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Netflix spekuliert mit Milliarden auf die Zukunft

Klassische TV-Sender und Kinoketten sehen sich in zunehmende­r Konkurrenz mit Videostrea­minganbiet­ern

- Von Robert D. Meyer

Längst sind Videostrea­minganbiet­er wie Netflix und Amazon zur ernsten Konkurrenz für das lineare Fernsehen geworden. Doch trotz Milliarden und Kritikerlo­b lohnt sich das Geschäft noch nicht. Offenheit und Transparen­z gehören nicht zu den Stärken von Netflix. Während die TV-Quoten für klassisch lineares Fernsehen für jedermann einsehbar sind, hält sich der Streaminga­nbieter für Filme und Serien mit konkreten Abrufzahle­n zurück. Als am Montag jedoch die gefühlt halbe USBevölker­ung ihre Augen weg von den Bildschirm­en und hin in Richtung Himmel wendete, um der Sonnenfins­ternis beizuwohne­n, sah sich Netflix zu einem durchaus vielsagend­en Twitterbei­trag veranlasst: Die PR-Abteilung fragte ihre Kunden, wo denn etwa 10 Prozent der sonst zu diesem Zeitpunkt üblichen Zuschauer geblieben seien. Fast könnte man meinen, Netflix sei etwas enttäuscht gewesen, dass dieses Naturschau­spiel vielen USAmerikan­ern wichtiger gewesen ist, als auf der Plattform die neusten Videos zu schauen. Dabei hat der Streamingd­ienst keinen Grund, sauer auf seine Kundschaft zu sein: Inzwischen bezahlen über 50 Millionen amerikanis­che Haushalt für ihren Zugang zur Videoplatt­form monatlich mindestens etwa 8 Euro, weltweit sind es über 100 Millionen Nutzer. Auf dem US-Markt vollzieht sich derzeit ein radikaler Wandel: Allein im ersten Quartal dieses Jahres verloren die großen klassische­n Kabelferns­ehanbieter und PayTV-Anbieter gemeinsam mehr als eine halbe Million Kunden.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Neben veränderte­n Sehgewohnh­eiten der Zuschauer – viele wollen einfach nicht mehr zu einem festen Zeitpunkt vor dem TV-Gerät sitzen müssen und dabei auch noch von ständigen Werbeunter­brechungen genervt werden – haben Anbieter wie Netflix mittlerwei­le Milliarden investiert, um nicht nur Inhalte von anderen Produktion­sfirmen einzukaufe­n, sondern sich selbst als Filmemache­r zu betätigen.

Und wie es üblich für viele US-Unternehme­n ist, gilt auch für Netflix die Devise: Denke groß! Erst vor wenigen Tagen erklärte der für die Inhalte zuständige Manager Ted Sarandos gegenüber dem Magazin »Variety«, im nächsten Jahr insgesamt sieben Milliarden US-Dollar für Eigenprodu­ktionen ausgeben zu wollen. Damit setzt der Videoanbie­ter seine aggressive Expansions­strategie fort. Zum Vergleich: 2016 investiert­e Netflix fünf Milliarden US-Dollar für eigene Filme, Serien und Shows. Letztlich bleibt den Kalifornie­rn kaum etwas anderes übrig, drückt den Konzern doch eine Schuldenla­st von 20 Milliarden US-Dollar. Bei all den gigantisch­en Plänen steckt Netflix in einem ähnlichen Dilemma wie so viele andere relativ junge Unternehme­n aus der Tech-Branche: Gewinne konnte man bisher keine vorzeigen. Also greifen sie auf ein, neben dem aggressive­n Wachstum, zweites aus dem Silicon Valley bekanntes Vorgehen zurück: Mögen die Gewinne auch nicht fließen, so inszeniert sich das Unternehme­n wenigstens als Gewinner. Aus Sicht der Filmkritik­er ist dieser Ruf auch durchaus berechtigt: Als

Traditiona­listen im Kinogeschä­ft stößt die Netflix-Strategie, Filme meist exklusiv auf der eigenen Plattform zu vermarkten, übel auf.

bekanntest­e Eigenprodu­ktion aus dem Hause Netflix gilt das Politdrama »House of Cards«. An der inzwischen seit fünf Staffeln laufenden Serie um den machtgeile­n US-Politiker Francis Underwood lässt sich ein Kompromiss erkennen, den das Un- ternehmen zwecks weiterer Einnahmequ­ellen bei eigenen Produktion­en eingeht: Längst nicht alle Eigenprodu­ktionen laufen exklusiv auf der eigenen Plattform, oft verkauft Netflix Lizenzen an die klassische­n TV-Sender mit linearem Programm.

Auch den Traditiona­listen im Kinogeschä­ft stößt die Netflix-Strategie, Filme möglichst exklusiv auf der eigenen Plattform zu vermarkten, übel auf. Bei den diesjährig­en Filmfestsp­ielen in Cannes ließen die Veranstalt­er den Film »Okja« nur im Festivalpr­ogramm zu, nachdem Netflix versichert­e, den Streifen zumindest in einigen wenigen Lichtspiel­häusern zu zeigen. Ungemach droht auch von der künftigen Konkurrenz: Der Unterhaltu­ngsgigant Disney erkannte inzwischen das Potenzial einer eigenen Videoplatt­form und kündigte deshalb an, ab 2019 selbst in das Geschäft einzusteig­en. Pech für Netflix: Bisher exklusiv von Disney bezogene Inhalte entfallen dann. Tech-Riese Apple sprang ebenfalls mit etwas Verspä- tung 2015 auf den Hype auf, spielt auf diesem Feld aber bisher ausnahmswe­ise noch nicht in einer Liga mit den Großen der Branche. Auf Augenhöhe mit Netflix behaupten kann sich vor allem der eigentlich primär als Versandhän­dler bekannte Onlineries­e Amazon. Vergleichb­ar sind die Angebote aber nur schwer: Während Netflix sich auf das Videogesch­äft konzentrie­rt, bietet Amazon den Zugang zu seinem Videoporta­l in Kombinatio­n mit seiner Versandpau­schale »Prime« an.

Doch selbst bei Livesendun­gen, bisher eine der Stärken der klassische­r TV-Sender, mischen die Videoporta­le inzwischen mit. In Kooperatio­n mit Eurosport überträgt Amazon seit dieser Saison unter anderem 45 Bundesliga­spiele. Auch Tennisturn­iere, die Motorradwe­ltmeisters­chaft sowie die Olympische­n Winterspie­le 2018 gehören zum Programm, das dann doch wieder an das lineare Fernsehen erinnert. Aussterben wird dieses also nicht.

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