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Kriminalis­iert?

- Von Irmtraud Gutschke

Dem Vorschlag der Staatsanwa­ltschaft, Kirill Serebrenni­kow aus der Untersuchu­ngshaft in Hausarrest zu entlassen, ist laut »Ria Novosti« stattgegeb­en worden. Ein Lichtblick für den prominente­n Theater- und Filmregiss­eur, dass er wieder in seine Moskauer Wohnung kann. Er hat ja viel ausländisc­he Unterstütz­ung bekommen, auch in Russland sorgte der Fall für Aufregung. Journalist­en veröffentl­ichten Interviews mit dem 47Jährigen über seine erste Nacht in Haft (»Wenigstens haben sie mich nicht geschlagen«). Eine Petition zu seinen Gunsten kam auf 12 500 Stimmen. Als das von ihm geleitete Gogol-Theater Ende Mai durchsucht worden war, hatten sich bereits Künstlerko­llegen an Putin gewandt, er möge für eine gerechte Untersuchu­ng sorgen.

Das ist die Kehrseite präsidiale­r Macht: Alles, was schief läuft, wird letztlich dem Präsenten zur Last gelegt. Unisono verkünden deutsche Medien, dass hier ein politisch Missliebig­er kriminalis­iert werden soll. Erfahrung aus Sowjetzeit­en gibt ihnen Recht; unmöglich wäre es wohl auch heute nicht. Im Juli hatte das Bolschoi-Theater drei Tage vor der Uraufführu­ng Serebrenni­kows Ballett »Nurejew« abgesetzt, in dem es auch um das Thema Homosexual­ität ging. Auch hat der mehrfach ausgezeich­nete Moskauer Künstler mit diversen Aktionen zur Kritik russischer Ver- hältnisse von sich reden gemacht. Politisch unklug eigentlich, gerade ihn zu verhaften und internatio­nale Empörung auf sich zu ziehen.

Aber einem Buchhalter würde man die Veruntreuu­ng von 68 Millionen Rubel auch nicht nachsehen. Oder hat der Theaterlei­ter die Fördergeld­er lediglich zur »Querfinanz­ierung« genutzt? Und anderswo finden Veruntreuu­ngen in ganz anderen Größenordn­ungen statt. Serebrenni­kow beteuert seine Unschuld. Demonstrat­ionen vor dem Gericht. Die Verteidigu­ng beantragt Freilassun­g gegen eine Kaution von 68 Millionen Rubel. »Ermittler wollen Kremlkriti­ker die Flucht ins Ausland verwehren«, titelt dpa. Er sagt, dass er das gar nicht beabsichti­gt. Im September will er in Stuttgart »Hänsel und Gretel« inszeniere­n. Auf seine provokante Art? Vielleicht klappt es ja noch.

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Foto: dpa/Bernd Weissbrod Kirill Serebrenni­kow wird Veruntreuu­ng vorgeworfe­n.

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