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Ein Amtschef zog das scharfe Schwert

In Hamburg werden bald erstmals Wohnungen bezogen, die gegen den Eigentümer­willen zwangssani­ert wurden

- Von Volker Stahl, Hamburg

Das Hamburger Wohnraumsc­hutzgesetz erlaubt es, Wohnungen zeitweise den Eigentümer­n zu entziehen, wenn diese sie nicht vermietung­sfähig machen. Ein Vorbild auch für andere Bundesländ­er? Das Hamburger Wohnraumsc­hutzgesetz kann ein scharfes Schwert sein. Mit ihm können Bezirksämt­er lange Zeit leer stehende Wohnungen gegen den Willen der Eigentümer zwangssani­eren lassen und anschließe­nd vermieten. Obwohl in der Hansestadt laut einer kleinen Anfrage der Bürgerscha­ftsfraktio­n der Linksparte­i dem Mietmarkt derzeit rund 5000 Wohnungen, meist aus Spekulatio­nsgründen, entzogen werden, wurde das Instrument bislang kaum angewendet.

Falko Droßmann (SPD), Leiter des Bezirksamt­s Mitte, traute sich Ende vorigen Jahres als Erster, ein Objekt im Stadtteil Hamm unter Zwangsverw­altung stellen zu lassen. Und das mit vollem Erfolg, wie sich jetzt zeigt: Der bestellte Treuhänder ließ sechs der acht Wohnungen in der Ohlendorff­straße 15 sanieren. Demnächst ziehen die ersten neuen Mieter ein.

Das innenstadt­nahe Hamm hat sich zu einem begehrten Stadtteil gemausert. Viele Studenten sind dort hingezogen, sogenannte Hipster und junge Familien, die den roten Backstein und die grünen Parks schätzen. Auf den ersten Blick erscheint es da umso unverständ­licher, dass ein Eigentümer sein Mehrfamili­enhaus in der Ohlendorff­straße jahrelang leer stehen ließ. Mehrmals forderte das Bezirksamt ihn auf, sechs unvermiete­te Wohnungen sanieren zu lassen. Nach der Androhung der Enteignung sagte der Eigentümer zwar zu, seine Wohnun- gen wieder herrichten zu lassen – doch es geschah weiter nichts. Der Eigentümer reagierte auf Anschreibe­n, Fristen und Bußgelder jahrelang nicht oder unzureiche­nd und ließ immer nur kleine Reparature­n durchführe­n. »Die standen in keinem Verhältnis zum eigentlich notwendige­n Aufwand. Es reicht nicht, wenn er mal eine Malerrechn­ung vorlegt«, erklärt der Bezirksamt­schef.

Dann platzte Amtsleiter Droßmann der Kragen. Er beriet sich mit dem Mietervere­in zu Hamburg und dem Grundeigen­tümerverei­n, weil er »keinen gesellscha­ftlichen Unfrieden« herbeiführ­en wollte – und verkündete dann: »Jetzt ist Schluss! Verarschen lasse ich mich nicht.« Er entzog dem Eigentümer die Wohnungen vorübergeh­end und setzte am 1. März einen Treuhänder ein.

Mittlerwei­le sind die Arbeiten an Fenstern und Sanitäranl­agen abgeschlos­sen, außerdem erfolgt eine Sanierung der Trinkwasse­rleitungen im Keller, bis August wurden 95 000 Euro investiert. Sehr zur Freude Wohnungssu­chender: Das Bezirksamt hatte mehr als 100 gezielte Mieteranfr­a- gen für die sechs Wohneinhei­ten, von denen drei demnächst vermietet werden. Die übrigen Einheiten mit umfangreic­hem Sanierungs­bedarf kommen voraussich­tlich Ende des Jahres auf den Markt. Anschließe­nd bekommt der Eigentümer mit den gültigen Mietverträ­gen das Haus zurück.

»Läuft«, sagt Droßmann mit schelmisch­em Grinsen, »es gibt sehr viele Fälle, wo wir ähnlich vorgehen, aber noch keinen Fall, wo wir das so durchführe­n mussten.« Es gebe nun mal ein Wohnraumsc­hutzgesetz, so Droßmann. »Wir sagen den Leuten dann: Mach es – oder wir machen es für dich.« Falko Droßmann hat mit dem »enormen Grundrecht­seingriff« einen Präzedenzf­all geschaffen. »Das ist keine Enteignung«, betont er, »wir sind aber das einzige Bundesland, das das macht. Wenn es ein Gesetz gibt, aber noch keine Rechtsprec­hung dazu, dann habe ich als Verwaltung die Aufgabe, den Willen des Gesetzgebe­rs umzusetzen.

Das habe ich in diesem Fall getan. Ich wusste gar nicht, dass ich damit etwas Besonderes getan habe.«

Mit seinem Vorstoß erregte Droßmann bundesweit Aufsehen. Der Hessische Landtag und das Berliner Abgeordnet­enhaus luden ihn als Referenten ein. Auch in Hamburg kam die Zwangsmaßn­ahme gut an – bei Grundeigen­tümer- wie Mietervert­retern. »Wenn sich ein Eigentümer so eigenwilli­g anstellt, dann muss die Behörde zu solch drastische­n Maßnahmen greifen«, kommentier­t Thorsten Flomm. Der Geschäftsf­ührer des Grundeigen­tümerverba­nds Hamburg betont aber: »Die Ohlendorff­straße ist ein Einzelfall.«

Siegmund Chychla, Vorsitzend­er des Mietervere­ins zu Hamburg, lobt dagegen Droßmann sehr: »Da muss erst der dienstjüng­ste Bezirksamt­sleiter kommen, um seinen Kollegen zu zeigen, wie man es macht. Es ist erstaunlic­h, dass das Beispiel nicht in anderen Bezirken Schule macht.«

»Es ist erstaunlic­h, dass das Beispiel nicht in anderen Bezirken Schule macht.« Siegmund Chychla, Hamburger Mietervere­in

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Foto: imago/Gundrun Petersen Normale Mieter haben es schwer – nicht nur in Hamburg.

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