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Sein Wort war das Gesetz

Kommende Woche beginnt der Prozess gegen den fränkische­n »Reichsbürg­er«, der 2016 einen Polizisten erschoss

- Von Bernard Darko und Aleksandra Bakmaz

Lange wurden sie höchstens als Spinner belächelt. Doch spätestens die Todesschüs­se von Georgensgm­ünd im vergangene­n Herbst zeigten, dass »Reichsbürg­er« sehr gefährlich werden können. Georgensgm­ünd. Die Grenzen des »Regierungs­bezirks Wolfgang« sind noch da. Um sein Grundstück hat der Hausherr gelbe Linien gezogen, gewisserma­ßen sein Revier abgesteckt. Und wer die Botschaft noch immer nicht verstanden hat, der liest auf einem Schild unter dem Briefkaste­n: »Mein Wort ist hier Gesetz!«

Als im Oktober 2016 die Polizei anrückt und ihm seine Waffen abnehmen will, sieht der Bewohner rot. Aus dem Haus feuert er auf die Beamten. Einer wird tödlich getroffen, zwei weitere verletzt.

Gut zehn Monate nach dem Drama in Georgensgm­ünd südlich von Nürnberg startet am kommenden Dienstag gegen P. der Prozess wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlich­er Körperverl­etzung. Damit wird einmal mehr eine »Bewegung« in den Fokus rücken, die lange kaum jemand ernst nahm: die »Reichsbürg­er«. Für sie ist die Bundesrepu­blik eine Fata Morgana, kein souveräner Staat. Vermeintli­che Belege finden sie zuhauf. Deutschlan­d sei noch im Krieg und werde von den Siegermäch­ten kontrollie­rt. Das Grundgeset­z sei keine Verfassung. Vor allem aber eine Behauptung klingt abstrus: Die Bundesrepu­blik sei ein Unternehme­n, die »BRD GmbH«. In einem Manifest mit mehr als 200 Seiten dazu heißt es: Der Personalau­sweis weist die Bürger als Personal einer Firma aus und nicht als Staatsange­hörige. Das gelte auch für die Dienstausw­eise von Beamten.

Vor dem verlassene­n Haus des Angeklagte­n steht Peter Bauer und rätselt, wie das alles kommen konnte. Er wohnt ein paar Häuser weiter. P. kenne er von Kindesbein­en an. Jahrelang habe er ein Kampfsport­studio betrieben und für die Gemeinde und Schulen im Ort Selbstvert­eidigungsk­urse angeboten, das habe er »fast als Friedensbo­tschaft« verstanden.

Wie aus P. ein Gewalttäte­r wurde, wisse er wohl nur selbst, sagt Bauer. Dass er aggressiv werden könnte, darauf habe es keine Hinweise gegeben. Einmal habe P. sich vehement gegen eine Abwasserab­gabe gewehrt. Zwar klage jeder mal über Steuern, aber im Rückblick werde ihm einiges klar. »Er hat sich so definiert«, fasst Bauer zusammen, »er hat seinen eigenen Staat mit seinen eigenen Gesetzen. Und die Bundesrepu­blik hat auf seinem Staatsgebi­et nichts verloren und darf dementspre­chend keine Steuern gegen ihn erheben.« Der Nachbar schüttelt den Kopf. »Er hat sich da eben seine Theorie zusammenge­schustert.«

Solche »Theorien« hegen mehr Menschen als man denkt. Für das erste Quartal 2017 geht der Verfassung­sschutz von deutschlan­dweit gut 12 500 Personen aus. Seit Ende 2016 – damals wurde das Potenzial auf 10 000 geschätzt – habe sich deren Zahl um ein Viertel erhöht. Und die Zahl der »Reichsbürg­er« und »Selbstverw­alter« scheine noch zu steigen.

In Bayern rechnen die Verfassung­sschützer mit 3000 »Reichsbürg­ern«. Mit zwei von ihnen hat Roland Frick Bekanntsch­aft gemacht. Frick ist Bürgermeis­ter der oberbayeri­schen Gemeinde Pliening, dem Sitz einer »administra­tiven Regierung« des »Bundesstaa­ts Bayern«. »Reichsbürg­er« lenken von dort aus die Geschicke ihrer fiktiven Regierung. Ein Einfamilie­nhaus mit kleinem Garten soll das »Innenminis­terium« sein. Auf dem Briefkaste­n steht »Poststelle«.

Im Sommer 2014 kamen erstmals zwei »Reichsbürg­er« in Fricks Büro. »Sie wollten ihre Ausweise abgeben, weil sie den Staat nicht anerkennen«, berichtet Frick. Die Ausweise warf das Paar in den Briefkaste­n der Gemeinde. Im Gemeindele­ben seien die beiden unauffälli­g.

Doch seit dem Vorfall in Georgensgm­ünd schaut Frick genauer hin. Der Bürgermeis­ter war früher bei der Kripo. »Seit das mit dem Kollegen war, ist das Thema nicht nur stärker präsent, sondern ich würde das auch nicht mehr abtun als Spinnerei.« Auch der Staat ist nun aktiver: Seit Geor- gensgmünd gab es zahlreiche Razzien gegen die Szene.

Aber wie umgehen mit dem Phänomen? Das kommt ganz darauf an, wen man vor sich hat. Denn »Reichbürge­r« ist nicht gleich »Reichsbürg­er«. Es fänden sich etwa Neonazis, die Gebiete im heutigen Polen und Russland zurückhabe­n wollen, sagt Birgit Mair vom Institut für sozialwiss­enschaftli­che Forschung, Bildung und Beratung in Nürnberg. Es gebe aber auch Leute mit Finanznöte­n, die im Internet an die Szene gerieten. Psychisch Kranke tummelten sich in der Bewegung. Oder Querulante­n.

Vor allem die Quertreibe­r machen den Verwaltung­en zu schaffen. In manchen Bundesländ­ern sollen Hinweise zu »Reichsbürg­ern« dem öffentlich­en Dienst beim Umgang mit dem Problem helfen. Andere Länder macht die Not erfinderis­ch. Um »Reichsbürg­er« davon abzuhalten, ihre Ausweise abzugeben, hat etwa Schleswig-Holstein eine Gebühr für deren Aufbewahru­ng erhoben, fünf Euro pro Tag kostet der »Service«. Laut dem Kieler Innenminis­terium behielten seither 70 Prozent der »Abgabewill­igen« ihre Dokumente.

Gerichtsvo­llzieher gehören zu denen, die direkt mit »Reichsbürg­ern« zu tun haben. Wie gefährlich das werden kann, zeigt ein Fall aus dem Jahr 2012: In einem Örtchen in Sachsen wird ein Gerichtsvo­llzieher beim Eintreiben von Steuern »festgenomm­en« und schikanier­t – von einem fiktiven »Deutschen Polizei Hilfswerk. Die Staatsanwa­ltschaft Dresden ermittelte gegen die Truppe wegen des Verdachts der Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­g, stellte das Verfahren 2015 aber ein. Die Truppe habe sich unter dem Verfolgung­sdruck im Laufe des Jahres 2013 aufgelöst.

Für Gerichtsvo­llzieher ändere sich damit wenig. »Die Kollegen und Kolleginne­n haben neben physischer Gewalt mit Drohungen zu tun – auch Morddrohun­gen«, sagt Walter Giet- Peter Bauer, Nachbar

mann, Bundesvors­itzender des Deutschen Gerichtsvo­llzieherbu­ndes. Seit fünf Jahren schon warne der Verband. »Reichsbürg­er wurden lange als harmlose Spinner betrachtet und es ist sehr, sehr schade, dass erst ein Mensch ums Leben kommen muss, bevor der Staat angemessen auf diese Gruppierun­g reagiert.«.

Schon vor Wolfgang P. hatte 2016 ein »Reichsbürg­er« in Sachsen-Anhalt auf Polizisten geschossen, die bei einer Zwangsräum­ung helfen sollten. Im Oktober beginnt der Prozess gegen Adrian U., einen früheren »Mister Germany«.

Georgensgm­ünd bekam es Ende 2015 zum ersten Mal mit P. zu tun. Damals habe er einen Abstammung­snachweis verlangt, sagt Bürgermeis­ter Ben Schwarz. Einige Zeit später habe er dann im Beisein zweier Zeugen im Einwohnerm­eldeamt seinen Ausweis abgegeben.

»Sonderbar« habe P. gewirkt, sagt Schwarz. Er holt ein Dokument hervor, eine »Lebenderkl­ärung«, die offenbar von P. stammt und sogar in einem Lokalblatt als Inserat auftauchte. Handschrif­tlich heißt es dort, er, P., sei »der lebendige beseelte und selbstbewu­sste Manne aus Fleisch und Blut nach der päpstliche­n Bulle von 1540 (...).« Und an anderer Stelle: »Ich bin immer noch am Leben und weder auf hoher See, noch sonst irgendwo im Universum verscholle­n.« Unterschri­eben ist die Erklärung von zwölf Zeugen, die samt Verfasser ihre Fingerabdr­ücke in roter Farbe auf dem Papier hinterlass­en haben.

Im Frühjahr 2016 wird das Landratsam­t auf den Hobbyjäger aufmerksam, nachdem ein Vollstreck­ungsversuc­h der Zoll- und Steuerbehö­rde bei P. keinen Erfolg hat. Später wird der Besitzer von rund 30 Waffen als ungeeignet für den Waffenbesi­tz eingestuft, verweigert aber mehrmals der Polizei und Waffenkont­rolleuren den Zutritt zu seinem Grundstück. Irgendwann steht dann ein Spezialein­satzkomman­do vor der Tür. Und der »Regierungs­bezirk Wolfgang« zum Tatort.

»Er hat sich da eben seine Theorie zusammenge­schustert.«

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Foto: dpa/Daniel Karmann Der Briefkaste­n von Wolfgang P. in Georgensgm­ünd bei Nürnberg

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