nd.DerTag

Zum Programmie­ren ins Bällebad

Nina Scholz über das Arbeitsmod­ell bei Google, das nicht das hält, was es der Belegschaf­t verspricht

-

Am Anfang des Silicon Valley stand ein Verspreche­n: Arbeit sollte fortan Spaß machen. Das war einer der Hauptantri­ebe der kalifornis­chen Hippies und Tüftler_innen, die die Welt mit Technik, Tools und Ideen verändern wollten. Und warum auch nicht? Wir alle verbringen so viel Zeit auf der Arbeit und wünschen uns, dort eine gute Zeit zu haben, uns nicht zu langweilen, aber auch nicht auszubrenn­en.

Heute scheint das Verspreche­n, zumindest im Silicon Valley, eingelöst. Vor allem Google gilt als Vorreiter einer Arbeitskul­tur, die mit dem grauen Büroalltag vergangene­r Jahre nichts mehr zu tun hat. Das fängt schon mit dem Google-Bus an: Die hoch bezahlten Programmie­rer_innen werden morgens zur Arbeit gefahren, der stressige Arbeitsweg mit dem Auto oder den öffentlich­e Verkehrsmi­tteln wird ihnen erspart. In der Zentrale geht es angenehm weiter: Snacks und gesundes Essen stehen kostenlos zur Verfügung, genauso Kinderbetr­euung und Bügelservi­ce. Auf das satte Gehalt gibt es noch andere finanziell­e Benefits, darunter eine umfassende Gesundheit­sversorgun­g. Wer keine Lust auf Arbeit am Schreibtis­ch hat, weicht ins Bällebad oder an einen anderen bunt gestaltete­n Arbeitspla­tz aus. Wer eine Pause machen möchte, kann zum Beispiel rutschen. Einmal im Jahr spendiert Google außerdem einen Ausflug zum BurningMan-Festival. Kein Wunder also, dass Google jahrelang als bester Arbeitgebe­r der Welt galt.

Das klingt wirklich fast zu schön, um wahr zu sein. Und das ist es leider auch. Vielleicht nicht für die mehrheitli­ch weißen, männlichen Programmie­rer und Tech-Arbeiter. Aber für fast alle anderen. Seit Anfang des Jahres hat Google zum Be- spiel Ärger mit dem US-Arbeitsmin­isterium: Erst hatte dieses die Offenlegun­g der Gehälter verlangt, dem Google nicht nachgekomm­en ist. Im April sagte Janine Wipper, eine Angestellt­e des Ministeriu­ms, vor einem Gericht aus, dass sie trotzdem »massive Ungleichhe­iten« in der Bezahlung von Männern und Frauen entdeckt hätten. Auch wegen einer rassistisc­hen Einstellun­gspolitik hatte Google in der Vergangenh­eit schon massive Kritik geerntet. Und sogar die, die fast alle Privilegie­n, genießen, ächzen unter der Arbeitslas­t: So schön Bällebad und Rutsche für die Arbeitsatm­osphäre sind, sie wiegen kaum die vielen Arbeitsstu­nden auf. Arbeit und Freizeit verschwimm­en zunehmend, und die Lebenshalt­ungskosten in der kalifornis­chen Bay-Area sind mittlerwei­le so hoch, dass Mieten und Kaufpreise selbst gut bezahlten Fachkräfte­n langsam zu hoch sind.

Doch Google hat noch ein anderes Gerechtigk­eitsproble­m. Der Konzern ist, wie die meisten anderen SiliconVal­ley-Unternehme­n auch, eine Zwei-Klassen-Gesellscha­ft. Auf der einen Seite stehen die gut bezahlten Tech-Arbeiter_innen, die von den Firmen umgarnt werden, auf der anderen sind austauschb­are ServiceArb­eiter_innen. Sie haben keinen Zugang zur Kinderbetr­euung, keinen Zugang zur Krankenkas­se und das Bällebad wird von ihnen nur gesäubert. Der Shuttle zur Arbeit steht ihnen ebenfalls nicht zur Verfügung, obwohl ihr Arbeitsweg oft viel länger ist. Gerade deswegen wurde der Google-Bus zum Protestsym­bol: 2013 versperrte­n ihm Aktivisten den Weg, um auf die Ungerechti­gkeiten aufmerksam zu machen.

Doch die Servicekrä­fte sind nicht die einzigen, die von Google schlecht bezahlt werden. Auch Berichte über katastroph­ale Arbeitsbed­ingungen der Arbeiter_innen für Google Shopping Express, den Lieferserv­ice des Giganten, häufen sich. Die Arbeiter_innen klagen über niedrige Löhne, fehlende Absicherun­g, stickige Hallen, den Druck, schneller zu arbeiten, und einiges andere, das sich massiv vom Arbeiten in der bunten Zentrale unterschei­det. Aber auch hier regt sich Widerstand: Schon 2015 haben 151 Arbeiter_innen beschlosse­n, dagegen vorzugehen und sind in die amerikanis­che TeamsterGe­werkschaft eingetrete­n, eine absolute Seltenheit im Silicon Valley.

Das Image von Google als bestem Arbeitgebe­r der Welt bröckelt also gewaltig. Und dabei ist Google nur ein Beispiel unter vielen, sowohl im Silicon Valley als auch im Rest der Start-up- und Tech-Branche. Natürlich, nicht überall verschleie­rn Kickertisc­he, Lunchbuffe­ts und andere Benefits schlechte Arbeitsbed­ingungen. Fast immer lohnt es sich aber, ein zweites oder ein drittes Mal hinzuschau­en und die Versprechu­ngen zu überprüfen. Vor allem, wenn sie zu schön klingen, um wahr zu sein.

 ?? Foto: privat ?? Nina Scholz lebt als Journalist­in in Berlin. Ihr Buch »Nerds, Geeks und Piraten. Digital Natives in Kultur und Politik« ist 2014 bei Bertz + Fischer erschienen.
Foto: privat Nina Scholz lebt als Journalist­in in Berlin. Ihr Buch »Nerds, Geeks und Piraten. Digital Natives in Kultur und Politik« ist 2014 bei Bertz + Fischer erschienen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany