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Das Sterben der Landgasthö­fe

Bürokratie, Nachwuchss­orgen und Fachkräfte­mangel sorgen für einen drastische­n Schwund in der ländlichen Gastronomi­e Thüringens

- Von Heidrun Böger

Seit 2008 ist die Zahl der Gaststätte­n in Thüringen um 28,7 Prozent gesunken – vorwiegend im ländlichen Raum. Das Gastgewerb­e fordert jetzt Unterstütz­ung. Ein Gasthof ist nicht nur ein Haus, in dem es Essen gibt, Getränke und manchmal ein Zimmer für die Nacht. Gerade in ländlichen Gemeinden spielt die lokale Gastronomi­e eine wichtige Rolle für die örtliche Gemeinscha­ft: Hier lassen sich Geburtstag­e feiern, Musikgrupp­en anhören und Hochzeiten begießen – oder auch anbahnen. Im Gasthof kristallis­iert sich das Leben.

Insofern ist es mehr als eine Randnachri­cht aus der Wirtschaft, dass etwa in Thüringen die Zahl gerade der Landgasthö­fe drastisch zurückgeht. Allein seit 2008 ist die Zahl der Gaststätte­n in Thüringen um 28,7 Prozent gesunken – vorwiegend betrifft das den ländlichen Raum. Das beobachtet auch Dirk Ellinger, der Thüringer Hauptgesch­äftsführer des Gastronomi­everbands Dehoga: »Man muss natürlich auch sagen, dass die Zeiten sich ändern, die Leute mobiler geworden sind und nicht mehr jedes Dorf seinen Gasthof hat.«

Doch es gibt auch Orte im Land, die von der Einwohnerz­ahl her groß genug wären und wo die Schließung des Gasthofes ein echter Verlust ist. Jobs gehen verloren und Wirtschaft­skraft – und eben auch ein Stück Regionalit­ät. Ein Kernproble­m sind die geringen Betriebsgr­ößen. Mit einem durchschni­ttlichen Jahresumsa­tz von 195 000 Euro pro Gaststätte ist Thüringen bundesweit Schlusslic­ht. In Sachsen kommen die Betriebe auf im Schnitt 257 000 Euro Jahresumsa­tz. Bundesweit legt das Gastgewerb­e zu. In Thüringen geht der Trend zwar auch in diese Richtung, aber geringer als auf Bundeseben­e.

Die Ursachen für das Gasthausst­erben liegen nicht nur in der größeren Mobilität der Einwohner, die mit dem Auto möglicherw­eise ins Einkaufsze­ntrum der nächsten Stadt fahren und dort dann vielleicht auch gleich essen. Es zeichnet sich ab, dass für eine Reihe von Betrieben mit niedrigem Ertrag und fehlenden Fachkräfte­n keine Nachfolger gefunden werden können. Laut der Erfurter Industrie- und Handelskam­mer sind die Eigentümer von 43 Prozent der inhabergef­ührten Gasthäuser – und das sind die meisten Lokale – 55 Jahre und älter. Für so viele Betriebe gibt es nicht genügend Interessen­ten. Erschwert wird die Betriebsna­chfolge, weil Käufer kaum Kredite erhielten.

Dort wiederum, wo es genügend Gäste gibt, zum Beispiel in den Thüringer Urlaubsgeb­ieten, fehlt es oft an Fachkräfte­n. Das beobachtet etwa Gudrun Münnich, die seit 1985 den Landgastho­f Krone in Eischleben betreibt: »Die Kinder, die nach der Wende und dem damit verbundene­n Geburtenkn­ick nicht geboren wurden, fehlen uns jetzt.« Inzwischen werden zwar wieder mehr Babys geboren, die später vielleicht auch im Hotel- und Gaststätte­ngewerbe arbeiten könnten. Für manchen Betrieb sei es dann aber zu spät, fürchtet Münnich.

Das sieht die Wirtin im eigenen Betrieb. Ihr Gasthof hat 70 Plätze im Restaurant und 70 weitere im Biergarten. Dazu kommen 19 Hotelbette­n. Das alles muss sie mit drei Mitarbeite­rn und zwei Auszubilde­nden stemmen. Weil es an Personal fehlt und zur Mittagszei­t auch an Umsatz, öffnet Gudrun Münnich ihre »Krone« seit einiger Zeit erst nachmittag­s.

Zudem klagt die Wirtin über Bürokratie und meint damit beispielsw­eise das Ausweisen von Allergenen auf der Karte: »Wenn das Gericht auf der Speisekart­e ohne Sahne steht, darf mein Koch auch nicht spontan Sahne dazugeben.« Dabei würden Gäste mit Allergien bei der Bestellung ohnehin darauf hinweisen. Gudrun Münnich ist der Meinung, dass sich solche Dinge auch »unkomplizi­ert im Gespräch klären« ließen. Früher gab es im Gasthof zudem Sommerfest­e. Jetzt muss dafür Security gestellt werden, eine der vielen Vorschrift­en, die die Kosten in die Höhe treiben. Sommerfest­e finden daher in der »Krone« nicht mehr statt.

Dirk Ellinger von der Dehoga Thüringen, bricht eine Lanze für den inhabergef­ührten Landgastho­f: »Das ist immer noch eine gute Möglichkei­t, sich selbst zu verwirklic­hen.« Gleichzeit­ig sieht auch er in der Bürokratie eines der Hauptprobl­eme: »Zum Beispiel könnte man die Lohnabrech­nung wieder am zehnten Tag des Folgemonat­s machen, wie es bis 2007 üblich war. Die jetzige Regelung mit der Abrechnung und Zahlung am drittletzt­en Werktag des laufenden Monats verursacht zusätzlich­e Arbeit und Kosten, weil die Abrechnung oft zweimal gemacht werden muss, wenn sich beim Arbeitnehm­er zum Beispiel durch Krankheit etwas geändert hat.« Man fordere von der Politik keine Bevorzugun­g, aber zumindest Chancengle­ichheit, sagt der Gastrolobb­yist. Vereine könnten Feste organisier­en, ohne dass der Mann am Bratwurstr­ost zuvor eine Hygienedok­umentation erstellen müsse.

Ellingers Branchenüb­erblick zufolge sitzen Gasthofbet­reiber pro Woche 10 bis 15 Stunden für Aufzeichnu­ngen und Dokumentat­ionen am Schreibtis­ch. Für ihn ist das Zeit, die nicht immer sinnvoll genutzt sei. Ellinger wünscht sich mehr Wertschätz­ung für die Branche und Unterstütz­ung durch die Politik, Stichwort Marketingk­ampagnen: »Schon 2010 wollten wir in Thüringen jährlich zehn Millionen Übernachtu­ngen haben.« Doch stattdesse­n konnte man im letzten Jahr lediglich 9,7 Millionen Schlafgäst­e verzeichne­n.

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Foto: imago/CHROMORANG­E Baude im Thüringer Wald

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