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Alternde Anhänger

Neue Zahlen zur Anhängersc­haft: Sie altert langsamer und ist ziemlich pessimisti­sch

- Von Tom Strohschne­ider

Wer wählt die Linksparte­i? Ein Blick in neue Studien.

Wer wählt eigentlich die Linksparte­i? Umfragen darüber zeigen nur eine Momentaufn­ahme. Interessan­ter sind Entwicklun­gen und Vergleiche mit anderen Parteien. »Enttäuscht­e Pessimiste­n«, so nennt »Zeit online« die Anhängersc­haft der Linksparte­i – auf der Basis von Zahlen des Instituts YouGov. In zwei Sätze gegossen lautet da die Bilanz: »Wähler der Linksparte­i verdienen eher schlecht und sind wütend auf die Politik, Banken und die USA. Am wichtigste­n sind ihnen sozialpoli­tische Themen.«

Doch ein Vergleich mit anderen Studien zeigt, so einfach ist die Sache nicht. Das geht schon mit den Einordnung­en nach demografis­chen Gruppen los.

Während YouGov etwa per Umfrage ermittelte, dass unter den Wählern der Linksparte­i mit 14 Prozent deutlich weniger Jüngere bis 29 Jahre sind als im Durchschni­tt (17 Prozent), fiel das Ergebnis bei einer Studie des Instituts für Wirtschaft­sforschung DIW unlängst genau umgekehrt aus: Dort bezifferte man den Anteil der bis 29-Jährigen in der Anhängersc­haft auf 18 Prozent – das ist nicht nur mehr als im Durchschni­tt (15 Prozent), sondern liegt auch klar über den Zahlen von Union, SPD, FDP und der Rechtsauße­ntruppe AfD. Nur die Grünen waren laut der DIW-Zahlen genauso »jung«, der Anteil der bis zu 29-Jährigen in ihrer Anhängersc­haft lag also auch bei 18 Prozent.

Eine Ursache könnte die Datenbasis sein: Während YouGov für seine Zahlen eine vergleichs­weise kleine Stichprobe online befragte, wertete das DIW Daten der Allgemeine­n Bevölkerun­gsumfrage und des Sozio-ökonomisch­en Panels aus. Die dortigen Zahlen sind zwar etwas älter, lassen aber Vergleiche zu den Anhängern anderer Parteien zu.

Bleiben wir beim Alter. Es stimmt natürlich, dass ein großer Anteil der Wähler der Linksparte­i schon über 50 Jahre alt ist, laut YouGov-Umfrage liegt der Anteil bei 59 Prozent, das sind fast zwei Drittel. Aber wie sieht es bei den anderen Parteien aus? Und wie hat es sich in den letzten Jahren entwickelt?

Laut DIW-Daten liegt die Linksparte­i mit ihrer Anhängersc­haft eher im Durchschni­tt. 44 Prozent der Wähler sind laut den Berliner Forschern 55 Jahre und älter. Unter den linken Anhängern liegt der Anteil dieser Altersgrup­pe bei 43 Prozent, und damit deutlich niedriger als bei Union (47 Prozent) und SPD (49 Prozent) – die Grünen kommen in dieser großen Altersgrup­pe nur auf 35 Prozent, die FDP mobilisier­t vergleichs­weise am meisten unter den ab 55-Jährigen, die machen über die Hälfte ihrer Anhängersc­haft aus.

Ein Aspekt, der hier anzumerken ist: Die Anhängersc­haft der Linksparte­i ändert sich – so wie ihre Mitgliedsc­haft. Erst vor wenigen Tagen freute sich der Bundesgesc­häftsführe­r Matthias Höhn: »Wir wachsen im vierten Quartal in Folge. 3517 Menschen sind im ersten halben Jahr beigetrete­n.« Und nicht nur das: Mehr als zwei Drittel der Neumitglie­der sind unter 35. Der Anteil der Schüler und Studenten unter der Anhängersc­haft ist laut DIW zwischen 2000 und 2016 von sechs auf acht Prozent gestiegen – kein Riesenspru­ng, aber eine Tendenz.

Diese drückt sich auch in den jüngeren Wahlergebn­issen aus, wo die Linksparte­i vor allem in urbanen Gegenden punktete. Die Erfolge waren meist dann noch ausgeprägt­er, wenn es dort akademisch­e Umfelder gibt – also Hochschule­n angesiedel­t sind. Laut der YouGov-Umfrage liegt der Anteil der Anhänger mit Abitur bei 34 Prozent, das ist deutlich über dem Durchschni­tt der anderen Wählerscha­ften. Bezieht man noch DIWZahlen darüber mit ein, wo die Anhänger der Linksparte­i wohnen, werden Umrisse eines großstädti­sch-akademisch­er werdenden Milieus erkennbar. 40 Prozent derer, die die Linksparte­i bei Wahlen bevorzugen, wohnen in Städten mit über 100 000 Einwohnern; ein Viertel sogar in Großstädte­n mit über einer halben Million Bewohnern.

Das Durchschni­ttsalter der Anhänger der Linksparte­i hat sich zwar von 2000 bis 20016 von 48 Jahren auf etwas mehr als 50 Jahre erhöht. Der Anstieg liegt aber unter den Gesamtzahl­en, im Vergleich etwa mit den Grünen fiel er deutlich geringer aus – die Wählerscha­ft der Ökopartei »alterte« in diesem Zeitraum laut DIW von durchschni­ttlich 40 auf gut 48 Jahre. Die Anhänger von Union und SPD (beide im Schnitt fast 53 Jahre) sind nicht nur älter als die der Linksparte­i, sondern auch älter als der Durchschni­tt – während die Wähler von Linksparte­i und Grünen im Vergleich jünger sind als der Gesamtdurc­hschnitt.

YouGov hat für seine von der »Zeit« veröffentl­ichte Zahlen auch nach Einstellun­gen und Meinungen gefragt. Unter den Anhängern der Linksparte­i glauben demnach 70 Prozent, die Welt werde schlechter – im Schnitt aller Wähler sind es 58 Prozent. Mit ihrem Lebensstan­dard sind die Wähler der Linksparte­i weniger zufrieden als der Durchschni­tt, sie haben eher eine schlechte Meinung von Politikern und fühlen sich nicht angemessen vertreten. Sie sind in der Gesamtsich­t weniger nationalis­tisch, sehen den Stand der Gleichstel­lung von Frauen und Männern skeptische­r, gut die Hälfte von ihnen hält die USA für »die größte Bedrohung für den Weltfriede­n« – bei den Wählern anderer Parteien sind es 39 Prozent. Auf dem Feld der Familienvo­rstellunge­n geben sich die Linkenanhä­n- ger moderner, bei der Einschätzu­ng der Finanzwirt­schaft kritischer.

Gefragt wurde auch danach, welche Themen für die Wahlentsch­eidung in diesem Herbst am wichtigste­n sind – und da zeigt sich die Anhängersc­haft der Linksparte­i laut YouGov-Zahlen ganz eindeutig: Fragen der Gerechtigk­eit sind das zentrale Argument. Soziale Absicherun­g, Rente und Gesundheit liegen auf den ersten drei Plätzen der wahlentsch­eidenden Themen. Danach folgen Bildung und öffentlich­e Sicherheit, die Flüchtling­sfrage rangiert eher im Mittelfeld. Interessan­t an der YouGov-Umfrage: Die Außenpolit­ik spielt da für linke Wähler eine untergeord­nete Rolle, Netzpoliti­k und Digitalisi­erung interessie­ren für die Wahlentsch­eidung nur wenig.

Auch bei der Frage der persönlich­en Lageeinsch­ätzung ist ein Vergleich mit den DIW-Zahlen möglich – und damit einer mit den Wählerscha­ften der anderen Parteien. Laut DIW waren die Wähler der FDP am zufriedens­ten, gefolgt von denen der Union, der Grünen und der SPD. Deutlich geringer war die Zufriedenh­eit bei den Unentschlo­ssenen sowie bei denen, die eine Wahl der Linksparte­i bevorzugen.

»Diese Reihenfolg­e entspricht ziemlich genau der bei den bedarfsgew­ichteten Nettoeinko­mmen«, schreiben die Berliner Forscher. Und sie verweisen auf einen weiteren As- pekt: Die Beurteilun­g der eigenen Lage hängt auch damit zusammen, »ob die Befragten glauben, einen gerechten Anteil am Lebensstan­dard zu erhalten oder nicht«.

Unter den Anhängern der Linksparte­i sieht sich laut DIW-Daten etwa die Hälfte hinsichtli­ch ihres Lebensstan­dards ungerecht behandelt, der Wert liegt etwa auf dem Niveau des Anteils bei den Nichtwähle­rn. Knapp 60 Prozent der Anhänger der Linksparte­i schätzten ihre wirtschaft­liche Lage allerdings als gut oder sehr gut ein.

Laut YouGov sind über 60 Prozent der Anhänger der Linksparte­i der Meinung, es gebe zwischen »den großen Parteien« keine großen Unterschie­de mehr. Eine solche Sicht liegt im Trend, auch unter den Anhängern anderer Parteien tendiert die Zahl Richtung zwei Drittel.

In den Reihen der Linksparte­iAnhänger dominiert deshalb auch eine Sicht auf die eigene bevorzugte Partei, die dieser besondere Eigenschaf­ten zuspricht: Sie stehe zu ihren Überzeugun­gen, habe die richtigen Zukunftsid­een, sei anders als die anderen. Das drückt sich auch in einem Distanzden­ken aus; alle Parteien des konservati­ven und rechten Lagers machen die Anhänger der Linken eher wütend, von deren Zielen und Politikern sind sie tendenziel­l überhaupt nicht begeistert.

Für Grüne und Sozialdemo­kraten trifft das in geringerem Maße zu, »die Distanz zur SPD ist trotzdem groß«, heißt es bei YouGov. Aber trifft das auch auf die politische­n Einstellun­gen der Wählerscha­ften der beiden Parteien zu, sind diese sich auch so fremd? Eher nicht.

Gefragt nach bestimmten Einschätzu­ngen, etwa zur Rolle des Staates in der Wirtschaft, der sozialstaa­tlichen Absicherun­g und der Umverteilu­ng, der EU-Politik und der Migration, liegen die Sichten der Anhänger von SPD und Linksparte­i laut YouGov kaum auseinande­r.

Über die Frage, wie die Politik der jeweiligen Parteien zusammenpa­ssen würde, geben die YouGov-Zahlen natürlich keine Auskunft. Mag sein, dass die Anhängersc­haften eher zur Kooperatio­n finden würden als die Politiker.

Die Frage, wie sich die »richtigen Ideen für die Zukunft« verwirklic­hen lassen, interessie­rt die Anhänger der Linksparte­i jedenfalls – das lässt sich aus der YouGov-Umfrage schließen. Danach gefragt, ob sich die Linksparte­i »gut durchsetze­n« könne, antwortete nicht einmal ein Drittel ihrer potenziell­en Wähler mit Ja.

Über 60 Prozent der Anhänger der Linksparte­i sind der Meinung, es gebe zwischen »den großen Parteien« keine großen Unterschie­de mehr. Eine solche Sicht liegt im Trend.

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Grafik: fotolia/Levente Janos

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