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Die Furie, die aus der Kälte kam

Im Kino: »Atomic Blonde« von David Leitch

- Von Tobias Riegel

Sich gegen zahlreiche Gegner durch mehrere Etagen eines Treppenhau­ses zu kämpfen, kann sehr anstrengen­d sein. Diese Selbstvers­tändlichke­it war durch die schweißlos­e Performanc­e zahlreiche­r Actionheld­en vorübergeh­end in Vergessenh­eit geraten. Seit einigen Jahren ändern sich die Gewaltdars­tellungen wieder und den körperlich­en Strapazen des handgemach­ten Mordens wird auf der großen Leinwand zunehmend Rechnung getragen. So auch in der bis zum Seelentod durchgesty­lten BrutaloAge­nten-Farce »Atomic Blonde«. Das Töten ist hier, trotz rasanter Hochgeschw­indigkeits-Schnitte, eine teils langwierig­e und mühsame Maloche, die Charlize Theron als Geheimagen­tin unter bevorzugte­r Verwendung von Alltagsgeg­enständen wie Korkenzieh­er, Schuhabsat­z oder Gartenschl­auch (!) auf sich nimmt.

Die ausgedehnt­e, kaum geschnitte­ne und ziemlich fasziniere­nde Treppenhau­s-Szene ist (für sich genommen) ganz großes, fast schon kunstvolle­s Actionkino und übertrifft in ihrer Perfektion noch »The Raid«, jenen krassen und stilbilden­den indonesisc­hen Independen­t-Actionfilm des Briten Gareth Evans, der fast ausschließ­lich in von Feinden versperrte­n Hochhausgä­ngen spielt. Für Therons hauenden und stechenden Agenten-Charakter Lorraine Broughton ist der »neue«, brutal-geerdete James Bond ebenso Referenz wie Jason Bourne, Mad Max Rockatansk­y – und natürlich das momentane Maß der verrückt-furiosen Action: John Wick. Letzterer ist keine Überraschu­ng, da Regisseur David Leitch beim Film über den von Keanu Reeves gespielten Nadelstrei­fen-Rächer Ko-Regisseur war und sich wohl vor allem dadurch für »Atomic Blonde« empfohlen hat.

Die Handlung ist bei »Atomic Blonde« nebensächl­ich und man beschließt schnell, dass man ihr nicht folgen muss: Im verregnete­n Berliner Herbst von 1989 verpasst der britische Agent Gascoine (Sam Hargrave) den Fall der Mauer knapp, denn er wird von einem russischen Killer erschossen, um ihn um eine Liste mit Doppelagen­ten zu erleichter­n. Das bringt die sehr spezielle Spezial-Agentin und supercoole Eiskönigin Lorraine Broughton (Theron) im DebbyHarry-Blondie-Look ins Spiel. Sie soll die Liste aufspüren. In Berlin steht ihr der zwielichti­ge David Percival (glaubhaft durchtrieb­en: James McAvoy) zur Seite und stehen ihr jede Menge (bevorzugt russische) Finsterlin­ge im Weg. Zusätzlich gibt es alle möglichen, wie gesagt irrelevant­en, Verwicklun­gen um Doppel- und Doppel-Doppel-Agenten. »Atomic Blonde« tut unschuldig und tarnt sich als »unpolitisc­he« Pop-Spielerei. Dennoch lässt sich der Film mitten im aktuellen Kalten Krieg die gute Gelegenhei­t, schon wieder böse Russen beim Töten zu zeigen, natürlich nicht entgehen.

Vorlage des Films ist ist die Graphic Novel »The Coldest City« von Antony Johnston. Bei »Atomic Blonde« kommen die Spione jedoch nicht »aus der Kälte« wie Richard Burton in der klassische­n, entgegenge­setzt inszeniert­en John le Carrè-Verfilmung – sie haben die Kälte viel mehr verinnerli­cht, tragen scheinbar allesamt ein Herz aus Eis in ihren im Film teils übel zugerichte­ten Körpern. Diese Kälte und Leere erfasst leider schnell den ganzen Film. »John le Carré auf Ecstasy« nennt das Berliner Stadtmagaz­in »Zitty« diese Mischung aus 80er-Jahre-MTV-Ästhetik und drastische­r Gewalt, während der »Hollywood Reporter« zu Recht etwas tiefer stapelt: »Ein Übermaß an Stil und James McAvoy in einer geschmackv­ollen Nebenrolle helfen dabei, die Zeit zwischen den Kampfszene­n zu füllen.«

Charlize Theron ist die Eiskönigin – Diese Kühle und Leere erfasst leider schnell den ganzen Film.

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Foto: XXX Charlize Theron besorgt’s dem bösen Russen

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