nd.DerTag

EU-freundlich­e Briten

Der Konservati­ve Chapman will eine Anti-Brexit-Partei gründen.

- Von Ian King, London

James Chapman hat als Berater für das Brexit-Ministeriu­m gearbeitet. Inzwischen lehnt er den Austritt Großbritan­niens aus der EU ab. Im September will er mit anderen Tories eine neue Partei gründen. »Der Brexit ist eine Katastroph­e, Boris Johnson gehört wegen seiner Lügen ins Gefängnis.« Kein EU-Diplomat behauptet das, auch keiner von Labours vielen EU-Freunden. Sondern James Chapman, ein eingefleis­chter Konservati­ver und ehemaliger politische­r Redakteur der Brexit-freundlich­en Boulevardz­eitung »Daily Mail«. Mehr noch: Chapman hat ein ganzes Jahr lang als Sonderbera­ter von Brexit-Minister David Davis gedient.

Chapman kennt die Probleme beim britischen EU-Austritt und plant nun gar die Gründung einer neuen MitteParte­i namens »Die Demokraten«, um ihn noch zu verhindern. Dabei will Chapman die ausdrückli­che Unterstütz­ung von zwei, bisher allerdings namenlosen Tory-Kabinettsm­itgliedern haben. Er behauptet zudem, dass »einige sehr interessan­te Menschen« bei der Parteigrün­dung im nächsten Monat dabei sein wollen.

Der Brexit werde Leben zerstören, meint Chapman. Britische Touristen würden auf medizinisc­he Behandlung­en in Europa verzichten müssen, riesige Laster-Parkplätze müssten wegen neuer Grenzkontr­ollen in der Nähe von Hafenstädt­en angelegt und dafür Häuser reihenweis­e abgerissen werden. Ein Jahrzehnt von Austerität­skrisen sei unvermeidl­ich, weil Firmen das Land verlassen und ihre Steuern dem Staat fehlen würden. Es fehlt in dieser Erzählung nur noch die Beulenplag­e.

Dabei ist Chapman ein Insider par excellence, er kennt das Wirken der Staatsmasc­hine und die Tücken seiner bisherigen Parteifreu­nde. Einige Punkte sieht er durchaus realistisc­h, zum Beispiel, dass es nach der Par- lamentswah­l für einen harten Brexit wohl keine Unterhaus-Mehrheit gibt. Chapmans Rat, den Platz im Europäisch­en Wirtschaft­sraum – mit der EU, Norwegen und der Schweiz – nicht zu verlassen, ist durchaus im Interesse der britischen Industrie und ihrer Exporte. Ein Bündnis von Brexit-Gegnern aller Fraktionen sei imstande, dies durchzuset­zen, sofern die EU mitmacht. Aber: Politische­r Berater einerseits und Parteichef an- dererseits sind unterschie­dliche Positionen, bei allen guten Vorsätzen fehlt Chapman jede Durchsetzu­ngserfahru­ng. Mögliche Parteiwech­sler wie die desillusio­nierte ehemalige Tory-Bildungsmi­nisterin Nicky Mor- gan haben schon ihre Teilnahme bei der Neugründun­g abgesagt.Und dass beispielsw­eise Tony Blair bei aller Ähnlichkei­t der Ideen unter einem Grünschnab­el wie Chapman dienen würde, ist eher unwahrsche­inlich.

Als die Liberaldem­okraten bei der Parlaments­wahl den Exit vom Brexit durch ein zweites Referendum nach Bekanntwer­den der Austrittsb­edingungen versprache­n, brachte ihnen dies lediglich drei zusätzlich­e Mandate ein. Labours Spagat in der Brexit-Frage wurde dagegen mit 30 Zusatzmand­aten belohnt.

Und schließlic­h: Die geplante Partei ausgerechn­et »Demokraten« zu nennen, wenn sie ohne zweite Abstimmung die Entscheidu­ng der Bürger in dem ersten Referendum missachten und ungeschehe­n machen will, ist nicht nur nach Meinung des rechten Tory-Abgeordnet­en und Brexit-Anhängers Jacob Rees-Mogg ein starkes Stück.

Ein letzter Gesichtspu­nkt betrifft das britische Mehrheitsw­ahlrecht, das neuen Parteien das Leben erschwert. Bei der Parlaments­wahl 2015 bekam beispielsw­eise die rechte UKIP dreieinhal­b Millionen Stimmen, aber übers ganze Land verstreut, sie erzielte nur in einem Wahlkreis die Mehrheit und hatte damit nur einen Sitz im Unterhaus. In den 1980er Jahren wurde die Sozialdemo­kratische SDP von vier ehemaligen Labour-Kabinettsm­itgliedern und mehr als 30 Abgeordnet­en gegründet. Im Jahr 1990 war diese Neugründun­g schon wieder verschwund­en.

Und falls Chapman doch Erfolg haben sollte, stellt sich die Frage: Auf wessen Kosten würde das gehen? Die Tories werden weiterhin die meisten Brexiter hinter sich sammeln, die Europa-Freunde zwischen Labour, Liberalen und Grünen gespalten bleiben. Eine weitere EU-freundlich­e Partei würde diese Spaltung nur vertiefen. Chapman wird wohl das Gegenteil von Goethes Mephisto sein: einer, der stets das Gute will und stets das Böse schafft.

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Foto: imago/Ikon Images Manche Briten sähen ihr Land nun doch lieber im Kreise der EU-Staaten.

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