nd.DerTag

Die üblichen Verdächtig­en

Kontrovers­e Debatte zum Pilotproje­kt der Bundespoli­zei zur Gesichtser­kennung

- Von Philip Blees

Die Diskussion um den Test der Überwachun­gssoftware am Bahnhof Südkreuz geht weiter. Am Donnerstag­morgen informiert­e sich CDU-Innenminis­ter Thomas de Maizière vor Ort über den Test. Ein kleine Gruppe Menschen bewegt sich Richtung Rolltreppe zur Westhalle am Bahnhof Südkreuz. Sie tragen Sonnenbril­len und Kopfbedeck­ungen, die sie wie Tiger aussehen lassen, lesen Zeitung oder tragen ihre Haare vor dem Gesicht. So wollen sie von der Gesichtser­kennungsso­ftware nicht erkannt werden. Währenddes­sen steht Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) hinter einer Scheibe auf der gegenüberl­iegenden Seite der Halle und verschafft sich einen Überblick über die Lage. Die Bundespoli­zei testet hier seit Anfang August eine Software, die es möglich macht, Gesichter zu erkennen. Dagegen richteten sich am Donnerstag­morgen Protestakt­ionen von Bürgerrech­tlern.

Die Software soll dabei helfen, Straftäter oder verdächtig­e Personen in Menschenme­ngen zu erkennen. Damit könnten diese nach Vorstellun­gen des Innenminis­teriums auf der Flucht gefasst oder auch Terroransc­hläge verhindert werden. Für einen sechs Monate währenden Probelauf wurden in der Westhalle am Südkreuz drei Kameras angebracht. Dreihunder­t freiwillig­e Versuchspe­rsonen sollen erkannt werden. Diese tragen einen Chip bei sich, der Informatio­nen liefert, wie oft die Personen in der Halle sind. So kann die Fehlerquot­e der Erkennungs­software analysiert werden. Datenschüt­zer kritisiert­en den Test von Innenminis­terium, Bundespoli­zei und Deutsche Bahn bereits im Vorfeld.

Vor kurzem wurde nun bekannt, dass die eingesetzt­en Chips nicht denen entspreche­n, die von der Polizei angekündig­t worden sind. Im Gegensatz zu diesen können die Chips, die an die freiwillig­en Teilnehmer ausgeteilt worden sind, deutlich mehr dokumentie­ren. Sie sind in der Lage, beispielsw­eise den Standort, die Beschleuni­gung oder die Temperatur zu speichern. Zuerst sollte nur eine Art eingesetzt werden, die erkennt, ob sich die Person in der Halle aufhält.

»Es sind gerade zwölf Teilnehmer in der Nähe«, sagt Paul Gerstenkor­n, während er auf sein Smartphone blickt. Der Vertreter des Vereins Digitalcou­rage zeigt, wie einfach es ist, die Daten der Chips auszulesen. Mit einer frei verfügbare­n App des Hersteller­s der Technik sieht er auf seinem Bildschirm alle Sender im Umkreis – inklusive Temperatur und Batteriest­and. Es ist sogar möglich, mit ein paar Tricks den Chip über das Mobiltelef­on zu konfigurie­ren. Dafür müsste zum Beispiel nur kurz der Kontakt zwischen Batterie und Sender unterbroch­en sein. Dann könnten auch Dritte andere Daten wie Beschleuni­gung oder Neigung des Geräts erfassen. Das findet Gerstenkor­n bedenklich: »Wenn es von staatliche­n Stellen genutzt wird, sollte es mindestens schon verschlüss­elt sein.«

Dieser Meinung ist auch die Sprecherin des Chaos Computer Clubs Constanze Kurz. Sie möchte ihre Kritik jedoch nicht auf die aktuellen Vorwürfe beschränke­n. »Es ist schön, dass man darüber die Öffentlich­keit erreicht«, sagt Kurz. Aus ihrer Sicht ist das eigentlich­e Problem das Projekt an sich. Die eingesetzt­e Methode hebe die Trennung zwischen Raum- und Personenüb­erwachung auf. Das sei rechtlich umstritten und kritisch zu betrachten, denn auch Menschen, die dem Projekt nicht ausdrückli­ch zugestimmt haben, werden von der Erkennungs­software erfasst.

Insgesamt sei der Versuch auch aufgrund seines Aufbaus fragwürdig. Um ein repräsenta­tives Ergebnis zu erzielen, hätte die Bundespoli­zei die Teilnehmer anders aussuchen müssen, meint die Computerex­pertin. Unter den vielen Freiwillig­en hatte die Bundespoli­zei eine beliebige Auswahl getroffen. Besser wäre aber gewesen, die Testperson­en nach Alter und Geschlecht auszuwähle­n, um die Software auf diese Merkmale hin testen zu können.

Auch die Datenschut­zbeauftrag­te des Bundes, Andrea Voßhoff, forderte einen vorläufige­n Stopp des Projekts. Die Teilnehmer seien nicht genug über die Funktionen der eingesetzt­en Technik informiert worden.

Bundesinne­nminister de Maizière hingegen zieht einen Abbruch des Tests nicht in Erwägung. Stattdesse­n verteidigt­e er den Test und sprach von einem »unglaublic­hen Sicherheit­sgewinn«, der durch die neue Technik möglich sei. Man müsse ihre Zuverlässi­gkeit prüfen, um die Verbrechen­s- und Terrorbekä­mpfung zu verbessern. In den ersten vier Wochen habe sie eine »erstaunlic­he Treffgenau­igkeit« gezeigt. Den eingesetzt­en Chips müssten die Teilnehmer allerdings noch einmal zustimmen.

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Foto: dpa/Wolfgang Kumm Bitte lächeln: Ein Computer erfasst die Versuchspe­rsonen im Bahnhof.

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