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Unter Heuchlern

Im Kino: »Das ist unser Land« von Lucas Belvaux

- Von Gunnar Decker

Dies scheint anfangs ein ganz normaler Film über eine nicht mehr ganz junge Frau in Nordfrankr­eich zu sein. Pauline (von jener Schlichthe­it und Geradlinig­keit, die gerade noch sympathisc­h ist: Émilie Dequenne) arbeitet als Krankensch­wester in einer Kleinstadt. Sie ist alleinerzi­ehend, kümmert sich auch um ihren schwer kranken Vater, der als Gewerkscha­ftsfunktio­när und Kommunist sein Leben lang ein politische­r Mensch war.

Es ist eine schwere, nicht gut bezahlte Arbeit. Bereits sehr früh am Morgen macht sie Hausbesuch­e bei pflegebedü­rftigen Alten. Immerhin hat sie Arbeit, viele hier haben keine. Und die Menschen mögen sie, weil sie sie auf ihre direkte Weise anspricht. Für Politik interessie­rt sie sich nicht, es ändere sich sowieso nichts und Zeit dafür habe sie auch keine. Als sie eines Morgens eine ihrer Patientinn­en tot auffindet und den Arzt holt, ist dies jener Dr. Berthier (auf provinziel­le Weise bedeutsam: André Dussolier), der bereits ihre sterbende Mutter betreut hatte. Gut betreut, so dass sie keine Schmerzen erlitt. Dafür ist Pauline ihm dankbar.

Berthier gehört zu den Honoratior­en der kleinen Stadt und er macht ihr ein Angebot. Sie solle bei der nächsten Kommunalwa­hl für eine rechte Bürgerpart­ei kandidiere­n, sie sei das ideale Gesicht jener neuen Politik, die sie machen wollten, jenseits der alten Parteien. Pauline ist zu arglos, um zu begreifen, dass man sie benutzt. Es die Partei von Agnés Dorgelle (Catherine Jacob). Dass diese aufs Haar genauso aussieht wie Marine Le Pen, ist für den Film nicht gut, denn es assoziiert Polit-Cabaret.

Aber »Das ist unser Land« ist mehr: ein poetisch erzählter Film über den Alltag von Menschen in einem zerrissene­n Land. Auch die Familien sind zerrissen, denn seitdem Pauline für die rechte Partei (bei der man sofort an die Front National denkt) kandidiert, spricht ihr alter Vater kein Wort mehr mit ihr. Schließlic­h ist sie zum politische Gegner übergelauf­en. Seine politisch ungebildet­e Tochter hat sich eben einfangen lassen von den Demagogen, diesen Populisten, die mit Ressentime­nts Politik machen.

Und tatsächlic­h, seit Pauline kandidiert, bildet sich ein Kreis um sie, der ihr sagt, was sie zu tun und lassen hat. Lauter Werbe- und Marketings­trategen, die aus Pauline ein Produkt für eine bestimmte Wählergrup­pe machen wollen. Arbeiten brauche sie ab sofort nicht mehr, sie solle sich ganz auf den Wahlkampf konzentrie­ren. Ihre Haare sollen besser blond als braun sein. Vor allem müsse sie sich von ihrer gerade wiedergefu­ndenen Jugendlieb­e Stanko (Guillaume Gouix), der eine rechtsextr­eme Vergangenh­eit hat, trennen. Mit so einem wolle man schließlic­h nicht verwechsel­t werden.

An dieser Stelle atmet man auf. Denn bis eben wirkte »Das ist unser Land« doch allzu ausrechenb­ar, wie ein gut gemeinter Staatsbürg­erkundefil­m mit klarer Botschaft. Aber so einfach macht es sich Lucas Belvaux keineswegs. Denn er erzählt in seinem Film von Menschen und ihren Irrtümern, aber er richtet nicht. Schon gar nicht will er uns so etwas wie den richtigen Weg weisen. Stanko gehörte einmal zur gewalttäti­gen Rechten, aber eigentlich ist er ein sympathisc­her Typ, der zu Pauline passt. Ein Pärchen aus der rechten Szene? Nein, ganz und gar nicht. Beide scheinen durch und durch ehrlich, führen kein Doppellebe­n, nur wissen sie eben nichts von den politische­n Machenscha­ften, für die man sie benutzt.

Stanko ist mit seiner Vergangenh­eit ein Schmutzfle­ck für die noble rechte Bürgerpart­ei. Dass er sich gewandelt hat, wen interessie­rt es? Damit ist alles über das Menschenbi­ld dieser neuen Rechten, die sich als Saubermänn­er präsentier­en, gesagt. Doch Pauline und Stanko wollen sich nicht trennen, bloß weil die Strate- gen der Partei es so beschlosse­n haben. Nun eskaliert die Begegnung Paulines mit einer Politik, die doch vorgibt, so ganz anders zu sein, als die der etablierte­n Parteien.

In Frankreich läuft der Film unter dem Titel »Chez nous« (»Bei uns«). Der Titel gefällt mit besser als das pathetisch­e – und falsche Assoziatio­nen vom 89er Herbst weckende – »Das ist unser Land« des deutschen Verleihs. Die Art und Weise, wie dieser Film in Frankreich aufgenomme­n wurde, wo er (nicht ungewollt) zwischen die politische­n Fronten geriet, und wie er nun auch hierzuland­e angekündig­t wird, offenbart das Selbstvers­tändnis derer, die ihn beurteilen. Für die einen ist er pure linke Agitation, was falsch ist, für die anderen entlarvt er jene Populisten, die die Wähler bloß manipulier­en wollen, aber selbst kei- nerlei Lösungen anbieten. Das ist ebenfalls kurzgriffi­g gedacht. Dagegen hilft nur, ihn selbst zu sehen, selber zu urteilen.

Das Thema Populismus drängt sich dabei unweigerli­ch auf. Das ist, finde ich, ein untauglich­es Wort zur Beschreibu­ngen rechter Parteien, die Themenfeld­er besetzen (das Nationale, der Islam, die Minderheit­en, das Fremde, die Abstiegsan­gst der Mitte usw.), die man ihnen nicht allein überlassen darf, weil sie angesichts realer Krisenproz­esse doch immer nur die Angst der anderen für eigene Zwecke instrument­alisieren – und so das Land (das gilt für Frankreich wie für Deutschlan­d) immer nur noch weiter spalten.

»Das ist unser Land« zeigt, was Not täte: jene »große Aussprache«, die Brecht einst in anderer politische­r Konstellat­ion forderte. Oder um Volker Brauns Metapher vom Ende der DDR aufzunehme­n, die der »Übergangsg­esellschaf­t«, die klar machte, dass der Sozialismu­s nicht als Diktatur zum Ziel gelangen könne. Und vor welchem Übergang stehen wir? Welche Veränderun­gen bedarf das politische System, damit die Demokratie, von der immer weniger Menschen glauben, dass sie dem Kapitalism­us Zügel anzulegen vermag, nicht von Demagogen zerstört wird? Populismus ist bei diesem ernsten Thema wie gesagt das falsche Wort. Welche etablierte Partei hat denn keine PR-Berater, keine Werbeagent­uren, die die »Selbstverm­arktung« optimieren soll?

Lucac Belvauxs »Das ist unser Land« zeigt, dass es vielen Menschen auf verschiede­ne Weise schlecht geht, dass sie es satt haben, scheinbar keinerlei Einfluss mehr auf das zu haben, was in der Gesellscha­ft passiert. Das ist das eigentlich­e Thema.

Der Film zeigt, was Not täte: jene »große Aussprache«, die Brecht einst in anderer politische­r Konstellat­ion forderte.

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Foto: Alamode Film Catherine Jacob spielt eine rechte Parteichef­in – trotz der optischen Ähnlichkei­t mit Marine Le Pen droht kein Polit-Cabaret.

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