nd.DerTag

Wir Bürger als Sicherheit­srisiko

- Von Tom Strohschne­ider

Der demokratis­che Verfassung­sstaat, so hat es Jürgen Seifert formuliert, beruhe auf der Vorstellun­g eines unverrückb­aren Vorrangs des Bürgers gegenüber denjenigen, die über den Staatsappa­rat verfügen. In der Wirklichke­it ist dieses Prinzip aber ständigen Versuchen ausgesetzt, durch Sicherheit­spraktiken ausgehöhlt zu werden – es drohe eine »mehr oder minder vollständi­ge Erfassung des Bürgers«, auch »die Entwicklun­g der elektronis­chen Datenverar­beitung kann den Vorrang des Bürgers gegenüber der Verwaltung antasten und das Verhältnis von Bürger und Verwaltung umkehren«.

Geschriebe­n hat Seifert – Jurist, Politikwis­senschaftl­er und Bürgerrech­tler – dies 1977 zur Zeit des Deutschen Herbstes in einem Bändchen über Berufsverb­ote und Lauschangr­iff. Der Titel: »Wir Bürger als Sicherheit­srisiko«. Die Autoren trieb damals die Sorge vor der »Überreakti­on des perfekten Sicherheit­sstaates, die eben nicht mehr Schutz für die Bevölkerun­g, sondern Rechtferti­gung für die Einschnüru­ng demokratis­cher Rechte bringt«.

Dass die Sorgen von damals berechtigt waren, zeigt sich heute immer wieder – nicht zuletzt in der Entziehung von Akkreditie­rungen für Journalist­en beim G20-Gipfel. Der Fall bezeugt auf mehreren Ebenen, wie weitgehend bereits der Zugriff staatliche­r Stellen geraten ist.

Medienvert­reter wurden als Sicherheit­srisiko hingestell­t, zur Begründung wurden fragwürdig­e Datensamml­ungen herbeigezo­gen, über die Pressefrei­heit entschiede­n so letzten Endes politische­r Inlandsgeh­eimdienst und Polizeibeh­örde. Bis heute warten Betroffene und Öffentlich­keit auf eine akzeptable Erklärung, was auch eine Frage politische­r Verantwort­ung ist. Und was an Namensverw­echslungen und illegalen Personenei­nträgen in staatliche Datensamml­ungen bekannt wurde, lässt einem die Haare zu Berge stehen.

Es geht dabei nicht darum, begründete Sicherheit­sinteresse­n infrage zu stellen. Es geht aber darum, was hinter dem Rücken dieses Arguments geschieht – mit Auswir- kungen auf die grundrecht­liche DNA der Republik. Als Seifert seine Kritik staatliche­r Anwendung von Technologi­en der Überwachun­g und der politische­n Markierung formuliert­e, stand das polizeilic­he Rastern per Daten technisch gesehen noch am Anfang. Seither wurde seitens Politik und Behörden Jahr um Jahr nach neuen Möglichkei­ten gerufen, gespeicher­te Informatio­nen zu sammeln, zu verknüpfen, anzuwenden.

Die Affäre um den Entzug der Akkreditie­rungen von Journalist­en zeigt nun, wohin das führt: zu Willkür, zum Primat einer »Wahrheit«, die sich aus zum Teil rechtswidr­ig in staatliche­r Hand liegender Informatio­nen speist, die mal falsch sind und mal unter politische­n Opportunit­ätsgründen Anwendung finden – gegen Grundrecht­e.

Der Fall der G20-Akkreditie­rungen lässt so all die oft gehörten sicherheit­spolitisch­en Phrasen zerplatzen, laut denen man doch nichts zu befürchten habe, wenn man sich nicht zuschulden kommen hat lassen. Hat man eben doch.

Experten verweisen seit langem darauf, welche Gefahren in den Datensamml­ungen liegen: Es mangelt an wirksamen rechtliche­n Hürden, in polizeilic­he oder geheimdien­stliche Dateien zu gelangen. Die Erfassung wird den Betroffene­n meist gar nicht bekannt gemacht. Es fehlt an Kontrolle, der Datenschut­z hat viel zu wenig Ressourcen. Wer gespeicher­t ist, bleibt oft ewig staatlich markiert.

Das Problem lässt sich dabei weder auf Schlampere­i noch auf mangelnde Kontrolle reduzieren. Es geht um mehr, und es geht auch nicht nur um die in diesem Fall betroffene­n Journalist­en. In den Datensamml­ungen, auf deren Basis hier in die Pressefrei­heit eingegriff­en wurde, kann sich jeder wiederfind­en – und muss dann womöglich mit der Suspendier­ung seiner Rechte rechnen. Es geht also um den eigentlich unverrückb­aren Vorrang des Bürgers gegenüber denjenigen, die über den Staatsappa­rat verfügen.

Die Wirklichke­it sieht anders aus in einem Staat, der seine Bürger als Sicherheit­srisiko betrachtet. Oder mit anderen Worten: So stirbt Freiheit mit Sicherheit.

Newspapers in German

Newspapers from Germany