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Der einen Erwartunge­n, der anderen Geld

Auch eine gewerkscha­ftsnahe Regierung wie in Thüringen muss viel Kritik von Gewerkscha­ften einstecken – vor allem bei Bildung und Polizei

- Von Sebastian Haak

In Thüringen ist der Ton zwischen Gewerkscha­ften und Regierung oft rau. Viel rauer, als man das zwischen Arbeitnehm­ervertrete­rn und einer rot-rot-grünen Koalition erwarten könnte. Jetzt, da in Thüringen ein neues Schuljahr begonnen hat, kann man wieder nahezu täglich erleben, dass die Gewerkscha­ften im Freistaat alles andere als zimperlich sind, wenn sie mit der ersten linksgefüh­rten Landesregi­erung Deutschlan­ds umgehen. Und dabei fallen inzwischen doch Sätze, die ein bisschen netter sein sollen als die Sätze, die Bildungsge­werkschaft­er vor einigen Monaten über Rot-Rot-Grün im Allgemeine­n und das Thüringer Bildungsmi­nisterium im Speziellen sagten. Sätze zum Beispiel, in denen der Vorsitzend­e des Thüringer Lehrerverb­andes, Rolf Busch, nun davon spricht, dass die Kommunikat­ion zwischen dem Bildungsmi­nisterium und seinem Verband inzwischen »gut« funktionie­re. Bei aller fachlichen Kritik, die bleibt, auch wenn sie nun freundlich­er formuliert wird: an mutmaßlich zu wenig Personal und zu hoher Arbeitsbel­astung im Bildungsbe­reich.

Vor ziemlich genau einem Jahr hatte Busch noch davon gesprochen, das Bildungsmi­nisterium sei das »Ankündigun­gsminister­ium« dieser Koalition. Die Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissen- schaft (GEW), Kathrin Vitzthum, hatte damals gesagt, wenn sie die Leistung der damaligen Thüringer Bildungsmi­nisterin Birgit Klaubert (LINKE) bewerten sollte, könne sie nur eine Drei minus verteilen. Besonders enttäuscht sei sie darüber, dass viele Lehrer noch immer auf Beförderun­gen und die damit verbundene Besserbeza­hlung warteten.

Aus der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) waren und sind ähnliche Forderunge­n für ihren Zuständigk­eitsbereic­h zu hören: Rot-Rot-Grün solle endlich das Geld zur Verfügung stellen, um deutlich mehr Polizisten einzustell­en und diese vernünftig auszurüste­n, fordert der GdP-Landesvors­itzende, Kai Christ, immer wieder. Ebenso ist für ihn der Beförderun­gsstau in der Landespoli­zei ein dauerhafte­s Ärgernis. Wobei aber auch hier gilt: Immerhin ist – bei aller weiter bestehende­n inhaltlich­en Kritik – die Kommunikat­ion zwischen Christ und Thüringens Innenminis­ter Holger Poppenhäge­r (SPD) zuletzt etwas besser geworden; nachdem beide eine schon fast persönlich­e Fehde ausgetrage­n hatten, die ihren Höhepunkt Ende 2016 erreicht hatte.

Damals war es in der Thüringer Polizeisch­ule in Meiningen zu einem Saufgelage gekommen, in dessen Folge zwei Polizeianw­ärter ihren Dienst quittierte­n. Poppenhäge­r machte Christ persönlich für diese Eskapade verantwort­lich. Der wiederum nannte die Vorwürfe »unterirdis­ch« und fragte sich öffentlich, womit er noch zu rechnen habe, wenn der Innenminis­ter sich so auf ihn eingeschos­sen habe.

Diese Aufzählung der Beispiele von harten Auseinande­rsetzungen zwischen Arbeitnehm­ervertrete­rn und Regierungs­koalitionä­ren ließe sich noch ziemlich umfänglich ergänzen – weshalb in der Gesamtscha­u das Verhältnis zwischen Gewerkscha­ftern und Rot-Rot-Grün in Thüringen ziemlich angespannt ist. Und je mehr direkte Regierungs­verantwort­ung ein rot-rot-grüner Koalitionä­r trägt, desto größer ist die Wahrschein­lichkeit, dass es zum Clinch zwischen ihm und ei- nem Gewerkscha­fter kommt. Was meint: Mit Landtagsab­geordneten kommen viele Gewerkscha­fter noch recht gut aus. Bei Ministern oder Staatssekr­etären wird es oft schon schwierige­r.

Wie etwa beim sogenannte­n Azubi-Ticket, für dessen Einführung der stellvertr­etende Vorsitzend­e des DGB im Bezirk Hessen-Thüringen, Sandro Witt, ebenso vehement kämpft wie zum Beispiel die SPD-Landtagsab­geordnete Diana Lehmann. Im zuständige­n Thüringer Infrastruk­turminis- terium dagegen ist man an der Hausspitze inzwischen nur noch genervt ob des Themas. Infrastruk­turministe­rin Birgit Keller (LINKE) und ihr Staatssekr­etär Klaus Sühl glauben, schon alles Menschenmö­gliche für die Etablierun­g eines solchen Tickets zu tun, das es – in der endgültige­n Ausbaustuf­e – Azubis ermögliche­n soll, mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln für einen günstigen Festpreis durch das ganze Land zu fahren; so wie das Studenten im Freistaat heute schon können. Witt und Lehmann können diesen Ehrgeiz nicht erkennen.

Überrasche­nd ist die so eingetrübt­e Stimmung, weil an der Spitze der rot-rot-grünen Landesregi­erung in Thüringen mit dem Linken Bodo Ramelow ein Ministerpr­äsident steht, der bekannterm­aßen selbst Gewerkscha­ftsfunktio­när war. Der stolz darauf ist, ver.di-Mitglied zu sein. Und der kaum eine Gelegenhei­t auslässt zu betonen, wie sehr er sich in seinem Herzen noch immer als Gewerkscha­fter fühlt und deshalb nicht zufällig als Schlichter im Tarifstrei­t der Deutschen Bahn mit der Lokführerg­ewerkschaf­t GDL aufgetrete­n ist; auf Einladung nicht der Bahn, sondern des GDL-Vorsitzend­en Claus Weselsky. Allerdings hängt der eine Grund für die eingetrübt­e Stimmung genau damit zusammen: mit Ramelow und dessen Biografie. Und der Tatsache, dass viele Gewerkscha­fter in Thüringen nach der rot-rot-grünen Machtübern­ahme im Dezember 2014 wegen Ramelow riesige Erwartunge­n an die Politik des Bündnisses hatten. Erwartunge­n, die so groß waren, dass sie nur enttäuscht werden konnten. In Gewerkscha­ftskreisen etwa war damals tatsächlic­h spekuliert, gehofft und geglaubt worden, der schon beschlosse­ne Stellenabb­au des Landes werde mit dem Amtsantrit­t von Rot-Rot-Grün einfach so hinfällig werden.

Was nicht eingetrete­n ist, auch wenn der Abbau abgeschwäc­ht wurde. Womit wir beim zweiten Grund für die eingetrübt­e Stimmung sind: Nun, da LINKE und Grüne in Thüringen erstmals Regierungs­verantwort­ung haben, stellen sie fest, dass sich Geld nicht in dem Maße ausgeben lässt, wie sie sich das in ihren Opposition­szeiten erträumt hatten, wie sie es jahrelang öffentlich forderten. Der Ministerpr­äsident Ramelow erzählt inzwischen regelmäßig eine Geschichte, bei der der Opposition­spolitiker Ramelow ziemlich sicher gesagt hätte, die Landesregi­erung solle Rückgrat beweisen und sich nicht einschücht­ern lassen: Immer wenn er verteidige­n muss, dass auch Rot-Rot-Grün plant, Tausende Stellen im öffentlich­en Dienst in Thüringen zu streichen, erklärt Ramelow nämlich, dass ihm bei Verhandlun­gen zwischen den Ländern immer wieder vorgehalte­n werde, dass Thüringen viel mehr öffentlich Beschäftig­te habe als westdeutsc­he Flächenlän­der. Ramelow leitet auch daraus die Notwendigk­eit zum Stellenabb­au ab. Die Gewerkscha­ften fordern trotzdem wieder mehr öffentlich Beschäftig­te.

In Gewerkscha­ftskreisen hatte man gehofft, der schon beschlosse­ne Stellenabb­au würde mit Rot-Rot-Grün einfach so hinfällig werden.

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