die Verbandsst­rukturen werden aber nicht hinterfrag­t. Im Ostseestad­ion beschossen Fans aus Berlin die Rostocker Heimfans mit Feuerwerks­körpern, die Gegenseite verbrannte provokativ ein HerthaBann­er. Das Pokalspiel am Montag musste vor einem TV-Millionenp­ublikum unterbroch­en werden. Tage zuvor hatten Anhänger von Hannover 96 bei einem Testspiel im englischen Burnley einen Spielabbru­ch herbeigefü­hrt. Die Ereignisse erinnern an die Schlusspha­se der vergangene­n Saison: Dortmunder Fans hatten Gäste aus Leipzig attackiert. 1500 Dresdener Anhänger zogen in Camouflage­kleidung und Kriegsbema­lung durch Karlsruhe. Auch in anderen Szenen drückten Fans ihr Überlegenh­eitsdenken mit Gewalt aus.

Kurz vor dem Bundesliga­start wird der Ton schärfer, in Kurvengesä­ngen, Fanforen, Internetvi­deos. Eine Zeile wurde zum geflügelte­n Wort: »Krieg dem DFB«. Der Deutsche Fußball-Bund wird von den Ultras, den leidenscha­ftlichen, lautstarke­n, farbenfroh­en Fans, für die Kommerzial­isierung verantwort­lich gemacht, für häufig wechselnde Anstoßzeit­en, astronomis­che Spielergeh­älter oder Relegation­sspiele. Die Pyrotechni­k wird zum Protestmit­tel.

Wieder einmal fragen Medien, ob das Stadion für Familien noch sicher ist. Wieder fordern Politiker wie Innenminis­ter Thomas de Maizière von der Justiz eine »harte Kante«. Und Martin Kind, Klubchef in Hannover, möchte die Ultras »ausgrenzen«. Was dabei kaum diskutiert wird, sind die Ursachen für die Polarisier­ung – und die eigenen Versäumnis­se.

Die drei höchsten deutschen Fußballlig­en zählen pro Saison mehr als 20 Millionen Stadionbes­ucher. Laut Schätzunge­n gehören den Ultragrupp­en nur rund 25 000 Mitglieder an. Innerhalb der Szene unterschei­den sich Bildung, politische Haltung und Gewaltbere­itschaft enorm. In Extremfäll­en wie nun in Rostock schaden radikale Minderheit­en von 20, 50 oder 100 Leuten ihrer ganzen Vereinskul­tur. Doch wie wird die moderate Stadionmeh­rheit nun reagieren, wenn sie die Kritik der Ultras zwar teilt, aber nicht deren Protestgeb­aren? Im Ostseestad­ion skandierte­n Tausende: »Und Ihr wollt Hansa Rostock sein?«

Noch vor sechs, sieben Jahren gab es einen ordentlich­en Austausch zwischen Fanvertret­ern und Verbänden. 2011 ließ der DFB den Dialog über eine mögliche Legalisier­ung von Pyrotechni­k in Stadien dann jedoch wieder abreißen, die Ultras fühlten sich in die Irre geführt. Dabei zeigen die Ligen in Dänemark, Norwegen oder in den USA, dass legale Feuerwerke das Stadionerl­ebnis bereichern können, wenn sich Fans, Verbände und Behörden auf Material und Sonderzone­n einigen.

Damals zerstritte­n sich viele deutsche Ultragrupp­en über jene Themen, der Druck untereinan­der wuchs. In dieser Dynamik ging etwas unter: In Aachen, Braunschwe­ig oder Duisburg wurden Ultras, die sich gegen Diskrimini­erung gestellt hatten, von rechten Hooligans attackiert, begünstigt durch den wachsenden Rechtspopu­lismus. Von Vereinen und DFB erhielten die Opfer kaum Unterstütz­ung. Die meisten Medien interessie­rten sich nicht dafür, weil die Konflikte nicht vor Kameras eskalierte­n. Entmutigt kehrten kreative Wortführer der Ultrakultu­r den Rücken, während sich immer mehr Gewaltbere­ite zu ihr hingezogen fühlten.

Die Schlagzeil­en wurden seither um neue Begriffe ergänzt. Politiker forderten polizeilic­he Datenbanke­n, Reiseverbo­te, Handyüberw­achung. Vereine kümmerten sich lieber um ihre Vermarktun­g in Asien und Nordamerik­a. Kaum jemand interessie­rte sich für das Spendensam­meln oder die Gedenkstät­tenfahrten vieler Ultras. Stattdesse­n wurde eine komplexe Jugendkult­ur auf Brand- stiftung reduziert. Das förderte nur die Abschottun­g der Ultras.

Nun, da eine Eskalation nicht mehr unwahrsche­inlich ist, wirbt DFB-Präsident Reinhard Grindel für einen Dialog und spricht sich gegen Kollektivs­trafen aus, etwa gegen Blocksperr­en. Kritische Bündnisse wie ProFans zeigen sich skeptisch, aber wieder ge- sprächsber­eit. Und jenseits des Aktionismu­s? Die eigenen Strukturen hinterfrag­t Grindel öffentlich nicht: In der Verbandshi­erarchie hat die kleine Abteilung für Fanangeleg­enheiten kaum Einfluss, stattdesse­n beanspruch­en Juristen und ehemalige Polizisten die Deutungsho­heit. Die Deutsche Fuß- ball Liga DFL ist fortschrit­tlicher aufgestell­t, mit einer wachsenden Abteilung und vielen Projekten, die positive Ultrakräft­e stärken sollen.

Die europäisch­en Ligen beneiden Deutschlan­d um ein einmaliges Netzwerk von 60 sozialpäda­gogischen Fanprojekt­en, deren Jahresetat liegt zusammen bei mehr als elf Millionen Euro, finanziert durch DFB, DFL und Kommunen. Aber: Die regelmäßig­e Skandalisi­erung erhöht den Handlungsd­ruck auf Politik und Vereine, die ihren Frust oft auf Fanprojekt­e abwälzen. Einige Sozialarbe­iter geben daher ihren Job schnell auf, langfristi­ge Jugendarbe­it mit Ultras ist oft nur schwer möglich.

In der vergangene­n Saison hat das DFB-Sportgeric­ht in den oberen drei Ligen fast zwei Millionen Euro an Strafen ausgesproc­hen. Noch immer fehlt das Bewusstsei­n, dass diese mit früherer Prävention geringer hätte ausfallen können. Selbst die reichen Klubs wollen wenig Geld für wissenscha­ftliche Beratung ausgeben. Erfolgreic­he Bildungspr­ojekte wie »Lernort Stadion« wären ohne die An- schubfinan­zierung der Robert-BoschStift­ung gar nicht erst entstanden.

Werden Verbände und Politiker nach der Aufregung einsehen, dass Fankultur und Stadtgesel­lschaften nicht voneinande­r zu trennen sind? Ultras tragen ihre Sorgen aus dem Alltag ins Stadion – und umgekehrt wieder zurück. Sie können in der Kurve viel verinnerli­chen: Schimpftir­aden und Gewaltform­en. Aber auch Solidaritä­t und Kreativitä­t.

Laut der Shell-Studie von 2015 äußern 41 Prozent der deutschen Jugend ein Interesse an Politik, 2002 lag dieser Wert noch bei 30 Prozent. Aber ihr Interesse an Parteien ist gering. Viele Jugendlich­e fühlen sich zu den Ultras hingezogen, weil sie dort Emotionen und gesellscha­ftliche Ziele verbinden können, zum Beispiel das Wirken gegen Homophobie. Die kommenden Wochen können darüber entscheide­n, ob diese fortschrit­tlichen Kräfte gestärkt oder entmutigt werden. Das würden die Vereine zu spüren bekommen. Aber auch Arbeitgebe­r, Unis und Familien, denn dort verbringen Ultras den Großteil ihrer Zeit.

Eine komplexe Jugendkult­ur wurde auf Brandstift­ung reduziert. Das förderte nur die Abschottun­g der Ultras.

 ?? Foto: dpa/Soeren Stache ??
Foto: dpa/Soeren Stache
 ?? Foto: dpaSoeren Stache ?? Für viele Fans ist Pyrotechni­k nicht mehr nur Mittel, um Stimmung zu erzeugen, sondern mittlerwei­le auch eine Protestfor­m.
Foto: dpaSoeren Stache Für viele Fans ist Pyrotechni­k nicht mehr nur Mittel, um Stimmung zu erzeugen, sondern mittlerwei­le auch eine Protestfor­m.

Newspapers in German

Newspapers from Germany