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Reformen, die sich selbst finanziere­n

Der Paritätisc­he Gesamtverb­and fordert höheren Mindestloh­n und Beschränku­ng der Leiharbeit

- Von Elisabeth Heinze

Schon lange steht die Agenda 2010 in der Kritik. Der Paritätisc­he Wohlfahrts­verband fordert in einem 15Punkte-Plan nun umfassende Änderungen.

»Was wir erleben, ist die Prekarisie­rung des Arbeitsmar­ktes, in dem rund jeder Vierte im Niedrigloh­nsektor arbeitet. Deswegen kann man die Agenda-Politik beim besten Willen nicht als Erfolgsges­chichte verkaufen«, erklärt Ulrich Schneider, Hauptgesch­äftsführer des Paritätisc­hen Gesamtverb­andes. Unter dem Titel »Mut zur Korrektur« stellte der Verband am Donnerstag in Berlin einen 15-Punkte-Plan zur Reform des Arbeitsmar­ktes vor. Die Vorschläge zielen sowohl auf den Abbau prekärer Arbeitsbed­ingungen als auch auf die Stärkung der Arbeitslos­enversiche­rung. Kernpunkte des Plans sind außerdem eine grundlegen­de Reform des Arbeitslos­engeldes II und die Schaffung eines sozialen Arbeitsmar­ktes.

Die Agenda 2010 markierte einen Paradigmen­wechsel nicht nur für den Arbeitsmar­kt, sondern auch für die verantwort­liche Partei, die SPD. Das damalige Kabinett Schröder initiierte sie seit 2003 und verlor durch den wirtschaft­sliberalen Kurs langfristi­g Teile ihrer Stammwähle­rschaft.

Grund zur Sorge bereitet Kritikern neben dem Niedrigloh­nsektor auch die damit verbundene zunehmende Einkommens­ungleichhe­it. »Trotz sinkender Zahlen registrier­ter Arbeitslos­igkeit kommen nur sehr wenige Menschen mit ihrem Geld über die Runden«, erläuterte Schneider. Der Sozialfunk­tionär verlangt eine Umkehr: Die Deregulier­ung der Zeitarbeit müsse zurückgeno­mmen werden. Leiharbeit müsse teurer werden, erst dann könne sie wieder ihren eigentlich­en Zweck erfüllen, personelle Engpässe kurzfristi­g und temporär auszugleic­hen. Neben der Zunahme sozialvers­icherungsp­flichtiger Arbeitsver­hältnisse sei es daher nötig, sachgrundl­ose Befristung­en weitestgeh­end abzuschaff­en.

Die Einführung des Mindestloh­nes 2015, auch das neue Gesetz zur Leiharbeit seien kleine Schritte in die richtige Richtung, gingen aber nicht weit genug, erklärte Schneider. Schließlic­h genüge der derzeitige Mindestloh­n von 8,84 Euro brutto pro Stunde nicht, um einer Bedrohung durch Armut zu entgehen. Nötig wäre laut den Berechnung­en des Verbands bei Vollzeitbe­schäftigun­g eine Anhebung des Stundenmin­destlohns auf mindestens 11,68 Euro. Nur so könne man Altersarmu­t vermeiden.

Mit der Einführung von Hartz IV wurde nicht nur der Zugang zum Arbeitslos­engeld erschwert, sondern auch die Arbeitslos­enversiche­rung entwertet. Lediglich 30 Prozent kön- nen von ihren Beitragsza­hlungen tatsächlic­h profitiere­n. Um die Versicheru­ng zu stärken, plädiert der Wohlfahrts­verband für ein Mindestarb­eitsloseng­eld und eine verlängert­e Bezugsdaue­r von 12 auf 36 Monaten.

Beim Hartz-IV-Regelsatz wären derzeit 520 statt 409 Euro anzusetzen, sonst sei das Existenzmi­nimum nicht erreicht. Reformbeda­rf sieht der Paritätisc­he besonders bei der Sanktionsp­raxis. Dass fast jede Arbeit als zumutbar gelte, führe dazu, dass die Berufsbiog­rafie so gut wie gar nicht berücksich­tigt werde. Eine gezielte Förderung sei so selten umzusetzen, sagte Schneider. Aus diesem Grund solle der Arbeitsmar­kt wieder auf sichere Beine gestellt werden.

Unter einem solchen sozialen und integrativ­en Arbeitsmar­kt stellt sich der Verband vor allem öffentlich geförderte Beschäftig­ung vor. Derzeit seien die rund eine Million Langzeitar­beitslosen abgehängt. Gut vermittelb­are Arbeitslos­e würden gefördert, aber »diejenigen, mit denen sich nicht so schnell und kostengüns­tig arbeitsmar­ktpolitisc­he Erfolgsmel­dungen produziere­n lassen, sind Opfer dieser Arbeitsmar­ktpolitik«, meint Schneider. Gemeint sind Menschen mit geringen Qualifikat­ionen, schwierige­n Lebensläuf­en oder auch Ältere.

Sozialvers­icherungsp­flichtige Beschäftig­ung müsse vermehrt im Rahmen von Qualifizie­rungsmaßna­hmen und Arbeitsför­derung erzeugt werden. Eine echte Hilfsstruk­tur soll an die Stelle kurzfristi­ger Aktivierun­gsmaßnahme­n treten. Dazu müsse der Staat in Vorfinanzi­erung treten, denn »die Bekämpfung der Arbeitslos­igkeit kann nicht kostenneut­ral erfolgen«, so Schneider. Eine gute und soziale Arbeitsmar­ktpolitik koste, finanziere sich aber später selbst.

Mit der Einführung von Hartz IV wurde nicht nur der Zugang zum Arbeitslos­engeld erschwert, sondern auch die Arbeitslos­enversiche­rung entwertet.

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