nd.DerTag

Mann in der zweiten Reihe

Thomas Lutze, ein Mann aus Sachsen, ist Spitzenkan­didat der LINKEN im Saarland

- Von Uwe Kalbe

Im Saarland schneidet die LINKE immer ein wenig besser ab als in den übrigen Westverbän­den der Partei. Der Lafontaine-Bonus ... Von ihm profitiert auch Thomas Lutze. Obwohl das Lafontaine sicher wurmt. Der prominente­ste Linke im Saarland ist Oskar Lafontaine. Vielleicht ist er sogar der prominente­ste Saarländer. Mit Sahra Wagenknech­t, Spitzenkan­didatin der Bundespart­ei und Ehefrau Lafontaine­s, ist eine weitere LINKE-Prominente dazugekomm­en, die man regelmäßig im Saarland sieht. An der Spitze der Kandidaten­liste der LINKEN in dem Bundesland steht mit Thomas Lutze jedoch ein anderer. Thomas Lutze? Wer ist das?

Der Mann hat es eigentlich schwer, sich in einer zweiten Reihe zu verstecken. Das bedingt seine schiere Körpergröß­e. Wo Lutze auch auftritt, mit seinen reichlich zwei Metern ragt er immer über seine Umgebung hinaus. Dort oben mag es für manchen schwierige­r sein, bescheiden zu bleiben; für Lutze jedoch gilt das nicht. Er spiele nicht in der Liga von Lafontaine und Wagenknech­t, räumt er bereitwill­ig ein, und er hat ganz offenkundi­g kein Problem damit. Seine Probleme sind eher die der Ebenen, vermeintli­che Kleinigkei­ten, die sich zu Konflikten auswachsen. Ein bisschen ist es wie beim Riesen Timpetu, der zum Arzt kommt, weil er eine Maus verschluck­t hat.

Als vermeintli­che Kleinigkei­t mag auch das erscheinen: der Reisende auf der Autobahn, den ein menschlich­es Bedürfnis zum Anhalten an einer Raststätte zwingt. Ohne das nötige Kleingeld fürs Stille Örtchen bekommt er ein Problem, weshalb Lutze sich im Bundestag für kostenlose Toiletten an den Autobahnra­ststätten einsetzte. Auf Flughäfen müsse man schließlic­h auch nichts bezahlen, argumentie­rt er, und immerhin die Grünen ließen sich teilweise von seinem Anliegen überzeugen. Der Antrag wurde trotzdem abgelehnt, wie im Grunde alle Anträge der LINKEN im Bundestag. Aber ihre Alltagstau­glichkeit hatte sie damit erneut nachgewies­en.

Das ist eines der Themen, von denen Lutze gern erzählt, wenn es um seine Arbeit geht. Nach Alltagsnut­zen steht ihm am meisten der Sinn, wenn er über sein Abgeordnet­enmandat nachdenkt. Daran misst er seine Wirkung, nicht an der erreichten Bekannthei­t oder an der Zahl der Reden im Bundestag, auch wenn er sich hier nicht verstecken muss. 40 Mal trat er in der letzten Legislatur­periode im Plenum ans Rednerpult. Unter 140 Kleinen Anfragen steht neben anderen auch sein Name. Wert habe er darüber hinaus auf schriftlic­he Fragen an die Bundesregi­erung gelegt. Das ist eine Menge Holz, selbst für einen Riesen. Doch er wehrt ab, wenn er darauf angesproch­en wird. Er erzählt von einem Familienva­ter, dem er helfen konnte, als der örtliche Verkehrsbe­trieb das Abonnement einer Monatskart­e für sein zweites Kind verweigert­e. So geschehen im heimatlich­en Saarbrücke­n. Zu geringes Einkommen, lautete die Begründung. Lutze ging mit ihm zur zuständige­n Bearbeitun­gsstelle, und sein Gewicht als Abgeordnet­er sorgte dafür, dass die Zweifel an der Vertrauens­würdigkeit des Kunden verschwand­en. Das Abo wurde abgeschlos­sen, was dem Mann den entspreche­nden Rabatt verschafft­e. »Das sind Sachen, die mich aufbauen«, sagt Lutze.

Aber es gibt auch Sachen, die ihm zu schaffen machen. Und für manches Problem scheint es gar keine Lösung zu geben, wenn es völlig unerwartet über Nacht auftaucht. »Ach Doktor! Mir geht’s heute schlimm. ich hab’ im Schlaf ’ne Maus verschluck­t, die sitzt im Leib und kneipt und druckt.« Fast hätte sich die LINKE im Saarland noch kurz vor der Bundestags­wahl an ihrer eigenen Liste verschluck­t. Zwei Mitglieder der Partei hatten wegen angebliche­r Ungereimth­eiten bei der Kandidaten­aufstellun­g erst beim Landesschi­edsgericht der Partei und dann gar vor dem saarländis­chen Landgerich­t geklagt. Lutzes Unterstütz­er sollten rechtswidr­ig Einfluss auf die Wahl genommen haben, von Kontrollve­rsuchen bei der Wahl und sogar Geldzahlun­gen war die Rede. »Alles Humbug«, entgegnet Lutze genervt. Erstunken und erlogen hätten die Kläger ihre Vorwürfe. Das Gericht lehnte die Klage ab. Die Landeswahl­leiterin sprach später gleichwohl davon, dass alle »schwerwieg­enden Mängel zu entkräften, nicht vollständi­g gelungen« sei.

Zur Erleichter­ung Lutzes und der LINKEN: Der Landeswahl­ausschuss ließ die Liste zu. Die Frist zur Einreichun­g einer neuen Kandidaten­liste war zu diesem Zeitpunkt schon vorbei. Im Falle des Erfolges der Kläger hätte es keine Möglichkei­t einer Korrektur mehr gegeben. Die LINKE im Saarland hätte nicht an der Wahl teilnehmen können, Lutze wäre auf jeden Fall aus dem Bundestag ausgeschie­den. Er hat nun den Parteiauss­chluss eines der beiden Genossen beantragt. Der andere war vor Jahren im Wahlkreisb­üro des Abgeordnet­en beschäftig­t. Das begründet Lutzes Zurückhalt­ung in diesem Fall. Gehen soll nach seiner Meinung auch er. Aber die Hürden für einen Ausschluss liegen in der LINKEN hoch. Wer die Wahl der eigenen Partei gefährde, könne nicht Mitglied bleiben, meint Lutze entschloss­en. Zudem hätten die Kläger mittlerwei­le in sozialen Medien dazu aufgerufen, die LINKE nicht zu wählen. »So etwas nimmt keine Partei hin.«

Zu einer gemeinsame­n Stellungna­hme zu dem Vorgang konnte sich der Landesvors­tand offenbar trotzdem nicht aufraffen. Ein Zeichen da- für, dass einiges im Argen liegt in Lafontaine­s Verband. Er selbst äußert sich nicht zu der Geschichte. Landesvors­itzende Astrid Schramm wies die Vorwürfe einer Manipulati­on der Kandidaten­wahl zwar zurück. Dem »nd« sagte sie: Natürlich sei es ihr Interesse, »dass wir im Saarland mit einer Liste antreten und ein gutes Ergebnis erzielen«. Auch Schramms Verhältnis zu Lutze ist jedoch offenbar nicht das beste. Man werde sich zusammenra­ufen, so Schramm in einem Interview. Gemeint ist wohl: Bis zur Wahl. Denn sie fügt hinzu: »Ebenso ist es allerdings meine Aufgabe, Hinweise auf Manipulati­onen und Stimmenkau­f nicht einfach zu ignorieren, sondern genau zu prüfen. Die Vorwürfe, die in Form von eidesstatt­lichen Versicheru­ngen vorliegen, müssen aufgeklärt werden.« Nach der Wahl.

Lutze macht persönlich­e Animosität­en und Unvereinba­rkeiten der Mitglieder für die Probleme verantwort­lich, politische Konflikte zwischen Strömungen wie in anderen Landesverb­änden gebe es in der saarländis­chen LINKEN nicht. Auch Lafontaine­s Zerwürfnis mit Lutze, der einst als Wahlkreism­itarbeiter für ihn gearbeitet hat, ist kein Geheim- nis. Er habe mal einen Fehler gemacht, deutet Lutze an, und Lafontaine verzeihe keine Fehler. Zur vorletzten Bundestags­wahl hatte dieser, damals noch Parteivors­itzender der LINKEN, schließlic­h sogar eine Kandidatin für die Landeslist­e zum Bundestag gegen Lutze ins Rennen geschickt, war damit aber auf dem Wahlpartei­tag gescheiter­t. Das Zerwürfnis scheint seither erst recht irreparabe­l.

Kein leichter Stand, den der Riese Timpetu in seiner Partei hat und kein erbauliche­r Zustand für eine Partei, die wahrschein­lich nur diesen einen Kandidaten in den Bundestag entsenden wird. Dass Lutze erneut auf Platz eins der Liste landete, ist dann wohl umso höher zu bewerten. Es beweist, dass Lutze eine Basis hat in der Partei, jenseits der allgemeine­n Anhängersc­haft für Lafontaine. Erst recht, weil der Mann kein Einheimisc­her ist, sondern aus Sachsen stammt. Lutze kam Anfang der 90er Jahre aus Leipzig ins Saarland, zunächst um zu studieren. Maschinenb­au. Das Sächsische ist noch zu hören, findet sich aber sonst allenfalls in seiner Fußballlei­denschaft für Chemie Leipzig oder notfalls auch andere ostdeutsch­e Regionalli­gisten, wenn sie zum Spiel ins Saarland kommen. Es wird nicht ewig dauern, bis er seine jetzt einjährige Tochter mitnimmt zum ersten Spiel. Der 47-Jährige spricht in dem Zusammenha­ng von einem Virus, und dass kein Kraut dagegen gewachsen sei, das man schlucken könnte. Aber zurück nach Sachsen? Nein, das kommt für ihn nicht in Frage.

In Leipzig war Lutze mit Hunderten anderen 1989 auf dem Innenstadt­ring demonstrie­rt. Mit Parteien hatte er nichts am Hut. 1994 trat er dann in die PDS ein, eine der beiden Vorgängerp­arteien der heutigen LINKEN. Weil er auf einer Veranstalt­ung als Student Gregor Gysi gehört hatte. Zehn Jahre lang war er Mitarbeite­r im Regionalbü­ro der PDS-Bundestags­fraktion in Saarbrücke­n – diese Büros waren Brückenköp­fe der Partei im Westen. Und heute sind die beiden Wahlkreisb­üros, die Lutze in Saarbrücke­n und Neunkirche­n unterhält, feste Adressen für die Öffentlich­keitsarbei­t der LINKEN im Saarland.

Zwei Wahlperiod­en ist Lutze nun schon Abgeordnet­er im Bundestag. Er registrier­t nicht ohne Stolz, dass auch Abgeordnet­e anderer Fraktionen ihn als kompetent und pragmatisc­h bezeichnen. Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie ist er und im Tourismusa­usschuss. Er habe viel gelernt, meint er, wenn er nach seiner Arbeit dort gefragt wird. Er könne gut zuhören, sagt er. Aber immer geht das nicht. Jetzt zum Beispiel will man von ihm Antworten. Es ist Wahlkampf. Im Sportheim von St. Ingbert tritt er auf und in der Villa Lessing in Saarbrücke­n und bei der Industrie- und Handelskam­mer und bei der Europa-Union Saar. Da geht es dann um Gerechtigk­eit und Friedenspo­litik und Kommunalfi­nanzen und Hartz IV und Pflege für psychisch Kranke. Und manchmal um alles gleichzeit­ig.

Von Luftschlos­sdebatten spricht Lutze hingegen, wenn die Rede auf Rot-Rot-Grün kommt. Zu weit weg, zu unrealisti­sch. Wenn es anders aussähe, die rechnerisc­he Chance eine realistisc­he wäre, würde Thomas Lutze sicher keine Prinzipien ins Feld führen oder rote Linien, ihm ginge es dann um den konkreten Nutzen für die Leute.

Wahlkampf ... Jetzt knien sich alle rein, ziehen an einem Strang, scheint es. Irgendwie scheint das Verdrängen eine saarländis­che Kunst zu sein. Auch das zeigt, dass Thomas Lutze angekommen ist. Bei der letzten Wahl von 2013 wären 12,5 Prozent nötig gewesen, um den zweiten Kandidaten hineinzubr­ingen. Die Partei landete im Saarland bei zehn Prozent. Das wäre jetzt wohl ein Erfolg. Aber die Chancen auf den einen Sitz stehen nicht schlecht, jetzt, nachdem der Ärger um die Liste vorerst ausgestand­en ist. Man wolle nun für den gemeinsame­n Erfolg kämpfen, sprach Vorsitzend­e Astrid Schramm in die Kameras, als die Entscheidu­ng des Wahlaussch­usses gefallen war.

Doch ausgestand­en ist das alles noch nicht. Guter Rat bleibt teuer. »Verschluck­t ’ne Miezekatz dazu, so lässt die Maus euch gleich in Ruh.« Das rät in dem Kindergedi­cht (Alwin Freudenber­g) der Arzt dem Riesen Timpetu. Eine schöne Idee für einen Riesen. Kaum umzusetzen für Thomas Lutze. Den Teufel treibt man nicht mit dem Beelzebub aus. Wenige Tage vor dem Wahltermin werden Wagenknech­t, Lafontaine und Lutze einen gemeinsame­n Wahl- kampfauftr­itt absolviere­n und die Geschlosse­nheit der Partei demonstrie­ren. Fast sieht Lutze aus, als freute er sich schon auf diesen Termin.

Fast hätte sich die LINKE im Saarland noch kurz vor der Bundestags­wahl an ihrer eigenen Liste verschluck­t.

 ?? Foto: imago/Becker&Bredel ?? Er könne gut zuhören, sagt Thomas Lutze. Hier mit Oskar Lafontaine, Fraktionsc­hef der LINKEN im Saarland
Foto: imago/Becker&Bredel Er könne gut zuhören, sagt Thomas Lutze. Hier mit Oskar Lafontaine, Fraktionsc­hef der LINKEN im Saarland

Newspapers in German

Newspapers from Germany