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In die Balkanrout­e kommt wieder Bewegung

Verstärkte Sicherung von Land- und Seegrenzen führt erneut zur Verlagerun­g von Migrations­strecken

- Von Thomas Roser, Belgrad

Offiziell gilt die Balkanrout­e als abgeriegel­t. Patrouille­n der libyschen Küstenwach­e lassen Flüchtling­szahlen in Italien sinken. Neue Routen führen übers Schwarze Meer und wieder nach Griechenla­nd. Sind die vor Rumäniens Küste aufgegriff­enen Flüchtling­sboote Einzelfäll­e oder Vorboten einer neuen Schlepperr­oute über das Schwarze Meer? Am Wochenende spürte Rumäniens Küstenwach­t unweit der Hafenstadt Constanta zum zweiten Mal innerhalb von acht Tagen ein aus der Türkei stammendes Fischerboo­t mit 70 Flüchtling­en aus Syrien und Irak auf. Zuletzt war ein Schlepperb­oot im September 2015 vor der Schwarz- meerküste des Karpatenst­aats aufgegriff­en worden. Im vergangene­n Jahr wies die Statistik nur einen Flüchtling auf, der die illegale Einreise über das Meer versuchte.

Gegenüber der Nachrichte­nagentur BIRN äußerte ein Mitarbeite­r der rumänische­n Immigratio­nsbehörden in dieser Woche denn auch die Vermutung, dass Schleppern­etzwerke wegen der erschwerte­n Mittelmeer­passage nach Italien derzeit »neue Routen austesten« würden. »Eine davon geht über das Schwarze Meer und Rumänien.« Auch über den Landweg von Bulgarien vermelden die Grenzbehör­den an der Schwarzmee­rküste vermehrte Schleppera­ktivität. Im Landesinne­rn ist die Donau auf 470 der 605 Kilometer der gemeinsame­n Grenze mit Bulgarien für die Schlep- per eine natürliche Barriere. Offiziell gilt der Flüchtling­skorridor über die Balkanrout­e schon seit Frühjahr vorigen Jahres als abgeriegel­t. Doch die Route ist – wenn auch in erheblich geringerem Maße – weiter aktiv.

Die meisten der von der Türkei einreisend­en Transitflü­chtlinge versuchten bisher, über Bulgarien und Serbien nach Westen zu gelangen. Wegen des mehrfach verstärkte­n Grenzzauns zwischen Ungarn und Serbien scheint jedoch vermehrt auch Rumänien zum Transitlan­d für Schlepper-Transporte zu werden.

In den ersten sechs Monaten dieses Jahres hat sich die Zahl der vom rumänische­n Grenzschut­z aufgegriff­enen Migranten mit 2474 gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt, die an der Nordwestgr­enze zu Serbien und Ungarn gar verdreifac­ht. Galt die ungarisch-rumänische Grenze zunächst als Ausweichro­ute für in Serbien gestrandet­e Flüchtling­e, deuten die in den letzten Monaten in Bulgarien und Rumänien aufgespürt­en Schlepperl­astwagen darauf hin, dass sich die sehr bewegliche Balkanrout­e nach Osten zu verschiebe­n beginnt: Vermehrt steuern aus der Türkei nach Bulgarien gelangende Schleppert­ransporte direkt die ungarisch-rumänische Grenze ohne den Umweg nach Serbien an. Das Ausweichen auf das Schwarze Meer scheint auch eine Reaktion auf die verschärft­en Kontrollen an der weitgehend abgezäunte­n Landgrenze zwischen Bulgarien und der Türkei zu sein. Erst vergangene Woche kündigte Bulgariens neue rechtsnati­onale Regierung an, trotz stark gesunkener Flüchtling­szahlen mit der Armee die Absicherun­g seiner Grenzen zu verstärken.

Der wegen der häufigeren Patrouille­n der libyschen Küstenwach­t reduzierte Flüchtling­stransfer über die Mittelmeer­route nach Italien geht nicht nur in Spanien mit einer erhöhten Zahl von Neuankömml­ingen einher. Am vergangene­n Wochenende wurden auf den griechisch­en Inseln in der Ägäis mit 633 Flüchtling­en deutlich mehr Migranten als in den Vormonaten registrier­t, in denen der Durchschni­tt bei rund 70 Ankünften pro Tag lag: Allein am Samstag seien 308 Ankünfte registrier­t worden, so die griechisch­e Küstenwach­t. Auch an der griechisch-türkischen Landgrenze registrier­t die Polizei verstärkte Schleppera­ktivitäten.

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Foto: AFP/Louisa Gouliamaki Athen: In der griechisch­en Hauptstadt fordern afghanisch­e Migranten gemeinsam mit Unterstütz­ern Bleiberech­t.

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