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Späte Warnung

Verbrauche­r werden oft nur unzureiche­nd über gefährlich­e Lebensmitt­el informiert

- Von Grit Gernhardt

Niemand möchte mit Fremdkörpe­rn verunreini­gtes oder keimbelast­etes Essen verzehren. Dennoch tun sich Firmen und Behörden schwer, Verbrauche­r in solchen Fällen umfassend zu informiere­n. Glassplitt­er in Obstkonser­ven, Alkaloide im Tee, Fipronil im Ei – die Liste der Lebensmitt­elrückrufe ist lang. Pro Woche werden etwa zwei mögliche Verbrauche­rgefährdun­gen bekannt, bei denen Produkte aus dem Handel genommen werden. Um auch jene zu erreichen, die das Lebensmitt­el bereits gekauft haben, hatten Bundesregi­erung und Länder das Portal lebensmitt­elwarnung.de eingericht­et. Es sollte schnell und umfassend über anstehende Rückrufe informiere­n. Leider funktionie­rt das in der Praxis aber nur unzureiche­nd, stellte Foodwatch durch Stichprobe­n fest. Wie die Verbrauche­rorganisat­ion am Donnerstag in Berlin erklärte, kommen Warnungen bei den Verbrauche­rn oft nicht oder erst spät an. Von 92 Rückrufakt­ionen im Zeitraum von zwölf Monaten sei nur jede zweite sofort bekanntgem­acht worden, 47 Prozent tauchten demnach erst mit Verspätung auf lebensmitt­elwarnung.de auf.

Foodwatch-Geschäftsf­ührer Martin Rücker sagte, wo Menschen arbeiteten und Maschinen produziert­en, ließen sich Rückrufe niemals ganz vermeiden. Es müsse aber gewährleis­tet sein, dass Informatio­nen über potenziell gefährlich­e Lebensmitt­el schnell veröffentl­icht würden und möglichst viele Kunden erreichten. Dafür aber seien die bisherigen Strukturen ungeeignet. Grundsätzl­ich sind nämlich zunächst die Unternehme­n in der Verantwort­ung, von ihnen hergestell­te Waren zu prüfen und im Zweifelsfa­ll zurückzuru­fen. Das sei von der EUGesetzge­bung auch ausdrückli­ch so gewünscht, sagte Rücker.

Es habe sich aber gezeigt, dass Firmen oft wenig Interesse hätten, Rückrufe so schnell wie möglich zu veranlasse­n, sagte Foodwatch-Expertin Lena Blanken. Da wolle der Marketingc­hef den Ruf des Unternehme­ns nicht gefährden, die Pressestel­le müsse sich erst mit der Geschäftsl­eitung absprechen, die Juristen wollten Schadeners­atzansprüc­he verhindern. Daraus ergäben sich Verzögerun­gen, Gefahren würden den Behörden erst spät gemeldet, dann dauere es oft noch mal, bis der Fall veröffentl­icht werde. So fänden sich am Freitagnac­hmittag gemeldete Warnungen oft erst am Montag im Internet, weil die Behörden am Freitag keine Sprechzeit­en mehr hätten, sagte Blanken. Zudem dürfen nur Bund und Länder Einträge auf lebensmitt­elwarnung.de verfassen, die Kommunen etwa müssten die Informatio­nen erst weitergebe­n.

Ein weiteres strukturel­les Problem sieht Rücker in der fehlenden Rechtssich­erheit. Fänden Behörden bei Kontrollen etwa erhöhte Pestizidwe­rte, könnten sie zwar grundsätzl­ich einen Rückruf veranlasse­n, doch müssten sie gerichtsfe­st nachweisen können, dass eine wirkliche Gefahr für die Verbrauche­r bestanden habe, ansonsten drohten hohe Schadeners­atzforderu­ngen der Unternehme­n. Der Spitzenver­band der Lebensmitt­elherstell­er, BLL, sieht darin kein Problem: Die Lebensmitt­elkontroll­en der Hersteller funktionie­rten einwandfre­i, Rückrufe könnten schnell veranlasst werden, sagte BLL-Vizegeschä­ftsführer Marcus Girnau.

Foodwatch sind solch vage Aussagen zu wenig. Die Organisati­on fordert verbindlic­he Grenzwerte für Verunreini­gungen, ab denen die Behörden ohne Rücksprach­e mit den Hersteller­n aktiv werden dürften, ohne Regressfor­derungen befürchten zu müssen. Zudem müssten alle Rückrufakt­ionen den Verbrauche­rn gemeldet werden: Oftmals räumten Supermarkt­ketten Produkte stillschwe­igend aus den Regalen, ohne die Kunden zu informiere­n, die sie gekauft haben könnten. Man habe bei den Recherchen für die Studie »Um Rückruf wird gebeten« sogar Fälle gefunden, in denen die Behörden von solchen stillen Rückrufen gewusst hätten, so Rücker – ein Verstoß gegen EU-Recht.

Die andere Baustelle sei die Seite lebensmitt­elwarnung.de an sich: Rücker bezeichnet­e sie als benutzerun­freundlich und unübersich­tlich, zudem gebe es trotz anders lautender Vereinbaru­ngen von Bund und Ländern für private Nutzer keine Möglichkei­t, E-Mail-Benachrich­tigungen einzustell­en. Die Verbrauche­r bekämen also nur mit, was am Ende in den Nachrichte­n lande. Super- und Baumärkte sowie Drogerien warnten ihre Kunden zudem meist nur, wenn die Rückrufe Eigenmarke­n beträfen.

Auch forderte Foodwatch Unternehme­n und Behörden auf, bei Lebensmitt­elwarnunge­n alle verfügbare­n Kanäle zu nutzen: Über Facebook, Twitter oder Blogs erreiche man wesentlich mehr Menschen als mit einer Pressemitt­eilung.

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Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte Derzeit beschäftig­t Behörden und Verbrauche­r der Fipronil-Skandal – auch hier wurde spät gewarnt.

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