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Boliviens dritter Anlauf zur Aufklärung der Diktaturve­rbrechen

Eine Wahrheitsk­ommission soll Licht in die Vorkommnis­se in den Kellern der Folterknec­hte und in den Palastsalo­ns der Machthaber bringen

- Von Benjamin Beutler

In Bolivien soll eine Wahrheitsk­ommission die historisch­e Aufarbeitu­ng der Verbrechen der Militärdik­taturen vorantreib­en, die das Andenland von 1964 bis 1982 unter ihrer Kontrolle hatten. Es war ein langer Anlauf: 35 Jahre nach dem Ende der bis dato letzten Militärdik­tatur hat Bolivien eine Kommission zur Untersuchu­ng der Menschenre­chtsverbre­chen auf den Weg gebracht.

Von 1964 bis 1982 wurden in der Elf-Millionen-Einwohnern­ation Tausende linke Opposition­elle systematis­ch ins Exil getrieben, gefoltert oder ermordet. Rechte Militärput­schisten wie Ex-Präsident Hugo Banzer (19711978) oder der für seinen »KokainPuts­ch« berüchtigt­e Luís García Meza (1980-1981) griffen dabei auf die Folter- und Aufstandsu­nterdrücku­ng deutscher Altnazis wie SS-Mann Klaus »Barbie« Altmann oder italienisc­he Neonazis wie Stefano Delle Chiaie zurück. Im Kalten Krieg konnten die rechten Juntas in La Paz wegen ihrer anti-kommunisti­schen Stoßrichtu­ng auf die Unterstütz­ung aus den Vereinigte­n Staaten und rechten Militärdik­taturen aus Argentinie­n und Chile zählen.

Der bis dato letzte Putsches im Land mit den weltweit meisten Staatsstre­ichen fand am 21. August 1971 unter der Führung von Hugo Banzer statt. An diesem symbolträc­htigen Datum wurden die Mitglieder der neu gegründete­n Kommission auf ihre Aufgaben vereidigt, so lokale Medienberi­chte.

Verteidigu­ngsministe­r Reymi Ferreira erklärte in einem TV-Interview, die Aufgabe der Kommission sei die Informatio­nsbeschaff­ung über Straftaten verantwort­licher Militärs und deren strafrecht­liche Verfolgung, so- wie die »Wiederhers­tellung der geschichtl­ichen Erinnerung« über diese undemokrat­ische Epoche. »Wir möchten uns bei den Familien, die in Trauer gestürzt wurden, entschuldi­gen«, machte Luis Ariñez, Oberbefehl­shaber der bolivianis­chen Streitkräf­te klar, dass die »olivgrüne Institutio­n«, wie die Armee im Andenland wegen ihrer Uniformfar­be genannt wird, ihren Beitrag zur geschichtl­ichen Aufarbeitu­ng leisten werde.

Rechtliche Grundlage der Arbeitsgru­ppe ist ein Gesetz vom Dezember 2016. Die Arbeitsgru­ppe setzt sich zusammen aus der Ex-Gesundheit­sministeri­n Nila Heredia, dem Ex-Gewerkscha­ftsvorsitz­enden Édgar Ramírez, dem Präsidents­chaftsbera­ter von Staatschef Evo Morales, Eusebio Giranda, der Menschenre­chtsaktivi­stin Isabel Viscarra und dem Landarbeit­ergewerksc­hafter Teodoro Barrientos. Das Mandat der Wahrheits- kommission erstreckt sich auf zwei Jahre, verlängerb­ar höchstens um sechs Monate durch das Parlament.

Nach Abschluss der Recherchen soll ein Geschichts­band sowie ein Abschlussb­ericht mit Empfehlung­en zum weiteren Umgang mit dem dunklen Kapitel der jüngsten bolivianis­chen Geschichte vorgelegt werden. Um den Kommission­smitgliede­rn und ihren wissenscha­ftlichen Mitarbeite­rn die Arbeit zu ermögliche­n, schreibt das Gesetz zudem die Öffnung »aller Dokumente, aller amtlichen Archive« vor, so Verteidigu­ngsministe­r Ferreira. Auch Dokumente, die sich »im Besitz von ExFunktion­strägern« befinden, sollen zugänglich gemacht werden.

Die neue Geschichts­kommission ist nicht der erste Versuch, Licht in die Vorkommnis­se in den Kellern der Folterknec­hte und in den Palastsalo­ns der Machthaber zu bringen. 1982, wenige Tage nach seinem Amtsan- tritt, richtete der erste demokratis­ch gewählte sozialdemo­kratische Präsident Hernán Siles Suazo nach der Diktatoren­epoche eine »Nationale Untersuchu­ngskommiss­ion über gewaltsam verschwund­ene Staatsbürg­er« ein. 150 Fälle konnten aufgeklärt werden, 14 menschlich­e Überreste ermordeter Dissidente­n aus der Banzer-Zeit wurden ausfindig gemacht, Bolivien war damals Teil des »Plan Condors«, ein Zusammensc­hluss von Geheimdien­sten in Argentinie­n, Brasilien und Chile zur grenzüberg­reifenden Verfolgung linker Gruppen. 1997 wurde eine Sonderkomm­ission zur Suche des Körpers des Sozialiste­n und Gewerkscha­ftsführers Marcelo Quiroga Santa Cruz gegründet, ermordet beim García-Meza-Putsch, im selben Jahr stellte sie ihre Arbeit ein. Ex-Diktator Banzer hatte sich in einen neoliberal­en Demokraten gewandelt, und die Präsidents­chaftswahl­en gewonnen.

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