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Fischbrötc­hen am Fenster der Welt

Die Hannover-Messe startete vor 70 Jahren auf britischen Wunsch als Gegenstück zu Leipzig

- Von Hagen Jung

Vor 70 Jahren wurde in Hannover die erste Export-Messe eröffnet. Ein westliches »Gegenstück« zur Leipziger Messe im Osten sollte sie sein, so die Vorstellun­g der britischen Besatzungs­macht. Ein Fischbrötc­hen, ohne Lebensmitt­elmarken zu bekommen: Diesen besonderen Genuss boten die Macher der »Exportmess­e Hannover« im Hungerjahr 1947 ihren Besuchern. Die Chance, eine der belegten Schrippen zu ergattern, lockte neben dem Fachpublik­um auch viele Menschen an, die »einfach nur mal schauen« wollten. Seither wird die Premiere der Industries­chau auch gern als »Fischbrötc­henmesse« bezeichnet.

So bescheiden wie der fischige Imbiss war damals auch die Werbung. Unter »Verschiede­nes« beschrieb eine Kleinanzei­ge in der Tageszeitu­ng das Großereign­is: »In fünf Ausstellun­gshallen mit 30 000 Quadratmet­ern zeigt die deutsche Industrie exportfähi­ge Qualitätse­rzeugnisse.«

Sieben Jahrzehnte später, im vergangene­n April, waren knapp 5100 Aussteller auf 181 000 Quadratmet­ern in 27 Hallen und auf dem Freigeländ­e präsent. An die Entwicklun­g zu dieser Größe erinnert die Messe AG mit einem »Tag der offenen Tür« am Samstag, dem 19. August. Unter anderem gibt es geführte Touren »hinter die Kulissen«, etwa zur Wirtschaft­szentrale der Messegastr­onomie oder zur Messegärtn­erei. Von 13 bis 18 Uhr öffnen sich zu dem Event kostenlos die Messetore.

Zum ersten Mal aufgeschlo­ssen worden waren sie am 18. August 1947. Doch die Geburtsstu­nde der Industries­chau hatte schon am 15. April jenes Jahres geschlagen, als der Oberbefehl­shaber der britischen Besatzungs­zone, General Brian Robertson anregte: Ein »Gegenstück« zur 1946 in der DDR wiedereröf­fneten Leipziger Messe möge geschaffen werden – in Hannover. Wunsch der Briten: Die Deutschen müssten sich »wieder aus eigener Kraft versorgen, um England und den USA nicht zur Last zu fallen«. Und die neue Messe solle für die Wirtschaft ein »Fenster zur Welt« werden.

Schon auf der »Fischbrötc­henmesse« wurden mit deutschen Unterneh- men 1934 Exportvert­räge im Wert von knapp 32 Millionen US-Dollar abgeschlos­sen. Der Start war gelungen, der internatio­nale Markt zeigte zunehmend Interesse an Hannover, 1950 zeigten dort bereits Aussteller aus zehn Nationen ihre Erzeugniss­e.

Die Palette der Produkte war in den ersten Jahrzehnte­n überaus viel- fältig, reichte von Maschinen für die industriel­le Fertigung bis zur Nachttisch­lampe. Auch Kaffeemasc­hinen, Radios, und anderes mehr für den häuslichen Alltag zählten zum Angebot. Es zog die bei Aussteller­n sehr unbeliebte­n »Sehleute« an, die nur gucken, ihre Taschen mit Werbekugel­schreibern füllten und die Gänge zwischen den Ständen verstopfte­n. Konsequenz: 1978 trennte sich die Messe von den Konsumgüte­rn. Sie wird seither im Wesentlich­en vom Fachpublik­um angesteuer­t, und zwar nicht nur zur »Industriem­esse«. Offiziell heißt dieses Frühjahrse­reignis mittlerwei­le »Hannover Messe«.

Von ihr separat veranstalt­et wird seit 1986 die CeBit, die weltgrößte Computerme­sse, die einen eigenen Kalenderpl­atz erhielt. Weitere Fachausste­llungen beleben inzwischen das Messeareal, so etwa die Ligna mit Exponaten zur Holz- und Forstwirts­chaft, die »Domotex« mit Teppichen und Bodenbeläg­en oder die Internatio­nale Automobila­usstellung (IAA) Nutzfahrze­uge.

So wie die Ausstellun­gen und das Messegelän­de in 70 Jahren gewachsen sind, so wuchsen auch die Geschäfte drum herum, vor allem im Bereich der Hotellerie. Es gibt Quartiere, deren regulärer Preis bei 40 Euro pro Nacht liegt, zur Messezeit aber hochschnel­lt auf bis zu 500 Euro. Beeindruck­ende Zahlen. Solche gab es auch 1947, aber nicht bei den Hotelangeb­oten, sondern in punkto Messeimbis­s: Für ihn waren seinerzeit eine Million Brötchen mit insgesamt 60 Tonnen Fisch belegt worden.

1947 wurden auf der Hannover Messe eine Million Brötchen mit insgesamt 60 Tonnen Fisch belegt.

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