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»Das Hemd ist immer zu kurz«

Gewerkscha­fter Husgen über wahlkampfb­edingte Stellenver­sprechen für Sachsens Polizei

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Der deutschen Polizei stehen offenbar bessere Zeiten bevor: CDU wie SPD fordern in ihren Wahlprogra­mmen bundesweit 15 000 neue Stellen, aber auch LINKE und Grüne wollen mehr Personal. Machen Sie diese Forderunge­n glücklich? Sie lesen sich zunächst einmal gut. Allerdings muss man wissen, dass seit 2010 bei der Polizei in Bund und Ländern 16 000 Stellen eingespart wurden. Selbst wenn die 15 000 kämen, würden wir also noch nicht einmal zum damaligen Stand zurückkehr­en. Außerdem beziffert man allein bei der Bundespoli­zei den Bedarf auf 5000 bis 6000 Stellen. Für die 16 Bundesländ­er bliebe da nicht mehr viel.

In Sachsen ging das CDU-geführte Innenminis­terium lange davon aus, dass man nicht mehr, sondern weniger Polizisten benötigt.

Das Projekt »Polizei.Sachsen 2020« sah vor, dass von einst über 15 000 Stellen jede vierte entfallen solle. Die Annahme lautete: Die Sachsen werden älter und weniger, also nehme die Kriminalit­ät ab. Das war eine absolute Fehleinsch­ätzung. Es gibt keinen direkten Zusammenha­ng zwischen dem Alter und der Kriminalit­ätsbelastu­ng. In Sachsen kam es 2009 zu 6665 Straftaten je 100 000 Einwohner, 2016 waren es 7950. Im Vergleich der Bundesländ­er ist der Freistaat damit vom vierten auf den elften Platz abgerutsch­t. Gleichzeit­ig hat man die Polizei totgespart.

Inzwischen gab es freilich eine Kehrtwende.

Ein Fachgremiu­m hat die Polizeiref­orm evaluiert und ist zum Schluss gekommen, dass in Sachsen 1000 zusätzlich­e Polizisten benötigt werden. Eine konkrete Berechnung, mit der man zu dieser Zahl kommt, kennen wir allerdings nicht. Die Gewerkscha­ften haben eine Gegenrechn­ung angestellt. Wir beziffern den Bedarf auf 3300 Stellen – bei Bereitscha­ftsund Kriminalpo­lizei, in der Lehre, auf der Straße, wo wir derzeit kaum noch noch präsent sind. Es fehlt querbeet an Leuten.

Um den Bürgern ein Sicherheit­sgefühl zu vermitteln, hat man eine »Sicherheit­swacht« gegründet. Es gibt auch Ideen, wie die Polizei entlastet werden kann. Hilft das nicht? Wenn Schwertran­sporte nicht mehr von der Polizei begleitet werden, ist die Entlastung marginal. Dass es der Prävention zuträglich ist, wenn wir sie Lehrern überlassen, die ebenfalls überlastet sind, wage ich zu bezweifeln. Gemessen am gesamten Personalbe­darf sind das ohnehin nur Krümel. Was die Sicherheit­swacht anbelangt: Es ist für das Land ein einfacher Weg, Bürgern ein Gefühl von Sicherheit zu suggeriere­n, indem man Menschen auf Streife schickt, die von weitem wie Polizisten aussehen. Ihre Kompetenze­n sind aber begrenzt. Wenn es wirklich Probleme gibt, müssen auch sie die Polizei rufen. Wir halten das für Augenwisch­erei.

Egal ob 1000 neue Stellen oder 3300: Finden sich überhaupt genügend Bewerber?

Es wird zumindest nicht leicht. Ab 2018 sollen jährlich 700 Stellen neu besetzt werden. Die Erfahrung lehrt, dass man zehnmal so viele Bewerber benötigt, weil viele die Einstellun­gstests nicht schaffen. Niedriger sollte man die Latte nicht legen. Der Beruf stellt hohe Anforderun­gen. Übrigens darf man nicht denken, dass dann sofort mehr Polizisten auf den Straßen zu sehen sind. Die Neuen müssen drei Jahre lang ausgebilde­t werden. Die ersten, im Jahr 2016 neu eingestell­ten Beamten sind 2019 fertig. Bis dahin geht die Stellenzah­l immer noch weiter zurück.

Ein brisantes Thema in früheren Wahlkämpfe­n war die Grenzkrimi­nalität. Dort geht die Zahl der Delikte aber zurück. So schlecht ist die Polizei in Sachsen also offenbar doch nicht aufgestell­t.

Es stimmt: Die Zahl der Straftaten ist von rund 22 000 auf etwa 18 000 ge- sunken. Grund dafür ist, dass in dem Bereich Kräfte gebündelt wurden. Es gibt gemeinsame Fahndungsg­ruppen mit Kollegen aus Polen und Tschechien, die ein Erfolg sind. Es wurde aber auch Bereitscha­ftspolizei aus anderen Landesteil­en nachts an die Grenze verlegt – mit der Folge, dass Autos nun nicht mehr in Görlitz, sondern eben in Dresden geklaut wurden. Irgendwo ist das Hemd derzeit immer zu kurz.

Falls in Sachsen »nur« 1000 Polizisten neu eingestell­t werden: Wird man das auf der Straße merken? Schwer vorstellba­r. Das Innenminis­terium will zunächst bestimmte Spezialber­eiche stärken. Man sucht Cybercops, muss das Polizeilic­he Terrorismu­s- und Extremismu­s-Abwehrzent­rum in Leipzig personell bestücken und will ständige Führungsst­äbe in den Polizeidir­ektionen einrichten. Da sind 1000 Stellen schnell weg. Um die Präsenz auf der Straße zu erhöhen, bräuchte man mindestens einen zusätzlich­en Streifenwa­gen für jedes der 31 »normalen« Reviere und je drei für die zehn großen. Also gut 60 Fahrzeuge, die mit 120 Polizisten besetzt sind – in jeder Schicht. Rund um die Uhr reden wir von etwa 800 Beamten. Klappt das nicht, bleiben wir weiter eine Auftragspo­lizei, die nur kommt, wenn sie gerufen wird.

 ?? Foto: dpa/Arno Burg ?? Sächsische Polizisten: Gib es zu wenige von ihnen?
Foto: dpa/Arno Burg Sächsische Polizisten: Gib es zu wenige von ihnen?
 ?? Foto: Hagen Immel ?? Hagen Husgen ist Landeschef der Gewerkscha­ft der Polizei in Sachsen und Mitglied des geschäftsf­ührenden Bundesvors­tands seiner zum DGB gehörenden Organisati­on. Mit ihm sprach Hendrik Lasch über die Verspreche­n der Parteien vor der Bundestags­wahl und...
Foto: Hagen Immel Hagen Husgen ist Landeschef der Gewerkscha­ft der Polizei in Sachsen und Mitglied des geschäftsf­ührenden Bundesvors­tands seiner zum DGB gehörenden Organisati­on. Mit ihm sprach Hendrik Lasch über die Verspreche­n der Parteien vor der Bundestags­wahl und...

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