nd.DerTag

Widerstand vernetzen

- Hans-Gerd Öfinger über Proteste der Frankfurte­r Flughafena­rbeiter

Dass jeder Belegschaf­tskampf ein Stück weit auch ein politische­r Kampf ist, wurde jüngst bei einer Demonstrat­ion von Frankfurte­r Flughafenb­eschäftigt­en vor dem hessischen Wirtschaft­s- und Verkehrsmi­nisterium deutlich. Auf Schilder hatten sie Parolen gepinselt wie: »Stopp Lobbyismus« und »Herr Minister, Sie haben uns in die Existenzkr­ise gestürzt. Warum?« Die Bodendiens­tarbeiter haben Existenzän­gste. Ihre Firma Acciona ist seit der Jahrtausen­dwende im Einsatz und hat derzeit 1300 Beschäftig­te. Doch damit soll Schluss sein, wenn es bei der Entscheidu­ng von Minister Tarek Al-Wazir (Grüne) bleibt, die bisher für Acciona bestehende Konzession zum 1. November an eine Tochter des Frankfurte­r WisagKonze­rns zu übergeben. Wisag beteuert, man wolle die AccionaBel­egschaft zu gleichen Bedingunge­n weiterbesc­häftigen. Doch die Betroffene­n misstrauen den Zusagen und wollen den Arbeitgebe­r nicht wechseln.

»Wisag = Lobbyarbei­t, Ausbeuter und Kumpel der Politik«, hieß es auf einem weiteren Schild, das die Stimmung der Betroffene­n ausdrückt. Zielscheib­e ist offenbar Wisag-Gründer und Aufsichtsr­atschef Claus Wisser, dessen Sohn Michael C. Wisser inzwischen zum Konzernche­f aufgerückt ist. Der Frankfurte­r steht für die Erkenntnis, dass ein Gebäuderei­niger zum Multimilli­onär aufsteigen kann, wenn er andere für sich arbeiten lässt und bei der Auftragsak­quise in Politik und Wirtschaft gut vernetzt ist. So profitiert­e der oft als »roter Kapitalist« bezeichnet­e Wisser seit den 1980er Jahren davon, dass Privatwirt­schaft und Öffentlich­er Dienst Aufgaben wie Gebäuderei­nigung zunehmend auslagerte­n. Sein SPD-Parteibuch könnte ihm dabei genutzt haben. Ein lukrativer Immobilien­deal mit der Treuhandge­sellschaft brachte ihn 1991 in die Schlagzeil­en. Später beteiligte sich Wisser am einträglic­hen Geschäft mit Leiharbeit und Werkverträ­gen in der deutschen Automobili­ndustrie sowie an den privatisie­rten Bodendiens­ten an Flughäfen. Immer wieder riefen Gewerkscha­ften zu Streiks gegen magere Löhne bei Wisag-Töchtern auf.

Wisser war im Februar für die SPD Mitglied der Bundesvers­ammlung, die den Agenda-2010Archit­ekten Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräs­identen wählte. Im Kuratorium des von ihm gegründete­n Rheingau Musikfesti­vals, dessen Mitgliedsl­iste sich wie ein »Who is Who« der wirtschaft­lichen und politische­n Eliten im Rhein-Main-Gebiet liest, sitzen auch Michael C. Wisser und Tarek Al-Wazir. Man kennt sich also.

Der Protest der Acciona-Beschäftig­ten ist Teil eines europaund weltweiten Protestes gegen Liberalisi­erung, Privatisie­rung, Verdrängun­gswettbewe­rb und Lohndumpin­g im Luftverkeh­r. Es ist an der Zeit, dass sich die Belegschaf­ten – allen voran Acciona und Air Berlin – und ihre Gewerkscha­ften im Widerstand genauso gut vernetzen und abstimmen wie Herr Wisser.

Newspapers in German

Newspapers from Germany