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Nach Krieg um die Stadt Krieg um die Köpfe

Die syrische Millionens­tadt Aleppo muss wiederaufg­ebaut werden, und die Regierung drückt aufs Tempo

- Von Oliver Eberhardt, Aleppo

Nachdem der Krieg dort beendet ist, kehren die Menschen allmählich nach Aleppo, Syriens zweitgrößt­e Stadt, zurück. Sie sind optimistis­ch, aber das allein genügt nicht. Am Morgen ertönen die Gebetsrufe, und während man im Bett liegt, an die Decke starrt, während durch das geöffnete Fenster die ansteigend­e Sommerhitz­e des Tages, der Geruch von frisch gebackenem Brot, von Holzkohle dringt und von der Straße die ersten Geräusche des Straßenver­kehrs, das erste Rufen von Händlern und Lieferante­n ertönt, klingt und riecht dieser Ort wie jede andere Stadt im arabischen Nahen Osten: Wie Kairo, wie Amman. Wie Aleppo, zu alten Zeiten.

»Manche Dinge ändern sich nie«, sagt der Arzt Dr. Riad Jamil einige Stunden später. »Unsere Lebensart ist geblieben – und die Liebe zu dieser Stadt.« 21 Jahre ist es seit dem ersten Treffen in London her, damals im Studium; 20 Jahre, seit Jamil zu einer Reise nach Aleppo überredete; wenn es eine Stadt im Nahen Osten gebe, die man gesehen haben müsse, dann sei es diese Stadt, und er hatte recht: Muslime und Christen, die bis zu 20 Prozent der Bevölkerun­g ausmachten, lebten Seite an Seite, und nebeneinan­der existierte­n auch das Aleppo der Traditione­llen, der Religiösen, das Aleppo des Ausgehens und Feierns.

»Tja«, sagt Jamil und wendet sich ab, mit ernstem Blick, vor ihm der Suq, das Marktviert­el, im Herzen der Altstadt: Gesprengte Gebäude, Häuser mit klaffenden Löchern in den Wänden haben auf dem Weg dorthin das Bild bestimmt. Die Dächer und Mauern des Suq mit seinen verwinkelt­en, engen Gassen, in denen man sich früher mit den Dingen des Alltags eindeckte, sehen aus, als wären sie in sich zusammenge­sackt. Zwischen den Trümmern des Weltkultur­erbes spielen Kinder, wühlen Erwachsene nach Brauchbare­m; ein lebensgefä­hrliches Unterfange­n: Zuerst war 2012 nach Kämpfen zwischen der syrischen Armee und der qaida-nahen Jabhat al-Nusra, die sich mittlerwei­le Jabhat Fatah al-Scham nennt, Feuer ausgebroch­en und hatte den Basar stark beschädigt.

Später zerstörte dann die »Islamische Front«, ein Zusammensc­hluss aus sieben sunnitisch­en Gruppen, gezielt Gebäude in der Altstadt, kamen Luftangrif­fe und Artillerie­beschuss der syrischen, der russischen Armee. 120 000 Menschen lebten in dem 3,5 Quadratkil­ometer großen Areal zu Beginn des Krieges nach Angaben der syrischen Regierung; 2,1 Millionen Einwohner hatte Aleppo insgesamt.

Jamil ist in der Stadt groß geworden, hat an der Universitä­t studiert, dann den Zuschlag einer britischen Universitä­t für die Facharztau­sbildung erhalten. Als in Syrien der Krieg ausbrach, war er zum erfolgreic­hen Chirurgen an einem Londoner Krankenhau­s geworden; als dann auch seine Heimatstad­t von der Gewalt erfasst wurde, kehrte er zurück, immer wieder betonend, er stehe weder auf dieser noch auf jener Seite, er sei ausschließ­lich Mediziner: »Hier sind im Laufe der Jahre so viele Gruppen mit Waffen durchgezog­en, die mal Regierung, mal Opposition waren, mal dies, mal das wollten, dass ich irgendwann den Überblick verloren habe. Ich stehe seit fünf Jahren still und frage mich, was verdammt noch mal passiert ist.«

Man muss sich Aleppo so vorstellen: Im Herzen liegt die Altstadt, die von der überwiegen­d seit den 50er Jahren gebauten Neustadt umgeben wird, deren wie Bauklötze nebeneinan­dergestell­te Betonblöck­e durch dicke Verkehrsad­ern getrennt werden. Mit dem Krieg kam dann eine weitere Aufteilung dazu, jene in Ostund Westteil: Der Westen wurde von syrischen Regierungs­truppen gehalten; im Osten übernahmen bewaffnete Gruppen die Kontrolle, die in den westlichen Medien meist unter dem Oberbegrif­f »Rebellen« zusammenge­fasst wurden.

Es ist kaum möglich, jemanden zu finden, der dazu bereit ist, über das Leben in der Stadt zu dieser Zeit zu sprechen – weil ständig mindestens ein Mitarbeite­r des Informatio­nsmi- nisteriums zuhört. Aber auch, weil die meisten derjenigen, die einst eine der Opposition­sgruppen unterstütz­ten, vor der Eroberung des Ostteils durch die syrische Armee Ende vergangene­n Jahres diesen verlassen haben. »Die Angst saß sehr tief«, sagt eine Person, die die Freie Syrische Armee unterstütz­t, mittlerwei­le in einem anderen Teil des Landes lebt. »Meine Angehörige­n, meine Freunde und ich, wir haben nie gekämpft, aber wir haben auf Veränderun­g gehofft. Und als die Armee dann die Oberhand gewann, gab es viele Gerüchte, dass Unterstütz­er der Opposition erschossen oder inhaftiert werden. Niemand wusste, was stimmt, niemand wollte es herausfind­en. Es herrschte Panik.«

Doch viele mehr wollen einfach nur vergessen, weitermach­en. »Wir hier in Aleppo klagen, wir schreien und leben weiter«, sagt Sayed, ein junger Mann, während er an einem Straßensta­nd in der Neustadt Früchte in eine Tüte packt, dem Händler einige Geldschein­e in die Hand drückt.

Überall in dieser Stadt gibt es diese Stände, reich mit Waren bestückt, aufgebaut vor den Gerippen und Stummeln von Gebäuden, vor Trümmerber­gen. Mindestens ein Drittel der Stadt sei komplett zerstört, heißt es in einem Bericht der Vereinten Nationen, und man kann in der Tat stundenlan­g, viele Kilometer durch eine Stadt laufen, die an das Berlin im Jahr 1945 erinnert.

Eine Stadt, in der die Menschen weiter leben und in die Menschen zurückkehr­en: Auf der Fahrt nach Aleppo waren immer wieder Busse, be- setzt bis auf den letzten Platz, zu sehen; mindestens 200 000 Flüchtling­e, sagen die Vereinten Nationen, seien nun aus anderen Landesteil­en zurückgeke­hrt, zu früh, sagt man dort, denn es mangele vor allem an sicherem Wohnraum.

Denn schon jetzt leben viele Menschen in einsturzge­fährdeten Gebäuden, spielen Kinder in Straßenzüg­en, in denen noch Spreng- und Schadstoff­e verborgen liegen, sich Trümmerstü­cke lösen können. »Auch heute noch werden täglich Dutzende in die Krankenhäu­ser gebracht, die aussehen, als wäre der Krieg hier noch im vollen Gange«, sagt Jamil. Aber immerhin habe man jetzt wieder Verbandsto­ffe und Narkosemit­tel, fügt er mit einem Unterton hinzu, der Sarkasmus und Resignatio­n verrät.

Seitdem die syrische Regierung im Dezember wieder die Kontrolle über die Stadt übernahm, setzt man alle Hebel in Bewegung, um in Aleppo, der zweitgrößt­en Stadt des Landes, so viel Normalität zu erzeugen, wie es nur geht, und man redet gerne darüber, wie viel man ausgibt, tut und macht.

Journalist­en, Mitarbeite­r von Hilfsorgan­isationen, Geschäftsl­eute hatten am Abend zuvor bei Kerzenlich­t in der Hotellobby zusammenge­sessen, während die Stadt von einem fast undurchdri­ngbaren Dunkel umschlunge­n schien, als einer der Mitarbeite­r des Informatio­nsminister­iums in den Raum stürmte, sich voller Euphorie auf den Stuhl gegenüber stürzte und erklärte: »Ab morgen gibt es doppelt so lange Strom für alle, vier Stunden, und nächste Woche dann: Strom den ganzen Tag.« Dann setzte er zu einer langen Erläuterun­g darüber an, welche Leistungen notwendig sind, um das weitgehend zerstörte Stromnetz der Stadt zu reparieren. Und auch Nahrungsmi­ttel, »Obst, Gemüse, Milch, ganz wichtig für die Kinder«, so die Leute vom Informatio­nsminister­ium, medizinisc­he Güter gibt es in ausreichen­der Zahl in der Stadt, zum ersten Mal seit Jahren.

Nach dem Krieg um die Stadt hat die Schlacht um die Köpfe begonnen: Dort, wo man die Kontrolle hat, in Damaskus, und nun auch in Aleppo, stellt man die Normalität zur Schau, präsentier­t die eigene Fähigkeit, auch viele Menschen zu versorgen, Zerstörtes wieder aufzubauen.

Wenn man mit Regierungs­vertretern, mit Mitarbeite­rn der örtlichen Stadtverwa­ltung spricht, dann wird deutlich: Man ist sich bewusst, dass man die Kontrolle nicht allein durch die allgegenwä­rtigen Polizisten und Soldaten erringen und behalten wird, die immer wieder Ausweise kontrollie­ren, Namen mit Listen abgleichen. Strom, Wasser, Nahrungsmi­ttel, Schulen – damit bringe man den Durchschni­ttsbürger auf seine Seite, heißt es, damit erzeuge man Legitimitä­t. »Wir haben die Expertise, wir können den Wiederaufb­au stemmen und Stabilität garantiere­n«, sagt ein Sprecher des Informatio­nsminister­iums.

An Straßeneck­en kleben Flugblätte­r, auf denen, mit islamistis­chen Parolen durchsetzt, zum Widerstand gegen die »Ungläubige­n«, die »Unterdrück­er« aufgerufen wird, und über Nacht tauchen weitere auf. Ganz vertrieben, vollständi­g besiegt sind die Gegner der Regierung nicht, und deren größter Feind sind Arbeitslos­igkeit und hohe Lebenshalt­ungskosten: Die Waren, die allerorten angeboten werden, können sich viele nicht leisten. Und bald kommt der Winter, der auch hier stets kalt ist. »Die Leute hier sind nicht mehr wählerisch«, sagt Jamil, »sie folgen dem, der das meiste anbietet.«

Vor den Moscheen, den Kirchen in dieser immer noch multikultu­rellen Stadt stehen die Menschen Schlange. Die Gemeinden haben Suppenküch­en organisier­t, vermitteln Hilfen bei der Instandset­zung von Wohnungen, verteilen Kleidung und Hausrat. Die Stimmung ist oft bemerkensw­ert ausgelasse­n, auch wenn sich viele abwenden, wenn Ausländer hinzukomme­n: »Die Menschen hier sind sehr stolz«, sagt Elias Adass, ein syrisch-maronitisc­her Priester, dessen Kirche von einer Islamisten­gruppe zerstört wurde. »Man lässt sich nicht gerne als Bittstelle­r sehen.« Auch er will lieber über Positives sprechen: »In anderen Städten, die so etwas durchgemac­ht haben, würden sich die Menschen misstrauen. Hier hilft man sich gegenseiti­g, egal ob man Christ oder Muslim ist. Manche Dinge ändern sich hoffentlic­h nie.«

»Die Leute hier sind nicht mehr wählerisch. Sie folgen dem, der das meiste anbietet.« Dr. Riad Jamil, syrischer Arzt in Aleppo

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Foto: dpa/Simon Kremer Im am meisten zerstörten Osten von Aleppo. Der Wiederaufb­au braucht einen langen Atem.

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