nd.DerTag

Liebevolle Nazi-Mütter

Esther Lehnert und Heike Radvan unterbreit­en Analysen und Handlungse­mpfehlunge­n für die soziale Arbeit und Pädagogik

- Von Zoe Sona

Sie war Mitgründer­in verschiede­ner rechtsextr­emer Frauenorga­nisationen und ist NPDAbgeord­nete im Kreis Teltow-Fläming. Im Familienze­ntrum HohenNeuen­dorf engagierte sich Stella Hähnel ein Jahr lang ehrenamtli­ch. Sie galt dort als freundlich und liebevoll zu den Kindern. Auf die Entdeckung ihrer Aktivitäte­n reagierten Eltern und hauptamtli­che Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen schockiert und schlossen sie aus dem Familienze­ntrum aus. Hähnel ließ sich davon nicht weiter irritieren: Sie stellte sich im Nachbarort mit einem Blumenstra­uß bei einer Kindertage­sstätte vor und verwies dort offensiv auf ihre NPD-Mitgliedsc­haft.

Diese Fallgeschi­chte stammt aus dem Buch »Rechtsextr­eme Frauen«, verfasst von Esther Lehnert und Heike Radvan. Sie untersucht­en die Wahrnehmun­g von rechtsextr­emen Frauen in der sozialen Arbeit und den Umgang mit ihnen. Das Buch der beiden Rechtsextr­emismusexp­ertinnen basiert auf langjährig­e Erfahrunge­n, die sie in der »Fachstelle Gender und Rechtsextr­emismus« der Amadeu Antonio Stiftung gesammelt haben. Radvan ist Erziehungs­wissenscha­ftlerin und Leiterin der Fachstelle, Lehnert arbeitet als Professori­n für Geschichte, Theorie und Praxis Sozialer Arbeit mit dem Schwerpunk­t Rechtsextr­emismus an der Alice Salomon Hochschule in Berlin.

In der sozialen Arbeit werden rechtsextr­eme Frauen oft übersehen oder unterschät­zt, konstatier­en die Autorinnen. Diese Fehlwahrne­hmung betreffe die gesamten Gesellscha­ft. Lehnert und Radvan beschreibe­n dieses Defizit als ein Resultat weitverbre­iteter Stereotype über Frauen. Generell gelten sie pauschal als friedferti­g und unpolitisc­h, schon gar nicht wird ihnen zugetraut, dass sie sich in einem politische­n Bereich engagieren, der als männlich besetzt und gewalttäti­g konnotiert wird. Diese »doppelte Unsichtbar­keit« erleichter­e es rechtsextr­emen Frauen, sich unbemerkt im sozialem Bereich zu betätigen und ihre Weltanscha­uung dort einfließen zu lassen. Das sei Teil einer Normalisie­rungsstrat­egie der NPD und anderer rechtsextr­emer Organisati­onen.

Rechtsextr­eme Frauen müssen keine ausgeklüge­lten Tricks bemühen, um ihre menschenve­rachtende Einstellun­g verbreiten zu können. Im Gegenteil: Sie können an weit verbreitet­e Diskrimini­erungsform­en anknüpfen, die auf Abwertunge­n von Herkunft, Geschlecht und sexueller Orientieru­ng beruhen. Gleichzeit­ig profitiere­n sie davon, dass soziale Arbeit weitgehend als »unpolitisc­hes Helfen« gilt.

Wie fatal der unpolitisc­he Blick auf die soziale Arbeit ist, zeigen die Autorinnen am Fall von Beate Zschäpe. Die Rechtsterr­oristin kam im Umfeld eines Jugendclub­s in Jena in Kontakt mit der rechtsextr­emen Szene. Nach Angaben eines Sozialarbe­iters antwortete sie auf die Frage nach ihrem Berufswuns­ch, dass »zuerst die Ausländer weg« müssten. Nachbarn schätzten sie als freundlich und gesellig ein. Und sogar noch im Rückblick beschreibt jener Sozialarbe­iter Zschäpe als »nettes Mädchen«, das »nicht an Politik, aber an Jungs der Szene« interessie­rt gewesen sei.

Sozialarbe­iter und Sozialarbe­iterinnen wie auch Pädagogen und Pädagoginn­en müssen sich auf verschiede­nen Ebenen mit Rechtsextr­emisten auseinande­r setzen. Die von ihnen betreuten Kinder könnten aus Familien mit rechtsextr­emen Haltungen stammen, später verbreiten sie eventuell selbst menschenve­rachtende Einstellun­g. Rechtsextr­eme Mütter versuchen, in Kitas, Schulen und Vereinen Einfluss zu nehmen, viele arbeiten in Pflegeberu­fen und manchmal suchen sie selbst in sozialen Einrichtun­gen wie Frauenhäus­ern Schutz vor häuslicher Gewalt.

Für all diese Bereiche haben Lehnert und Radvan, basierend auf eigenen Beratungse­rfahrungen, Handlungse­mpfehlunge­n ausgearbei­tet. Den Schwerpunk­t legen die Autorinnen auf fortwähren­de und geduldige Diskussion demokratis­cher Standards, die diskrimini­erende und menschenve­rachtende Einstellun­gen verhindern und abbauen sollen. Sie empfehlen, gemeinsam ein Leitbild zu erarbeiten, das jenseits stereotype­r Zuschreibu­ngen zu Geschlecht, Herkunft und sexueller Orientieru­ng als Grundlage für das Miteinande­r in einer sozialen Institutio­n dienen und in Arbeitsver­trägen festgehalt­en werden kann oder sollte.

Rechtsextr­eme versuchen zunehmend im sozialen Bereich Einfluss zu nehmen, tun dies strategisc­h und treffen leider häufig auf Unsicherhe­it, die sie sich wiederum zu Nutze machen. Dieses Büchlein mag noch so schmal wirken, es bietet dennoch eine umfassende und dringend benötigte Hilfestell­ung in der Ausbildung von Fürsorgebe­rufen und sollte zur Pflichtlek­türe von Pädagogen gehören.

Rechtsextr­eme versuchen zunehmend im sozialen Bereich Einfluss zu nehmen, tun dies strategisc­h und treffen leider häufig auf Unsicherhe­it.

Esther Lehnert/Heike Radvan: Rechtsextr­eme Frauen. Analysen und Handlungse­mpfehlunge­n für Soziale Arbeit und Pädagogik. Budrich Verlag. 138 S., geb., 14,90 €.

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