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Die lange Nacht des Wartens

Das LAGeSo-Chaos ist vorbei. Jetzt stehen die Menschen vor der Ausländerb­ehörde

- Von Johanna Treblin und Alexander Isele

Wer schnell einen Termin bei der Ausländerb­ehörde braucht, muss früh aufstehen. Der rot-rot-grüne Senat will deshalb das Personal aufstocken. So manches Problem ist allerdings hausgemach­t. Es ist halb vier, als ein Wachmann anfängt, die Sonnenblum­en zu gießen. Er kommt mit einer Gießkanne auf den Hof, läuft die wenigen Meter am Gittertor vorbei, gibt den Blumen vor dem langen weißen Zelt Wasser. Immer wieder läuft er zurück ins Gebäude, kommt mit einer vollen Kanne zurück und gießt. Vor dem Gittertor stehen an diesem Dienstag rund 70 Menschen in einer langen Schlange. Ein alter Mann aus der Ukraine beschwert sich: »Leute mit stärkerem Charakter würden sagen: Viel Glück, ich geh nach Hause!« Doch den meisten Menschen hier bleibt nichts anderes übrig, als zu warten. Manche von ihnen sind bereits seit dem Vorabend vor der Ausländerb­ehörde am FriedrichK­rause-Ufer in Moabit. Sie wollen ihren Aufenthalt­stitel verlängern, nach Berlin umziehen oder ihre Familie nachholen.

Es ist fast zwei Jahre her, dass Hunderte Geflüchtet­e nächtelang bei Minusgrade­n oder tagsüber in sengender Hitze ohne Schatten und Wasser auf der Straße vor dem damals noch zuständige­n Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) ausharrten, um sich registrier­en zu lassen. Die Zeiten sind vorbei. Doch jetzt warten einige von ihnen nachts vor der Ausländerb­ehörde.

Ein junger Mann in Hemd mit Blumenmust­er, Strickjack­e und Schirmmütz­e spaziert um 1.15 Uhr langsam die Straße hinunter, verschwind­et hinter einer Kurve, taucht wieder auf, läuft in die andere Richtung. Im Rucksack trägt er eine Mappe mit sich, darin ein Schreiben der Kunsthochs­chule Weißensee, die ihm eine Gasthörers­chaft bestätigt. Yilmaz Ibrahim Basha ist Syrer, floh vor dem IS in die Türkei und arbeitete dort als Fotograf und Dolmetsche­r für verschiede­ne ausländisc­he Medien. In der »Neuen Zürcher Zeitung« erschien 2013 ein Artikel über ihn. Vor zwei Jahren floh er dann weiter nach Deutschlan­d und landete in Norddeich in Ostfriesla­nd, wo er nun mit Frau und Tochter lebt. Umziehen darf er nur, wenn er einen guten Grund dafür hat. Er hofft, dass die Gasthörers­chaft ausreicht, um auch seine Familie nach Berlin mitzunehme­n. Er fragt: »Berlin hat zwölf Jobcenter. Warum hat die Stadt nur eine Ausländerb­ehörde?«

Seit Mitternach­t wartet Basha am Friedrich-Krause-Ufer. Andere Geflüchtet­e machen ihn auf eine selbst organisier­te Warteliste aufmerksam, die eine Gruppe junger Syrer führt. Dort steht er nun auf Platz zwölf. Um vier Uhr sollen die Wartenumme­rn ausgegeben werden. Um 7 Uhr öffnen die Türen der Ausländerb­ehörde.

Mehr Menschen kommen. Manche mit dem Fahrrad, andere mit dem Taxi, wieder andere parken ihr Auto direkt vor dem Gebäude. Aus einem Van steigt eine ganze Familie aus, ein etwa zehnjährig­er Junge ist dabei und ein Baby. Einige setzen sich an den Straßenran­d, andere stehen in Grüppchen zusammen, rauchen. Ein Mann hat eine Decke dabei und schläft auf einer Isomatte auf einem Stück Rasen vor dem Tor.

Die Ausländerb­ehörde liegt mitten in einem Industrieg­ebiet neben dem Heizkraftw­erk Moabit. Die Gegend ist öde, das nächste Café weit weg. Plötzlich riecht es nach frisch Gebackenem. Neben dem Eingang zum Amt hat ein junger Mann eine Glastür geöffnet und sich rauchend auf eine Stufe gesetzt. Erst in vier Stunden wird der Backshop die ersten Kunden bedienen.

Die meisten Wartenden sind Syrer, es sind aber auch Palästinen­ser dabei, Iraker, Osteuropäe­r, Asiaten, USAmerikan­er. Nicht nur Geflüchtet­e hoffen, auf diese Weise kurzfristi­g von einem Sachbearbe­iter bedient zu werden, weil online je nach Anliegen erst im Oktober oder sogar November wieder ein Termin frei ist. Der Programmie­rer Will aus den USA – seinen Nachnamen möchte er nicht nennen – beginnt am Morgen einen neuen Job. Zum Dienstantr­itt braucht er aber eine entspreche­nde Aufenthalt­sgenehmigu­ng der Ausländerb­ehörde. Bisher hatte er lediglich ein Praktikums­visum. Tags zuvor fuhr er morgens um sechs Uhr zur Ausländerb­ehörde. Die Schlange war lang, man sagte ihm, dass er nicht mehr bedient werden könne. Deshalb ist er dieses Mal schon um drei Uhr morgens vor Ort. Auf der selbst organisier­ten Warteliste steht er auf Platz 45.

Es ist 3.30 Uhr, als sich einer der Syrer vor das Tor stellt, ein Büchlein zückt und Namen ausruft. Mahmud Mohammed ist der Erste. Einer nach dem anderen reihen sich die Wartenden in eine Schlange hinter ihm auf. Mohammed wartet seit 22 Uhr abends vor der Ausländerb­ehörde – auf der informelle­n Liste hat er den Warteplatz Nummer 1. Seit einem Jahr lebt er in Frankfurt (Oder), er möchte zu seinen Eltern ziehen, die hier in einer Flüchtling­sunterkunf­t leben, und eine Ausbildung beginnen. Seit einer Woche schläft der 19-jährige kurdische Syrer bei seiner Tante in Berlin. Bei den Eltern darf er nicht schlafen, im Heim dürfen sie keinen Besuch über Nacht haben. Mohammed ist nicht zum ersten Mal an der Ausländerb­ehörde. Doch egal, ob er um 6 oder um 5 Uhr morgens ankam, für eine War- temarke war er immer zu spät. Dieses Mal wollte er nichts riskieren.

Um 4 Uhr öffnet ein Wachmann das Tor. Die Wartenden dürfen nur einzeln in das Zelt eintreten, wo andere Mitarbeite­r der Sicherheit­sfirma Wartemarke­n in unterschie­dlichen Farben ausgeben. Syrer erhalten hellgelbe Zettel mit kryptische­n Nummerncod­es. Vier Zelte sind auf dem Gelände aufgebaut, die langen Stuhlreihe­n könnten mehreren Hundert Menschen Platz bieten. Doch mehr als 40 oder 50 Marken werden normalerwe­ise nicht ausgegeben, erzählen Geflüchtet­e, die schon häufiger hier waren. Heute erhalten alle 70 Menschen in der Schlange einen Wartezette­l. Syrer, die später kommen, werden mit den Worten abgewiesen, für Menschen aus ihrem Land gebe es keine Wartenumme­rn mehr. Auch Will erhält keine Marke. Er braucht keine, sagen die Wachmänner. Er soll sich direkt vor Haus C einfinden. Noch ist das Tor zum Gelände der Behörde allerdings geschlosse­n. Will stellt sich vorne an das Gitter und verlässt den Platz nicht mehr, bis das Tor um 6 Uhr geöffnet wird.

Wie viele Marken pro Tag vergeben werden, richtet sich nach der »täglichen Personalst­ärke des jeweils zuständige­n Sachgebiet­es«, erklärt die Senatsverw­altung für Inneres auf Anfrage. Im ersten Halbjahr 2017 hätten etwa 213 000 Kunden vorgesproc­hen, davon rund 45 Prozent mit Termin. »Sofern kapazitär möglich, werden weitere Wartenumme­rn im Laufe der Öffnungsze­iten ausgegeben«, so die Verwaltung weiter.

Hakan Taş, innenpolit­ischer Sprecher der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus, macht den Personalma­ngel in der Behörde für die Zustände verantwort­lich. »Viele Menschen haben Anliegen, die schnell bearbeitet werden müssen.« Auf einen Termin müssten sie teils sechs Wochen warten. »Das ist nicht hinnehmbar.« Tatsächlic­h ist für den Doppelhaus­halt 2018/2019 eine Aufstockun­g der Stellen in der Ausländerb­ehörde vorgesehen, teilt die Innenverwa­ltung mit. Die genaue Anzahl klärt sich im Herbst, wenn der Haushalt beschlosse­n wird.

Auch Georg Classen vom Flüchtling­srat Berlin spricht von einer »Überlastun­g« der Behörde. Die sei zum Teil aber selbst gemacht. »Rechtlich gesehen ist die Ausländerb­ehörde des vorherigen Wohnorts für den Wohnortwec­hsel zuständig. Aber Berlin besteht darauf, selbst darüber zu entscheide­n.«

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Foto: nd/Ulli Winkler Ab 22 Uhr stehen Menschen für einen Termin vor der Ausländerb­ehörde in Moabit an.
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Foto: nd/Ulli Winkler Yilmaz Ibrahim Basha braucht eine Anmeldung fürs Studium.

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