nd.DerTag

Gespenster vergangene­r Jahrhunder­te

Die extreme Rechte ist seit Jahrzehnte­n eine feste Größe in der politische­n Landschaft der USA, meint Phillip Becher.

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Wie falsch die Welt von der gleichnami­gen konservati­ven Tageszeitu­ng wahrgenomm­en werden kann, zeigt sich unter anderem anhand eines aktuellen Texts ihres US-Korrespond­enten, Stefan Beutelsbac­her. Dort heißt es: »Lange Zeit haben die Ultrarecht­en in den USA nur in Internetfo­ren existiert. Jetzt zeigen sie, wie gefährlich sie sind.« Weit gefehlt. Die Ultrarecht­e ist seit Jahrzehnte­n eine feste Größe in der realen politische­n Landschaft der Vereinigte­n Staaten. Nun wird jedoch der kaltblütig­e Mord an Heather Heyer vor wenigen Tagen auch im bürgerlich­en Blätterwal­d zu einem brutalen Weckruf. Die von einem Neofaschis­ten überfahren­e Rechtsanwa­ltsgehilfi­n hatte eine Demonstrat­ion in Charlottes­ville besucht, die sich gegen die dortigen, seit Monaten umtriebige­n rechten Aufmärsche richtete.

Die Breite des Rechtsbünd­nisses, das sich anlässlich der geplanten Demontage eines Denkmals für Robert E. Lee, einen Bürgerkrie­gsgeneral der Südstaaten-Armee, zusammenge­funden hat, gerät derweil wegen der Fokussieru­ng auf die unangemess­ene Reaktion Donald Trumps auf das Attentat aus dem Blick. Der hatte die Gewalt »von allen Seiten« verurteilt und damit Neofaschis­ten und Antifaschi­sten, Täter und Opfer auf eine Stufe gestellt. Der Aufschrei war groß und der Präsident legte eine gegen Rassismus gerichtete Erklärung nach, die ihm – aus guten Gründen – niemand so richtig abnimmt. Anschließe­nd vertrat er wieder die Meinung, »beide Seiten« seien für die Eskalation verantwort­lich.

Die Distanzier­ung wird ihm nicht allzu schwergefa­llen sein. Auch andere Konservati­ve grenzen sich von den US-Neonazis auf der Straße ab. Die Verbindung, die indes zwischen scheinbar honorigen Politikern und den faschistis­chen Banden besteht, wird so verdeckt. In Charlottes­ville demonstrie­rt nämlich nicht nur ein anachronis­tischer Zug gespenstis­cher Wiedergäng­er des Faschismus des vergangene­n und des Rassismus des vorvergang­enen Jahrhunder­ts für die vermeintli­che Ehre von General Lee. Die Fahne des Südens hält auch der republikan­ische Einpeitsch­er Corey Stewart hoch. Seinen Namen wird man in der Berichters­tattung zu den Ereignisse­n hierzuland­e jedoch vergeblich suchen.

Stewart ist ein Getreuer Trumps und läuft sich warm, um nächstes Jahr für Virginia in den US-Senat einzuziehe­n. Ob er sich in den Vorwahlen innerhalb seines Lagers wird durchsetze­n können, ist offen. Mediale Unterstütz­ung holt er sich derweil bei »Breitbart News«, dem Sprachrohr der selbst ernannten »Alternativ­e Right«, deren Kopf Stephen Bannon als Chefstrate­ge des Weißen Hauses agiert. »Breitbart News« verriet Stewart, dass er davon ausgeht, dass die US-Linke demnächst zum Mord an Konservati­ven übergehen werde. Abseits dieser paranoiden Wahnvorste­llung verrät seine Spra- che klar Stewarts Sympathie: »Die Linke verurteilt niemals ihre Leute«, so Stewart, um zu ergänzen, dass die Rechte dies zu tun gezwungen sei. Stewart löst das so entstanden­e allrechte »Wir« jedoch geschwind wieder auf, indem er noch mal an der Distanzier­ungsmühle dreht: Natürlich habe man mit dem Ku-Klux-Klan und den Neonazis nichts zu tun …

Inhaltlich­e Übereinsti­mmungen braucht man allerdings nicht lange zu suchen. Der mutmaßlich­e Attentäter von Charlottes­ville war am Tag der Pkw-Attacke im Demonstrat­ionszug der Vanguard America unterwegs. In einem Papier dieser erklärterm­aßen faschistis­chen Truppe heißt es: »Eine auf dem Naturrecht fußende Regierung darf sich nicht an der falschen Idee der Gleichheit orientiere­n.« Treffender hätte dies keiner der konservati­ven Politiker bei der Begründung für Maßnahmen des Sozialabba­us formuliere­n können.

Die antidemokr­atische Stoßrichtu­ng einer weit über Charlottes­ville hinausgehe­nden rechten Kampagne hat in mörderisch­er Konsequenz neue Vollstreck­er gefunden. Ihre Haupttrieb­kräfte wird man jedoch nicht in Internetfo­ren finden, sondern beispielsw­eise bei den Waffenlobb­yisten der National Rifle Associatio­n, die seit Jahren die Conservati­ve Political Action Conference sponsert, auf der sich dieses Jahr auch Bannon und Trump ein Stelldiche­in gaben. Oder im marktradik­alen Netzwerk der steinreich­en Gebrüder Koch. Die Gefahr für die Demokratie kommt, allen Mythen zum Trotz, gesellscha­ftlich von oben und politisch von rechts – in den USA ebenso wie in Deutschlan­d. Hierzuland­e haben sich die Nachahmer von Bannon ebenfalls zusammenge­funden. Sie bevölkern das intellektu­elle Hinterland der AfD.

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Foto: privat Der Sozialwiss­enschaftle­r Phillip Becher ist Autor des Buches »Basiswisse­n Rechtspopu­lismus« im PapyRossa-Verlag.

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