Türkei: Kein Ende der Entlassungen
928 »verdächtige« Staatsangestellte wurden ihrer Posten enthoben
Ankara. In der Türkei sind mehr als 900 Staats angestellte unter dem Verdacht der Verbindung zu» Terrororganisationen« entlassen worden. Unter den 928 Betroffenen, die mit einem neuen Notstandsdekret am Freitag ihrer Posten enthoben wurden, sind Beamte der Verteidigungs-, Außen- und Innenministerien sowie der Streitkräfte. Zudem wurde zehn pensionierten Brigadegeneralen ihr Rang aberkannt. Seit dem Putschversuch wurden bereits mehr als 140 000 Staats angestellte entlassen oder suspendiert.
Mit einem zweiten Dekret wurde der Geheimdienst MIT, der bisher dem Ministerpräsidenten unterstand, dem Präsidenten unterstellt. Auch wurde eine neue Institution namens Nationales Geheimdienst koordi nierungskomite eins Leben gerufen, das vom Präsidenten geleitet wird. Damit wird der Staatschef weiter gestärkt. Außerdem erhält der Geheimdienst erstmals das Recht, gegen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums und der Streitkräfte zu ermitteln.
Sigmar Gabriel hat mit seinen Warnungen vor Reisen in die Türkei alle Zurückhaltung eines ranghöchsten deutschen Diplomaten fallenlassen. Letztlich spricht er nicht nur dem Präsidenten, sondern auch der türkischen Justiz die Orientierung an Recht und Gesetz ab. Dies ist damit offizielle Bewertung der Bundesregierung und ein durchaus schwerer wiegender Vorgang, als erklärte Gegner Erdogans jetzt kritisieren, die am liebsten die diplomatischen Beziehungen ganz abbrechen und vor allem: der Türkei den Geldhahn zudrehen würden. Doch nicht alle in Deutschland lebenden Türken reiben sich klammheimlich die Hände über die Isolation, in die Präsident Erdogan und damit ihr Land im Westen zu geraten droht. Vor einem möglichen Import der türkischen Konflikte nach Deutschland aber kann einem nur angst und bange werden.
Dass inzwischen sogar Mitglieder der Bundesregierung wie die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz eine Reise zu ihrer Familie scheuen, ist nur ein weiteres Zeichen dafür, dass die deutsche Seite nicht Richter in diesem Konflikt ist, sondern Getriebene. Das Kind liegt bereits im Brunnen. Und die Risiken, die vom erratischen türkischen Präsidenten ausgehen, sind nicht einfach aus der Welt zu schaffen. Womöglich könnte hier die NATO einen seltenen Beweis liefern, dass sie zu etwas nutze sein kann, das keinem destruktiven Weltverständnis folgt. Aber auch das brauchte einen Impuls aus Berlin.