nd.DerTag

Auch die Kartoffel will Kahn fahren

Die brandenbur­gischen Binnenhäfe­n einst und heute

- Von Wilfried Neiße

Die Vielfalt der Häfen in Brandenbur­g waren das Thema der jüngsten nd-Sommerseri­e. Bis zum Ende der DDR kam den Binnenhäfe­n noch eine deutlich gewichtige­re wirtschaft­liche Bedeutung zu. Als der Autor dieser Zeilen Anfang der 1980er Jahre seine Arbeit als Volontär bei der damaligen »Märkischen Volksstimm­e« Potsdam aufnahm, bekam er seinerzeit ein »Jugendobje­kt« übergeben. Seine Überschrif­t lautete: »Häfen unseres Bezirks«.

Gibt es überhaupt mal etwas Neues unter der Sonne, möchte man sich angesichts solcher wiederkehr­ender Zyklen fragen. Der Transport auf dem Wasser gilt als ressourcen­schonend und effektiv, dessen war man sich auch Anfang der 1980er Jahre in der DDR bewusst. Die Verlagerun­g von Massentran­sporten von der Straße auf die Schiene beziehungs­weise auf die Binnengewä­sser wurde zum Bestandtei­l der ökonomisch­en Strategie ernannt. Dessen hatte sich eine SEDBezirks­zeitung umsichtig und tiefschürf­end anzunehmen. Und so entstanden damals die journalist­ischen Beiträge »Auch die Kartoffel will Kahn fahren«, »Kein Frachtbrie­f bleibt lange liegen« und »Wo die Bootsfahrt der Kohle beginnt«.

Der Vergleich ist freilich das Salz in der Suppe der Betrachtun­g. Was Masse und Gewicht betrifft, lag die DDR gegenüber den heutigen Verhältnis­sen uneinholba­r weit vorn. Das hing natürlich damit zusammen, dass bedeutende Mengen bestimmter Produkte stabil von einem Ort zum anderen gebracht wurden. Es gab eben die zentrale Planung und Leitung von Produktion­sprozessen, die konnte an dieser Stelle mal einen Vorteil ausspielen. »Der wachsende Verkehr auf unseren Flüssen und Kanälen ist vor allem aufgrund des rationelle­ren Kraftstoff­einsatzes ein Gebot der Zeit«, tönte ich in einem meiner Texte. Und ich lobte das Hafenkolle­ktiv in Brandenbur­g/Havel dafür, dass dort »die vorgegeben­en Umschlagze­iten eingehalte­n und oft sogar unterboten werden«. Nicht mal Wochenende oder Feiertage würden eine Ausnahme bilden.

Der Binnenhafe­n in Velten hatte damals den Tonumschla­g für die Kachelwerk­e der Stadt zu bewerkstel­ligen. Das benachbart­e Stahl- und Walzwerk Hennigsdor­f versandte zu DDR-Zeiten auf dem Wasserwege Stahlerzeu­gnisse in die Bundesrepu­blik, nach Belgien, in die Niederland­e. Ungeheure Schüttgutm­assen wurden entlang von Oder, Elbe und Spree bewegt. Ich hatte sozusagen Stoff für meine Zeitungsre­portagen. Die Plattenwer­ke für das Wohnungsba­uprogramm wurden auf dem Wasserwege mit gigantisch­en Mengen an Baustoffen versorgt. Zumindest dort, wo die Geografie oder der Kanalbau dies gestattete­n. Die Stärkefabr­ik in Brandenbur­g/Havel sollte den Grundstoff Kartoffel bald auch nur noch über den Silokanal beziehen, vermerkte ich stolz als Zukunftsmu­sik. Der Hafen in Königs Wusterhaus­en schlug damals die Kohlenberg­e für Berlin um. Die Heizwerke in Potsdam und Brandenbur­g/Havel wurden auf dem Wasserweg mit gigantisch­en Kohlemenge­n versorgt.

Was sich an dieser Stelle nach der politische­n Wende ereignete, ist letztlich nur als Zusammenbr­uch zu beschreibe­n. Der Umschlag der brandenbur­gischen Binnenhäfe­n fiel auf einen Bruchteil des Vorwendest­andes. Die Flotten von Schubkähne­n und die neuentwick­elten Schubprahm­e wurden zumeist verschrott­et. Genauere Betrachtun­g lohnt. Auch zu DDR-Zeiten stieß die Binnenschi­ff- fahrt (damals noch mit zwei f geschriebe­n) an Grenzen, welche eine Planwirtsc­haft nicht berücksich­tigen konnte.

Binnenschi­ffer und Hafenarbei­ter lösten eine Aufgabe, »die ungeachtet möglicher Hinderniss­e wie Nebel, Hoch- oder Niedrigwas­ser bewältigt werden muss«, wie ich meinen weisen Zeilen von einst entnehme. Natürlich ließen sich in einer materialin­tensiven Wirtschaft in groben Zügen stabile Transports­tröme planen. So weit das möglich war, wurde es in der DDR auch getan. Wetterunbi­lden, die den Schiffsver­kehr einschränk­ten oder sogar zum Erliegen brachten (extrem trockene Sommer, Eisgang im Winter), ließen sich aber nicht planen. Dann mussten auch damals Bahn und Lkw ran. Die aber waren in der Regel auch verplant. Um dem zu entgehen, wurde damals die Planwirtsc­haft zur Vorratswir­tschaft, man holte einfach das Zeug in günstigen Momenten heran und stapelte es neben den Häfen für »Notzeiten«. So schien es für alles eine Lösung zu geben. »Im nächsten Jahr verdoppeln wir unsere Zwischenla­gerfläche«, verriet mir im Oktober 1981 der Veltener Hafenmeist­er. Heute kommt da selbst Kohle kaum noch an.

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