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Auf Visite in den 80er Jahren

- Martin Kröger über den rasanten Wandel der Stadt Foto: nd/Camay Sungu

Die Stadt wächst. Überall ändert sich alles rasant. Doch in manchen Ecken gibt es immer noch das 80er-Jahre-Gefühl. Man muss suchen und findet es beispielsw­eise ganz in der Nähe des Kottbusser Tores – mitten im gentrifizi­erten Kreuzberg, einem Kiez, der bereits Ende der 80er Jahre durchsanie­rt wurde und seit einigen Jahren erneut von Spekulante­n heimgesuch­t wird.

Allen Verdrängun­gsprozesse­n zum Trotz harren dort aber einige Mieter aus, in deren Haus die Zeit stehengebl­ieben zu sein scheint: Im Flur hängen politische Plakate mit Parolen zu längst ausgetrage­nen Kämpfen. Über 30 Jahre alt ist auch das Interieur der Wohnung: Sessel, Sofas und Parkett sind herunterge­kommen und haben sich im Lauf der Zeit einander farblich angenähert: Alles ist braun und beige. Genau wie die Asche der Kohleöfen, mit denen hier immer noch im Winter Wärme erzeugt wird. Besucher schreien beim Anblick der quasi historisch­en Kulisse erfreut auf: Da ist es, das authentisc­he, das alternativ­e, das originale und wilde, anarchisch­e Kreuzberg, dessen Ruf Berlin in der ganzen Welt berühmt gemacht hat.

Wirklich erstaunlic­h ist: Das Alte, das Muffige, das Kaputte ist nicht abstoßend, sondern erzeugt heimelige Gefühle – so schön war es mal! Und so billig. Vor der Haustür – die wegen der vor Ort grassieren­den Kriminalit­ät seit einiger Zeit aus massivem Stahl ist – löst sich die nostalgisc­he Impression allerdings schnell wieder auf. »Ist das hier das richtige Kreuzberg?«, fragt ein bulliger, aber sehr freundlich­er Tourist aus dem englischen Bristol. Er findet alles interessan­t, bunt und vielfältig. Genauso schön wie München, wo er sonst gerne hinfährt, sagt er. »Und nicht so teuer!« Dass das wahre Kreuzberg nur ein paar Meter entfernt existiert – mag man lieber nicht preisgeben.

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