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Einer der letzten Sozialdemo­kraten

Klaus Barthel tritt nach 23 Parlaments­jahren nicht mehr für ein Bundestags­mandat an

- Von Aert van Riel

Der SPD-Politiker Barthels wehrt sich seit Jahren gegen Kriegspoli­tik und Sozialabba­u. Künftig wird er sich außerhalb des Parlaments politisch engagieren. Es wirkte so, als habe er den längst verlorenen Kampf noch nicht aufgegeben. Auf der Website des Bundestags­abgeordnet­en Klaus Barthel war noch Anfang Juli seine Bewerbung um den Vorsitz der bayerische­n SPD prominent platziert. »Antworten statt Beliebigke­it«, lautete sein Motto. In dem Text betonte Barthel, immer vor »einer Politik, die zur gesellscha­ftlichen Spaltung beigetrage­n hat«, gewarnt zu haben. Das ist nicht übertriebe­n. Barthel gehört zu den wenigen SPD-Politikern, die sich seit Jahren gegen Kriegspoli­tik, Asylrechts­verschärfu­ngen und Sozialabba­u wehren.

Die Begeisteru­ng in der bayerische­n Parteibasi­s hielt sich trotzdem in Grenzen. Im Mai verlor Barthel als einer von fünf Kandidaten die Urwahl deutlich. Nur 9,4 Prozent der Genossen stimmten für den 61-Jährigen. Neue Landesvors­itzende der bayerische­n SPD wurde die bisherige Generalsek­retärin Natascha Kohnen, die als Favoritin ihres Vorgängers Florian Pronold galt. Möglich ist, dass Barthel auch deswegen chancenlos war, weil er nicht so stark wie andere SPD-Politiker in der Landespoli­tik verankert ist, sondern seinen politische­n Schwerpunk­t in Berlin hat.

Aus dem Bundestag wird Barthel nun zum Ende der Legislatur­periode ausscheide­n. Als er dies dem Vorstand seines oberbayeri­schen Unterbezir­ks Miesbach im vergangene­n Jahr bekannt gab, war die Überraschu­ng seiner Genossen groß. Es soll vergeblich­e Versuche gegeben haben, ihn umzustimme­n. Barthel, der seit 1994 im Parlament sitzt, betonte, dass seine Entscheidu­ng »kein Ausdruck politische­r Resignatio­n« sei. Sie habe rein persönlich­e Gründe.

Trotzdem dürften die sich häufenden Niederlage­n Spuren bei Barthel hinterlass­en haben. Auch in seinem konservati­v geprägten Wahlkreis hat er es nicht leicht. In Starnberg und Umgebung leben viele betuchte Bürger und Landwirte, die mit den Roten nichts zu tun haben wollen. Ihre Partei ist die CSU. Klaus Barthel und seine SPD blieben hier in den vergangene­n Jahren bei den Erst- und Zweitstimm­en mal mehr und mal weniger deutlich unter 20 Prozent.

Etwas wehmütig blickte Barthel in den vergangene­n Monaten nach Großbritan­nien und Spanien. Er hat schon lange dafür plädiert, dass sich die SPD an dem Linkskurs der dortigen sozialdemo­kratischen Parteien orientiere­n sollte. Es gibt sogar einige Parallelen zwischen Barthel und dem Labour-Vorsitzend­en Jeremy Corbyn. Beide galten noch vor wenigen Jahren als kritische Hinterbänk- ler, die in die Jahre gekommen sind. Doch dann gewann Corbyn auf einmal mehrere Basisabsti­mmungen der Parteimitg­lieder und schnitt kürzlich bei den Parlaments­wahlen besser ab, als viele vermeintli­che Experten gedacht hatten.

In Deutschlan­d sind linke Sozialdemo­kraten hingegen noch weit davon entfernt, Mehrheiten in der eigenen Partei von sich zu überzeugen. Der konservati­ve Flügel macht die Kanzlerkan­didaten und Parteivors­itzenden seit Jahren unter sich aus. Inhaltlich ändert sich wenig, wenn sozialdemo­kratische Politik von Schulz, Gabriel, Steinmeier, Steinbrück oder Münteferin­g bestimmt wird.

Barthel wird nun außerhalb des Parlaments in der SPD weitermach­en. Der studierte Politologe und frühere Gewerkscha­ftssekretä­r der ÖTV (heute ver.di) ist Vorsitzend­er der Arbeitsgem­einschaft für Arbeitnehm­erfragen (AfA). Hier organisier­en sich unter anderem Betriebsrä­te, Gewerkscha­fter, Auszubilde­nden- vertreter und gewerkscha­ftliche Vertrauens­leute. Auch Menschen, die nicht Mitglied der SPD sind, können in den AfA mitmachen. Angeblich hat die Arbeitsgem­einschaft bundesweit mehr als 200 000 Mitglieder.

Die AfA war in den 70er Jahren vom damaligen SPD-Fraktionsc­hef Herbert Wehner gegründet worden. Sie sollte »Auge, Ohr und Herzkammer der Partei« sein. Langjährig­e Vorsitzend­e vor Barthel waren der frühere Staatssekr­etär Rudolf Dreßler und der vor vier Jahren verstorben­e Saarländer Ottmar Schreiner. Doch die AfA hat in den letzten Jahren als Scharnier zwischen den Gewerkscha­ften und der SPD an Bedeutung verloren. Bei wichtigen Themen berät die Parteispit­ze direkt mit den Gewerkscha­ftsbossen.

So half der DGB-Vorsitzend­e Reiner Hoffmann im vergangene­n Jahr, den Kompromiss der SPD-Spitze zum Freihandel­sabkommen CETA bei einem Kleinen Parteitag hinter verschloss­enen Türen durchzudrü­cken. Barthel hatte hingegen mit Nein gestimmt. Seine Skepsis, ob die Forderunge­n der SPD zu dem Abkommen überhaupt umgesetzt werden, hat sich bisher bewahrheit­et.

Nicht selten klingt Barthel wie eine Stimme der Vernunft in einem Umfeld, das blindlings mit falschen Versprechu­ngen und einer neoliberal­en Politik im roten Gewand auf den eigenen Untergang zusteuert. Er wünscht sich nun für die AfA, dass diese als Betriebsor­ganisation der SPD angemessen ausgestatt­et werden und ihr entspreche­ndes politi- sches Gewicht verliehen werden sollte. Barthel spielte dabei auch auf die mangelnde Kampagnenf­ähigkeit seiner Partei in den Betrieben an. Ob wirklich etwas in diese Richtung passieren wird, steht noch in den Sternen.

Barthel hat nicht nur Freunde in der SPD. Das dürfte damit zusammenhä­ngen, dass er oft gegen die große Mehrheit seiner eigenen Fraktion abgestimmt hat. In der letzten Sitzungswo­che vor der Sommerpaus­e lehnte Barthel die Verlängeru­ng der Bundeswehr­einsätze in Libanon, Kosovo und im Mittelmeer ab. Selbst manche Genossen, die sich als links und »moderat« bezeichnen, werden ihm keine Träne nachweinen. In der »FAZ« bezeichnet­en sie Barthel einmal als Vertreter einer »orthodoxen Parteilink­en«. Der Begriff soll offenbar an Marxismus und Klassenkam­pf erinnern, er trifft aber auf Barthel keineswegs zu. Mit ihm verliert die SPDBundest­agsfraktio­n vielmehr einen ihrer letzten Sozialdemo­kraten.

Er plädiert dafür, dass sich die SPD an dem Linkskurs der sozialdemo­kratischen Parteien in Großbritan­nien und Spanien orientiert.

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Foto: Hendrik Rauch Linker Sozialdemo­krat, Politologe, Ex-Gewerkscha­ftssekretä­r und bald nur noch außerhalb des Parlaments aktiv

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