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30 Jahre Rückenwind

Im Jahr 1987 begann mit dem ersten Windpark die Energiewen­de

- Von Eckart Gienke, Kaiser-Wilhelm-Koog

Menschen mittleren Alters können sich noch daran erinnern, wie die Landschaft­en in Deutschlan­d vor dem Siegeszug der Windenergi­e aussahen. Den hätte vor 30 Jahren, kaum jemand erwartet. Fast 28 000 Windräder drehen sich in Deutschlan­d an Land und erzeugen rund 13 Prozent des Stroms. Ein wichtiger Baustein der Energiewen­de – und eine unerwartet­e Erfolgsges­chichte, die vor 30 Jahren an der schleswig-holsteinis­chen Nordseeküs­te begann. Mit einem Hebelzug setzte der damalige Kieler Ministerpr­äsident Uwe Barschel (CDU) am 24. August 1987 den ersten deutschen Windenergi­epark im KaiserWilh­elm-Koog in Gang und schlug ein neues Kapitel in der deutschen Energiepol­itik auf. »Ständigen Wind von vorn«, wünschte der Ministerpr­äsident, der nur wenig später im Zentrum einer Affäre stand, die ihn das Leben kosten sollte. Doch der Wind wehte nicht an diesem Tag, die Rotoren standen still.

Technisch gesehen war der erste Windpark aus heutiger Perspektiv­e ein Witz. Die Leistung der Windräder wurde damals noch in Kilowatt gemessen und das stärkste Modell im Kaiser-Wilhelm-Koog kam auf 55 Kilowatt. Die Nabenhöhe lag bei 20 Metern, heute sind es 120 bis 140 Meter. Alle 30 Windräder zusammen schafften 1000 Kilowatt, also ein Megawatt. Heute leistet ein einziges Windkraftw­erk an Land locker das Vierfache, auf See auch das Sechs- bis Achtfache. Die Leistung der Landanlage­n hat sich ungefähr um den Faktor 80 erhöht – eine technische Umwälzung, die kaum jemand erwartet hat.

Denn ein Experiment in diese Richtung war zuvor ziemlich in die Hose gegangen. Die Versuchsan­lage »Growian« (Große Windenergi­e-Anlage) am gleichen Standort war ungefähr so groß wie heutige Windkraftw­erke und brachte eine Leistung von drei Megawatt, damals Weltrekord. Doch die Ingenieure bekamen diverse technische Probleme nicht in den Griff. In vier Jahren schaffte »Growian« nur 420 Betriebsst­unden und stand meistens still. Die Windenergi­e schien keine Zukunft zu haben.

Es kam dann ganz anders, und daran hatte der erste deutsche Windpark seinen Anteil. Die Ingenieure sammelten dort Erfahrunge­n, lernten die Probleme zu beherrsche­n und konnten schließlic­h immer größere Anlagen bauen. »Das waren ja nicht nur Idealisten, sondern große Unternehme­n mit Durchhalte­vermögen«, sagt Arne Schierenbe­ck, Ge- schäftsfüh­rer des Windenergi­eparks Westküste.

Heute stehen vier moderne Windkrafta­nlagen im Kaiser-WilhelmKoo­g und erzeugen Strom. Windenergi­e leistet nicht nur ihren Beitrag zur Energiever­sorgung. Vielmehr sind deutsche Hersteller auch auf den Weltmärkte­n präsent und die Branche steht für rund 143 000 Arbeitsplä­tze. »Deutschlan­d ist Weltmarktf­ührer in dieser so wichtigen Zukunftste­chnologie«, sagt Hermann Albers, Präsident des Bundesverb­andes Windenergi­e.

Doch ob es in dem gleichen Tempo weitergeht, scheint fraglich. Schon lange werden Windkrafta­nlagen in der Bevölkerun­g nicht mehr nur als umweltfreu­ndliche Energieque­lle wahrgenomm­en, sondern auch als Belastung. Sie seien eine Verschande­lung des Landschaft­sbildes, eine Todesfalle für Vögel und die Betriebsge­räusche und der Schattenwu­rf der drehenden Rotoren eine andauernde Belästigun­g – so lauten die häufigsten Vorwürfe. »Die Menschen lassen sich am besten dann überzeugen, wenn sie aktiv in die Projekte einbezogen werden«, meint Albers. Bürgerwind­parks, Energiegen­ossenschaf­ten und kommunale Beteiligun­gsmodelle seien dafür der richtige Weg.

Zudem sind die Probleme der Stromspeic­herung immer noch nicht gelöst, so dass bei Flaute konvention­elle Kraftwerke oder Importstro­m die Versorgung sicherstel­len. Nachdem Jahr für Jahr immer mehr neue Anlagen gebaut wurden, war die Tendenz im vergangene­n Jahr erstmals rückläufig. Wegen der geänderten Regeln zu erneuerbar­en Energien rechnet der Bundesverb­and Windenergi­e mit geringeren Ausbauzahl­en in den kommenden Jahren.

Ermöglicht wurde der Siegeszug der Windenergi­e durch die Förderung der Politik und damit die Subvention­ierung durch den Stromzahle­r. Die erhöhte Einspeisev­ergütung nach dem Erneuerbar­e-Energien-Gesetz hat manchen Windmüller wohlhabend gemacht. Inzwischen werden die Anlagen von der Bundesnetz­agentur öffentlich ausgeschri­eben. Gerade ergab die zweite Ausschreib­ung eine gewichtete durchschni­ttliche Förderung von 4,28 Cent je Kilowattst­unde – gut einen Cent weniger als noch im Mai.

Technisch gesehen war der erste Windpark aus heutiger Perspektiv­e ein Witz. Die Leistung der Windräder wurde damals noch in Kilowatt gemessen und das stärkste Modell im Kaiser-Wilhelm-Koog kam auf 55 Kilowatt.

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Foto: dpa/Wulf Pfeiffer Blick auf Windenergi­epark im Kaiser-Wilhelm-Koog wenige Tage vor der Einweihung im Jahr 1987

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