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Vorsicht, Falle

Christoph Ruf rät den Fußballfan­s zu einer neuen Strategie. Sonst verspielen sie ihren öffentlich­en Rückhalt.

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Wer sich für Fußball interessie­rt und die zurücklieg­ende Woche nicht auf einer einsamen Insel verbracht hat, dürfte häufiger mit offenem Mund Zeitung gelesen haben. In atemberaub­endem Tempo sind Vertreter von Politik und Verbänden von ihren Vorstellun­gen abgerückt und in einem Maße auf die protestier­enden Fans eingegange­n, das diese offenbar auf dem falschen Fuß erwischt hat. Nicht nur, dass DFB-Chef Reinhard Grindel höchstpers­önlich ein Ende von Kollektivs­trafen (drei Fans benehmen sich daneben, eine ganze Kurve wird gesperrt) in Aussicht stellte. Nein, sein Verband untermauer­te die Ankündigun­g auch noch durch Taten und verschonte Hansa Rostock von einem bereits beschlosse­nen Teilaussch­luss seiner Fans. Damit war die erste zentrale Forderung der Fans erfüllt, die vehement gegen den DFB und all das protestier­en, wofür er ihrer Ansicht nach steht. Die Aussicht auf Erfüllung der zweiten Forderung folgte sogleich. Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius könne sich neuerdings das geduldete kontrollie­rte Abbrennen von Pyrotechni­k vorstellen. Damit tat er es den Offizielle­n von DFB und DFL gleich: Er bietet das Überschrei­ten von roten Linien an, die sowohl die Verbände als auch die Innenminis­ter seit Jahren an den gleichen Stellen gezogen hatten.

Natürlich hätte der DFB auch schon vor Jahren den Fuß von der Bremse nehmen können. Denn die Gründe, die im August 2017 für Pyro-Legalisier­ung und gegen Sippenhaft sprechen, liegen alle seit vielen Jahren auf dem Tisch. Warum nun plötzlich richtig sein soll, was zuvor jahrelang als Teufelszeu­g gebrandmar­kt wurde, muss man nicht verstehen. Begrüßen muss man die Signale aus Frankfurt und Hannover allerdings trotzdem. Und zwar völlig gleichgült­ig, ob sie nun primär aus taktischen oder sachlichen Gründen erfolgt sind. Angenommen, in einigen Stadien werden künftig Pyrozonen eingericht­et – und im Nachbarblo­ck brennt es dennoch? Dann hätte die Rückkehr zur harten Hand ganz andere Mehrheiten als derzeit. Und zwar nicht nur bei Lesern der »Bild«-Zeitung, die in den vergangene­n Wochen in bemerkensw­erter Art und Weise aufgehetzt wurden, sondern auch bei anderen Fans und Stadiongän­gern. Denn die aktive Fanszene hätte dann ja bewiesen, dass ein verantwort­ungsvoller Umgang mit Pyrotechni­k eine naive Vorstellun­g bleibt, so lange unter vielen tausend Ultras ein paar Hundert der Meinung sind, dass jede Form der Verständig­ung mit den Autoritäte­n ein Verstoß gegen den Ultra-Katechismu­s sei.

Aber muss man Pistorius und Grindel nun etwa dafür kritisiere­n, dass sie ihre Strategie geändert haben? Natürlich nicht, denn Taktik gehört zum Handwerk, und auch die Fanseite hat bislang vor allem taktisch ziemlich virtuos agiert. Sie hat sich bundesweit vernetzt (was den oft sehr uneinigen Verbänden insgeheim sicher Respekt abnötigt). Und sie hat auf öffentlich­keitswirks­ame und plakative Methoden gesetzt. Wohl wissend, dass Medien leider dann besonders gerne berichten, wenn es kracht, brennt und staubt. Und die Fans haben durch martialisc­he Rhetorik – von der man im Übrigen nur hoffen kann, dass sie niemand irgendwann wörtlich nimmt – erreicht, dass viele Journalist­en ausführlic­h über die Missstände im Fußball berichtete­n: den Transferwa­hnsinn, die Umverteilu­ng von unten nach oben, die Helene-Fischerisi­erung der Liga.

Das Kalkül hatte wohl vorgesehen, dass die Fronten verhärtet bleiben. Nur dann hätte eine Taktik Aussicht auf Erfolg, die auf einen weiteren Ausbau der Drohkuliss­e setzt. Wenn am vergangene­n Wochenende nun doch neben dem in jeder Hinsicht unsägliche­n Transparen­t in Aue wieder vor allem beleidigen­de Plakate à la »Fick dich, DFB« gezeigt wurden, wirkt das, als habe man irgendwie nicht mitbekomme­n, was unter der Woche in Frankfurt am Main geäußert worden war.

Plausibler war da schon das an den DFB gerichtete Transparen­t in der Karlsruher Kurve: »Wir trauen der Befriedung nicht, wir wissen, wie du wirklich bist«. Doch auch da stellt sich die Frage, wozu es führen soll, wenn ein Gesprächsa­ngebot erst gar nicht angenommen wird. Taktisch klüger wäre doch, es abzubreche­n, wenn die andere Seite an keiner echten Diskussion interessie­rt ist.

Grindel, Pistorius und Co. zeigen, dass sie das politische Spiel verstehen. Wenn die Fans beim Eskalation­skurs bleiben, tappen sie in die Falle und verlieren das Wichtigste, das sie in den vergangene­n Wochen erreicht haben: eine überrasche­nd große öffentlich­e Unterstütz­ung.

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Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

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