Kein Ort für Propaganda
Im Emsland fordert die Linkspartei ein Tabu für Wahlplakate nahe einer NS-Gedenkstätte
Das ehemalige KZ Esterwegen soll von Wahlwerbung freigehalten werden. Das fordert die LINKE im Rückblick auf eine »provokante« Plakatierung der AfD bei einer zurückliegenden Kommunalwahl. Ein Ort, an dem Hitlers Schergen unzählige Antifaschisten, Sinti und Roma, Homosexuelle sowie regimekritische Künstler quälten, ist kein Platz für politische Werbung, meint die LINKE im Emsland und fordert: Wahlplakate sollen aus dem Umfeld des ehemaligen Konzentrationslagers Esterwegen verbannt werden. Rechtlich ist das durchaus möglich, aber nicht von heute auf morgen. Vor dem Errichten einer Wahlkampf-Tabuzone muss der Instanzenweg bewältigt werden.
Anlass für den ersten Schritt der LINKEN auf diesem Weg waren Erinnerungen an die vergangene Kommunalwahl in Niedersachsen. In ihrem Vorfeld habe es um die KZ-Gedenkstätte »eine nicht hinnehmbare provokante Plakatierung durch die AfD gegeben«, berichtet die Partei. Sie will nicht nur die Propaganda von Rechtspopulisten an einer Folterstätte des NS-Regimes untersagen lassen, sondern jegliche politische Reklame »möglichst weiträumig« um das einstige Lager.
Gut 100 Kilometer westlich von Bremen ist es zu finden, eines der frühen KZs in Hitlerdeutschland. Schon im Herbst 1933 war es fertiggestellt, bot Platz für 2000 Häftlinge, die unter unsäglichen Bedingungen das Moor der Umgegend trockenlegen mussten. Nicht nur den Schikanen der SS-Männer waren sie ausgeliefert, sondern auch Schlägern der SA, die bei Aufbau und Betrieb der ersten Konzentrationslagers mitwirkten, unter anderem in Esterwegen.
Zu den dort Gequälten zählte der 1935 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete pazifistische Schriftsteller Carl von Ossietzky, der in jenem Lager an einer für ihn tödlichen Lungentuberkulose erkrankte. Ihm seien im Lager in mörderischer Absicht TBC-Bazillen injiziert worden, berichtete später ein Mithäftling. Belegen ließ sich das nicht. Ebenfalls in Esterwegen geschunden worden war der Widerstandskämpfer Julius Leber, den die Nazis später nach einem Schauprozess hinrichteten.
Im Gedenken an diese und die vielen weiteren Opfer der Gewalt im KZ und auch mit Rücksicht auf Überlebende und Hinterbliebene möge das Umfeld des ehemaligen Lagers von Wahlwerbung frei bleiben, bat die Emsländer LINKE nun durch ihr Kreistagsmitglied Norbert Albert die Gemeinde Esterwegen um entsprechende Maßnahmen. Die Bedeutung der Gedenkstätte dürfe nicht unterschätzt werden, symbolisiere sie doch millionenfaches Leid.
Mit dieser Ansicht ist die Linkspartei nicht allein. So betonte der Lei- ter der niedersächsischen Gedenkstättenstiftung, Jens Christian Wagner, gegenüber dem NDR: Solche Erinnerungsorte wie Esterwegen haben »eine besondere Würde und besondere historische Sensibilität«. Deshalb solle Wahlwerbung in ihrer Nähe grundsätzlich keinen Platz bekommen.
Ähnlich geäußert haben sich auch der Landkreis Emsland und die Gemeinde Esterwegen. Sie allein kann ein Plakatierungsverbot verhängen, und zwar durch eine »Sondernutzungssatzung«. Die aber wird weder vor der Bundestagswahl am 24. September noch vor der Landtagswahl in Niedersachsen am 15. Oktober zustande kommen, denn: Vor seiner Rechtskraft muss solch ein Regelwerk in kommunalen Gremien beraten, vom Gemeinderat beschlossen und vom Landkreis in dessen Amtsblatt bekannt gemacht werden.
Esterwegen wäre dann nicht der erste Ort mit Plakatverbot in einem sensiblen Bereich. So untersagte in Berlin der Bezirk Kreuzberg 2014 jegliche Wahlwerbung rund ums jüdische Museum.
Der Berliner Bezirk Kreuzberg untersagte 2014 jegliche Wahlwerbung rund ums jüdische Museum.