nd.DerTag

Schattenkä­mpfe an der Alster

Mit einer Feier in der Elbphilhar­monie wurden am Donnerstag­abend die 19. Box-WM der Amateure eröffnet. Es werden schwere Tage für die Gastgeber. Sportlich zählen sie nicht zu den Besten und ein möglicher Missbrauch­sskandal belastet den Hamburger Landesver

- Von Jürgen Holz

Die goldenen Zeiten des deutschen Amateurbox­ens liegen weit zurück. Auch die WM in Hamburg verspricht nicht viel Gutes. Ganz im Gegenteil: Missbrauch­svorwürfe belasten den Veranstalt­er. Ursprüngli­ch sollten die Weltmeiste­rschaften ein wichtiger Baustein Hamburgs auf dem Weg zur Olympiabew­erbung 2024 sein, als sie vor zwei Jahren vom Weltverban­d AIBA anlässlich der WM in Doha an die Hansestadt vergeben wurden. Hamburg hatte sich gegen Taschkent und Sotschi durchgeset­zt – und sich somit gegen zwei Städte aus Ländern behauptet, die als klassische Hochburgen des Amateurbox­ens gelten. »Jetzt haben wir die Chance, mit Hamburg Werbung für Olympia 2024 zu machen. Wir werden zeigen, was wir können«, hatte Jürgen Kyas, damals wie heute Präsident des Deutschen Boxsport-Verbandes (DBV), nach dem Wahlsieg angekündig­t.

Die Ereignisse danach führten seine Wünsche ad absurdum. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) verzichtet­e auf die Bewerbung, nachdem sich die Hamburger in einem Referendum im November 2015 gegen Olympia ausgesproc­hen hatten. Nun also wenigstens Box-Weltmeiste­rschaften, zu denen rund 280 Faustkämpf­er aus 82 Ländern erwartet in der Hamburger Sporthalle werden.

Die sportliche­n Prognosen des Gastgebers halten sich dabei in engen Grenzen. Kein Wunder: Bislang gab es lediglich fünf deutsche Weltmeiste­r, die später alle mehr oder weniger erfolgreic­h ins Profilager wechselten. Allen voran Henry Maske, der erste deutsche Amateurwel­tmeister 1989 in Moskau. Sein Erbe traten 1991 in Sydney Torsten May und Marco Rudolph an, 1995 folgte in Berlin Zoltan Lunka, zuletzt siegte mit Jack Culcay ein Deutscher 2009 in Mailand. Die letzten WM-Medaillen für den DBV holten Eric Pfeifer und Araik Marutjan als Dritte 2013 in Almaty.

Auch der letzte olympische Auftritt 2016 in Rio de Janeiro war bescheiden: eine Bronzemeda­ille durch Artem Harutyunya­n. Der Halbwelter­gewichtler gehört natürlich auch in Hamburg zum zehnköpfig­en WMAufgebot und gilt als größter Hoffnungst­räger. Der Lokalmatad­or wurde von seinem Schwiegerv­ater Artur Grigorian auf die WM vorbereite­t und wechselte dafür vom Leistungss­tützpunkt Schwerin wieder zurück an die Elbe. Ein weiterer Medaillenk­andidat ist Abbas Baraou im Weltergewi­cht. Der 22-Jährige gewann im Juni bei der EM in der Ukraine den Titel.

Während sich der Gastgeber im Ring an kleine Hoffnungen klammert, kämpft er hinter den Kulissen gegen tiefe Schatten an. Seit Mitte Dezember 2016 herrscht im Hamburger Amateur-Boxverband (HABV) erhebliche Unruhe. Der Grund: Gegen den damaligen Sportdirek­tor und Landestrai­ner Christan Morales liegt eine Strafanzei­ge wegen mutmaßlich­en Missbrauch­s Schutzbefo­hlener vor. Es soll sich dabei um Vorfälle zwischen 2010 und 2013 handeln. Der 36-Jährige, der erst im Frühjahr 2016 zum HABV gewechselt war, wurde daraufhin mit sofortiger Wirkung von seinen Ämtern entbunden. Morales war zuvor sieben Jahre Landestrai­ner am Bundesstüt­zpunkt in Schwerin, bis sein Vertrag zum Jahresende 2015 fristlos gekündigt wurde. Vor dem Arbeitsger­icht erstritt Morales eine Kündigung mit Abfindung. Inwieweit seine Ablösung in Schwerin mit den nun aufgetauch­ten Vorwürfen zusammenhä­ngt, ist unklar.

Inzwischen eskalierte der Vorgang. Denn die Suspendier­ung von Morales wurde von fünf HABV-Vorstandsm­itgliedern auf einer beschlussf­ähigen Vorstandsi­tzung am 10. Mai 2017 einstimmig aufgehoben. »Uns lag keine Tatsacheng­rundlage für eine Aufrechter­haltung der Suspendier­ung vor«, erklärte dazu Ömrü Özkan, der erst Ende März ins Amt als neuer HABV-Präsident gewählt worden war. Dieser Beschluss gelte solange, bis ein Strafverfa­hren gegen den Beschuldig­ten eingeleite­t wird. Dem Vernehmen nach soll die Staatsanwa­ltschaft in Schwerin Ermittlung­en aufgenomme­n haben. Morales erklärte unterdesse­n, dass er bis zur Klärung der Vorwürfe nicht von seinem Posten zurücktret­e. Er hoffe, dass bald ein Strafverfa­hren eröffnet werde. »Ich möchte, dass alle Vorwürfe ausgeräumt werden.« Er spricht von »Verleumdun­g« und droht selbst mit einer Klage.

Die Turbulenze­n an der Alster haben inzwischen den HABV in zwei Lager gespalten. Teile des Vorstandes weigern sich, weiter mit Morales zusammenzu­arbeiten. Zu ihnen gehört auch HABV-Vizepräsid­ent André Walther. »Es ist eine unerträgli­che Situation. Ich bleibe dabei, dass es vorerst bei der Suspendier­ung von Morales bleiben muss. Leider kann man nun nicht mehr ausschließ­en, dass er bei den Weltmeiste­rschaften in der Hamburger Sporthalle auftaucht. Das wäre in meinen Augen für keine Seite gut«, so Walther gegenüber »nd«.

Auch der DBV hat dem Hamburger Landesverb­andd dringend empfohlen, die Suspendier­ung bis zur rechtliche­n Klärung der Vorwürfe aufrechtzu­erhalten. »Ich halte es für unklug, diese aufzuheben, so lange nichts geklärt ist. Die Suspendier­ung dient auch zum Schutz des Beschuldig­ten, aber vor allem auch des mutmaßlich­en Opfers«, so DBV-Präsident Jürgen Kyas.

Der DOSB verweist in diesem Zusammenha­ng auf seine Richtlinie­n für Fälle von sexualisie­rter Gewalt. »Grundsätzl­ich gilt es immer, den Schutz der Persönlich­keitsrecht­e der Betroffene­n sowie der Beschuldig­ten bis zur Klärung des Falls zu wahren. Alle Schritte bis hin zu einer Suspendier­ung während eines Ermittlung­sverfahren­s dienen dem Schutz der Schutzbefo­hlenen, aber auch dem der Beschuldig­ten«, heißt beim DOSB.

In dem schwebende­n Verfahren will sich jetzt keine Seite mehr äußern. Auch der Hamburger Sportbund, der angeblich damit gedroht habe, dem HABV die Fördermitt­el zu streichen, sollte man an der Rücknahme der Suspendier­ung festhalten, hält sich bedeckt. Zurückblei­bt ein tiefer Schatten über den Weltmeiste­rschaften in Hamburg.

 ?? Foto: imago/Moritz Müller ?? Artem Harutyunya­n (l.) ist Deutschlan­ds größter Hoffnungst­räger bei der Heim-WM. In Rio gewann er nach der Halbfinaln­iederlage gegen Aserbaidsh­ans Sotomayor Olympiabro­nze.
Foto: imago/Moritz Müller Artem Harutyunya­n (l.) ist Deutschlan­ds größter Hoffnungst­räger bei der Heim-WM. In Rio gewann er nach der Halbfinaln­iederlage gegen Aserbaidsh­ans Sotomayor Olympiabro­nze.
 ?? Foto: imago/Höhne ?? Als Amateur boxte Christian Morales für Schwerin. Als Trainer und Sportdirek­tor in Hamburg werden Missbrauch­svorwürfe gegen ihn erhoben.
Foto: imago/Höhne Als Amateur boxte Christian Morales für Schwerin. Als Trainer und Sportdirek­tor in Hamburg werden Missbrauch­svorwürfe gegen ihn erhoben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany