Wie Lenin malen?
Ausstellung am Design Museum ADAM in Brüssel widmet sich der politischen Plakatkunst in der Sowjetunion
Wie Lenin malen?«, so lautete in den 1920er Jahren eine Frage, die viele progressiv gestimmte Künstlerinnen umtrieb. Die originellste Formulierung der Fallstricke, in die man bei dieser ästhetisch und politisch höchst brisanten Fragestellung geraten kann, stammt sicherlich von Bertolt Brecht. Er schrieb über die Fehler einiger Avantgardisten: »Sie setzten auf einen Riesenkubus eine Riesengurke, strichen das ganze rot an und nannten es: Bildnis Lenins. Was sie wollten, war: Lenin sollte nichts gleichen, was je wo gesehen worden war. Was sie erreichten war: Sein Bild glich keinem Bild, das je gesehen worden war. (…) Leider erinnerte es auch nicht an Lenin.« Die Bilder des sozialistischen Realismus erinnerten hin- gegen zwar an Lenin, ihre Malweise jedoch keineswegs an seine Kampfweise, so Brecht weiter.
Vielleicht hatte Brecht bei der Formulierung seines Textes das Buch »Lenin« des jüdisch-russischen Avantgardisten Nathan Altmann vor Augen. Denn dieser probierte sich in dieser Publikation an beiden Versionen. Auf dem Cover ist der Name »Lenin« geschrieben, wobei die Typographie absichtlich uneinheitlich und in unterschiedlichen Größen gestaltet ist. Die beiden letzten Buchstaben des Wortes »Lenin« liegen über einem Kreis, der größtenteils aus sattem Rot besteht, ganz oben hingegen schraffiert ist. Durch diese aufgebrochene Farbfläche erinnert der Kreis an einen zunehmenden Mond im roten Mor- genlicht oder auch an eine Halbglatze. Unter dem Kreis befindet sich eine gebrochene schwarze Linie. Die antiautoritäre Forderung des Übervaters der russischen Avantgarde, Kasimir Malewitsch, man soll Lenin nur in abstrakten Formen darstellen, um einer Fetischisierung seiner menschlichen Erscheinung zu entgehen, wurde hier von Altmann in dem von Malewitsch bereits in den 1910er Jahren ausgearbeiteten suprematistischen Formenvokabular mustergültig umgesetzt. Ganz anders in dem Buch selbst. Dort finden sich vor allem mit Bleistift erstellte Zeichnungen in einem konventionellen Stil.
Das von Altmann gestaltete Buch ist Teil der etwa 60 Buchcover, Flugblätter und Plakate umfassenden Ausstellung »The paper revolution. Soviet Graphic design & Constructivism«, die derzeit im Brüsseler »ART & Design Atomium Museum« zu sehen ist. Die Ausstellung beruht auf einer Kooperation mit dem Moskauer Design Museum und wurde von Konstantin Akinsha zusammen mit der Moskauer Museumsdirektorin, Alexandra Sankova, kuratiert, auf dessen Beständen sie auch größtenteils basiert.
Hinter der Frage nach der angemessen Form, Lenin darzustellen, der auf mehr als der Hälfte der ausgestellten Objekte zu sehen ist, stand natürlich die Auseinandersetzung darum, welchen Beitrag die Kunst zu der Revolutionsbewegung beisteuern konnte. Denn diese hatte es sich zur Aufgabe gemacht, nicht nur das politische Herrschaftspersonal auszutauschen, sondern auch das soziale und kulturelle Leben dahingehend neu zu entwickeln, dass sich der (neue) Mensch in ihr frei entwickeln und entfalten konnte. Die alte figurative Kunst schien für ein solches Projekt nicht mehr angemessen. Stattdessen wurde mit konstruktiven Abstraktionen experimentiert, für die Linien, Volumen, Licht, Farben und Oberflächenstrukturen zu den grundlegenden Gestaltungselementen wur- den. Die Konstruktivistinnen waren dabei stets daran orientiert, dass ihre Kunst später in Gebrauchsgegenstände umgesetzt werden konnte.
Die Ausstellung dokumentiert aber auch, wie schnell ein neues, revolutionäres Formenvokabular zu einem Klischee erstarren kann. Wo man hinschaut, wimmelt es von schwarzen Quadraten, roten Dreiecken und Kreisen. Bei dem Malewitsch-Schüler Vladislav Strzheminsky nehmen sie schnell einen ornamenthaften Charakter an. Im Mittelpunkt eines von ihm gestalteten Plakats prangt ein revolutionäre Slogan, der in der umfangreichen Aussstellungsbroschüre mit »Organize the week of the red gift here and everywhere« übersetzt wurde. Neben der gewöhnlich gestalteten Schrift befinden sich an beiden Rändern geometrische Elemente in unterschiedlichen Größen in den Farben grün, rot und schwarz. Diese sind allerdings völlig unvermittelt zu dem Slogan und seiner Typographie; sie verbleiben so eine reine Dekoration.
Ganz anders war es in den Anfängen, als die von Künstlern wie Rodtschenko, Kluzis oder El Lissitzky gestalteten Bücher es vermochten, durch das Spiel mit dem Schriftsatz, der Schriftart und grafischen Elementen der Typographie eine semantische Rolle zukommen zu lassen. Meisterhaft in dem ebenfalls ausgestellten Majakovski Gedichtband »Für die Stimme«, der von El Lissitzky gestaltet wurde. In dem Band geht die Typographie eine Symbiose mit den Gedichten ein, es entsteht eine dynamische Komposition, in der die geometrischen Elemente zu Bedeutungsträgern werden.
Spätestens zu Beginn der 30er Jahre war Schluss mit diesen ästhetischen Experimenten. Die stalinistische Konterrevolution beendete auch die künstlerische Freiheit. Die Avantgarde wurde nun mit dem Vorwurf des »Formalismus« belegt. Einige ihrer früheren Protagonisten versuchten diese Wende mitzuvollziehen, besonders Gustav Kluzis, von dem im letz- ten Teil der Ausstellung ein Buch mit Stalinpostern zu sehen ist, dessen Einband aus einer metallischen Oberfläche mitsamt einem Stalinrelief besteht. Es half nichts: Er wurde 1938 von der stalinschen Polizei erschossen. Wie Lenin zu malen sei, war nun eine ausgemachte Sache: klar erkennbar, mit bunten Farben in Öl gegossen, umringt von kinderreichen Familien oder vor Massen agitierend, am besten mit Stalin an seiner Seite. Diese spießbürgerliche Ästhetik hatte zwar nichts mit der Kampfweise Lenins zu tun, mit der stalinschen Politik dahingegen sehr viel.
Bis 1. Oktober, Design Museum ADAM, Brüssel; www.adamuseum.be