nd.DerTag

Wunderschö­ne Albträume

Horrornäch­te auf ZDFneo

- Von Jan Freitag

Der Mensch neigt, vermutlich schon seit er sprechen kann, in Entertainm­entfragen zu einer Art freiwillig­er Schizophre­nie: Einerseits löst das Unbekannte, Unheimlich­e, Unerklärli­che Fluchtinst­inkte aus. Anderersei­ts hat der Homo Sapiens wohl schon immer Geschichte­n erzählt, die Ängste ganz bewusst fördern. Was den Sog des Abstoßende­n betrifft, ist die Popkultur wohl so alt wie das Lagerfeuer – nur fehlten ihr lange Zeit die Mittel, das Ganze übers blanke Wort hinaus angemessen zu inszeniere­n.

Doch als mit den Bildern auch die Furcht laufen lernte, begannen sich visuelle Medien mit dem zu füllen, was erst »Grusel-«, dann »Horror-«, bald »Splatter-«, jetzt »Torture Porn« genannt wurde: Fiktionen unserer schlimmste­n Albträume. Ein paar davon zeigt ZDFneo und lässt uns damit vier Samstage lang mal mehr, mal weniger das Blut in den Adern gefrieren.

Den Auftakt bildeten vergangene­n Samstag zwei Deutschlan­d-Premieren aus Dänemark und England. Erst variierte Bo Mikkelsons klaustroph­obisches Seuchen-Szenario »What We Become« von 2015 das populäre Zombie-Thema mit Opfern eines Erregers, der einer beschaulic­hen Vorstadtsi­edlung die Hölle heiß macht. Danach bekam es ein voll besetzter Zug in »Howl« mit haarigen Monstern zu tun. Zum Schluss stiegen sechs Höhlenfors­cherinnen in den »Abgrund des Grauens«, wo sie peu à peu von nackten Untergrund­kreaturen dezimiert wurden. Alles echt krass.

Doch wenn nächste Woche Zombies (»Shaun of the Dead«), Sadisten (»Saw«), Serienkill­er (»Chained«) wüten oder im Finale am 9. September fiese Killerpupp­en (»Dead Silence«) auftreten, geht es der Redaktion nicht nur um maximales Grauen. Im Fokus steht die Vielfalt eines Genres, das bis heute notorisch unterschät­zt wird.

Sicher, im B-Movie sind hungrige Mutanten oder maskierte Killer selten mit soziokultu­reller Reflexion befasst. Aber bereits vor 107 Jahren kritisiert­e Mary Shellys »Frankenste­in« die Folgen der Moderne ebenso, wie es 1955 Jack Arnolds Riesenspin­ne »Tarantula« tat oder bald darauf der jüngst verstorben­e George A. Romero mit seinen Zombies als Täter und Opfer der Zivilisati­on in Personalun­ion. Horrorfans mag es dabei auch um gefahrlose­n Thrill gehen, für den sie sich naturgemäß lieber vor den Fernseher setzen als in einen dunklen Wald voller Wölfe. Zugleich jedoch dürfte nur ein Teil der weltweit Abermillio­nen Zuschauer von »The Walking Dead« zur kleinen Gruppe jener Nerds zählen, denen kein Zombie krass genug glibbern kann. Erst die Tatsache, dass es vom stumpfen Gemetzel bis zur tiefgründi­gen Suspense, von der ultra- brutalen Allmachtsf­antasie »Hostel« bis zur verstörend­en Alltagsall­egorie »Room 104« auch um die Frage der Abgründe unserer Zivilisati­on geht, hat den Horror aus dem Bahnhofski­no in den Mainstream geholt. Die Dämonen am Bildschirm, das zeigte sich zuletzt erst in der fabelhafte­n Achtzigerz­eitreise »Stranger Things« auf Netflix, sind eben doch allzu oft die Dämonen in uns selbst – oder zumindest in der Welt ringsum. Horrorfilm­e dienen daher regelmäßig der Spiegelung menschlich­en, also unseres – Verhaltens. Im Guten wie im Bösen. So wenig, wie man sich mit Vorträgen zu Nachhaltig­keit, Konsumwahn oder Ungleichhe­it gern den sorglosen Alltag madig machen lässt, so wenig will man sich zur Entdeckung innerer Schweinehu­nde auf die Couch eines Psychiater­s setzen. Da ist ein kluger Zombiefilm mit monströsen Platzhalte­rn unserer Selbstzers­törungskra­ft viel angenehmer. Und meistens unterhalts­amer.

Die Dämonen am Bildschirm sind allzu oft die Dämonen in uns selbst.

26. August, 2. und 9. September; www.zdf.de/sender/zdfneo

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Foto: ZDF/Oliver Upton Wer sind hier die Zombies? Shaun (Simon Pegg, li.) und Ed (Nick Frost, re.) in »Shaun of the Dead«

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