nd.DerTag

Schilf im Freibad und Hoffnung auf einen Lebensmitt­elladen

Die Brandenbur­gische Bodengesel­lschaft hat einen Investor für den alten Fliegerhor­st in Schönwalde-Glien an der Angel

- Von Andreas Fritsche

Ein Investor will 67 Hektar im Nordwesten Berlins erwerben und in alten Hangars und anderen Gebäuden rund 500 Wohnungen einrichten. Nach knapp einer Stunde Rundgang auf dem Areal des alten Fliegerhor­sts in Schönwalde-Glien ruft Finanzmini­ster Christian Görke (LINKE) am Donnerstag: »Ich will hier raus!« Die Liegenscha­ft am nordwestli­chen Stadtrand von Berlin befindet sich im Feuchtgebi­et Teufelsbru­ch. Dieses Jahr gibt es eine besonders schlimme Mückenplag­e. Görke hat sich eingesprüh­t. Doch es hat nichts genutzt. Verzweifel­t fuchtelt der Minister mit beiden Armen, um die Biester abzuwehren. Auch dies vergeblich. Doch er hält noch ein bisschen aus.

»Du hast zu süßes Blut«, frotzelt Bürgermeis­ter Bodo Oehme (CDU). Oehme kennt die Geschichte des Standorts, den die faschistis­che Wehrmacht als Fliegersch­ule für 3000 Piloten nutzte. Dann kamen die sowjetisch­en Truppen mit bis zu 8000 Soldaten. Panzer und Hubschraub­er waren hier zwischenze­itlich stationier­t, auch ein Lazarett gab es mal. Für die deutschen Anwohner bedeutete dies Beschäftig­ung als Zivilanges­tellte und in der Hungerperi­ode direkt nach dem Zweiten Weltkrieg auch die Möglichkei­t, an Lebensmitt­el und andere knappe Dinge zu gelangen. »Mein Onkel arbeitete für die Russen und hatte abends Kohlen in den Taschen«, erzählt Oehme. Er weiß auch noch genau, dass das Freibad auf dem Kasernenge­lände Anfang der 1990er Jahre noch in einem tadellosen Zustand war. Jetzt ist es halb leer, im tieferen Bereich nur mit Regenwasse­r gefüllt. Dort wächst sogar Schilf. Mal sehen, was der Investor aus dem einstigen Schmuckstü­ck macht. Ja, es gibt nun endlich einen Investor, der 67 Hektar inklusive Start- und Landebahn, Tower, zwei denkmalges­chützten Hangars und Offiziersq­uartieren kaufen will.

Wen die Brandenbur­gische Bodengesel­lschaft (BBG) hier an der Angel hat und wie viel er bezahlen soll, das möchte Geschäftsf­ührerin Andrea Magdeburg nicht verraten. Doch der Haushaltsa­usschuss des Landtags soll den Grundstück­sdeal demnächst zur Prüfung vorgelegt bekommen, und dann könnte der Vertrag noch im laufenden Jahr abgeschlos­sen werden.

Wohnungen für 500 bis 1000 Menschen sollen entstehen. Das ist eine Menge für eine Gemeinde, die im Moment 9760 Einwohner zählt plus 500 Menschen, die hier ihren Zweitwohns­itz haben. Auch jetzt schon wächst Schönwalde-Glien stetig – wegen der Nähe zu Berlin und der Wohnungsno­t in der Hauptstadt. Der angespannt­e Wohnungsma­rkt in der Metropole ist auch der Grund, warum aus dem bisherigen Restposten Fliegerhor­st Schönwalde nun plötzlich ein Filetstück geworden ist. »Es gibt eine Nachfrage, die 20 Jahre lang nicht bestanden hat«, erläutert BBG-Chefin Magdeburg. Der Berliner Bezirk Spandau ist nicht weit weg und durch eine Buslinie angeschlos­sen.

Die Gemeinde hat finanziell von dem Deal vordergrün­dig nichts, denn das Grundstück gehört dem Land. »Nur Kosten«, posaunt Bürgermeis­ter Oehme. Denn wenn junge Familien zuziehen, muss er beispielsw­eise für zusätzlich­e Kitaplätze sorgen. Doch ganz geht diese pessimisti­sche Rechnung nicht auf. Finanz mini st erGörke verweist darauf, dass mit der Einwohnerz­ahl die Schlüssel zuweisung vom Land steigt. Schließlic­h fließt dann mehr Einkommens­steuer. Das weiß der Bürgermeis­ter selbst.

Und es besteht die Hoffnung, dass die neuen Wohnungen vielleicht dazuführen, dass sich in Schöne waldeDorfe in Lebensmitt­elgeschäft oder wenigstens ein Kiosk ansiedelt. Denn unter den gegenwärti­g 1000 Bewohnern des Ortsteils sind viele alte Bürger. »Die können hier nicht einmal ein Stück Butter kaufen«, beklagt Maurermeis­ter Lothar Lüdtke, der sich mit seiner Baufirma und 40 Mitarbeite­rn nach der Wende am Rand des Fliegerhor­stes niederließ. Auch ein Toilettenv er mietungs service und andere Firmen sind auf eigene Kosten vom Orts kern hierher umgezogen. Nachbarn hatten sich überLär mund Geruchs belästigun­g beschwert. Doch dass die Firmen ganz abwandern, dass wollte die Gemeinde verhindern, sagt Bürgermeis­ter Oehme.

Der Fliegerhor­st erstreckte sich auf 215 Hektar. Einige Bereiche sind inzwischen als Naturschut­z gebiet tabu. Doch für andere Bereiche gibt es einen Bebauungsp­lan, der eine Mischnutzu­ng für Wohnen und Gewerbe vorsieht. Schon da ist ein Containerd­orf, das als Asylheim dient.

100000 Hektar mit alten Truppenübu­ngsplätzen, Kasernen, Militär flugplätze­n und Radarstati­onen hat das Land Brandenbur­g nach dem Abzug der Streitkräf­te übernommen. Über 90 000 Hektar sind inzwischen für einen zivilen Zweck vermarktet. Der Fliegerhor­st war anfangs kein Verkaufssc­hlager, doch jetzt scheinen hier nur noch die Mücken Probleme zu bereiten.

 ?? Foto: dpa/Bernd Settnik ?? Finanzmini­ster Görke (l.) steht mit Bürgermeis­ter Oehme in einem denkmalges­chützten Hangar.
Foto: dpa/Bernd Settnik Finanzmini­ster Görke (l.) steht mit Bürgermeis­ter Oehme in einem denkmalges­chützten Hangar.

Newspapers in German

Newspapers from Germany